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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Wiarda will’s wissen: Soziale Gerechtigkeit: Blamiert auch ohne Bildungstrichter

Der Professorensohn und die Juristentochter schreiben sich an der Uni selbstverständlich ein - genauso schlaue Nicht-Akademikerkinder bleiben unterrepräsentiert, kritisiert unser Kolumnist

Kai Gehring vermutete Vertuschung. „BMBF beseitigt Beleg für Bildungsspaltung“, twitterte der grüne Hochschulexperte. „Angst vor bad news?“ Der „Beleg“, den Gehring in der vergangene Woche erschienen Sozialerhebung vermisste, war der so genannte Bildungstrichter. Was er zeigt: Wie groß die Chance von Grundschulkindern ist, den Weg an die Hochschule zu schaffen. In der 20. Sozialerhebung von 2012 fiel er so aus: Haben die eigenen Eltern studiert, steigen die Aussichten auf ein Studium auf das Dreieinhalbfache.

Wie stark die Schieflage in der 21. Sozialerhebung ausgefallen wäre? Man kann es sich aus den vom Deutschen Studentenwerk veröffentlichten Daten zusammenreimen, doch die plakative Grafik fehlte. Methodische Gründe führt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das die Studie durchgeführt hat, an und verspricht das Comeback des Trichters zu gegebener Zeit. Und Johanna Wanka (CDU), deren Ressort die Sozialerhebung finanziert? Beteuert, es habe keinen politischen Einfluss gegeben.

Total-Öffnung der Uni? Nicht für alle

Die Blamage wird dadurch nicht kleiner. Eine Blamage, die keine allein der Ministerin oder der Bildungspolitik ist. Uns alle sollte es peinlich berühren, wenn trotz der vermeintlichen Total-Öffnung der Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren mit fast einer Million zusätzlicher Studenten vor allem eine Gruppe profitiert hat: die Kinder der Bildungsbürger.

52 Prozent der Studierenden stammten 2016 aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil studiert hat, nochmal zwei Prozentpunkte mehr als 2012. Immerhin!, könnte man jetzt sagen, bleibt doch fast die Hälfte Nicht-Akademikerkinder. Und man könnte hinzufügen: Ist ja auch logisch. Je mehr Leute studieren, desto mehr Akademikerkinder gibt es. Doch wer so denkt, hat es nicht kapiert. Laut einer anderen Studie, dem Bildungsbericht, haben nur 28 Prozent der Menschen zwischen 40 und 59, also die Elterngeneration von Erstsemestern, einen Studienabschluss. Es sind diese 28 Prozent, deren Kinder mehr als die Hälfte der Studienplätze besetzen.

Die Ungerechtigkeit schlägt unabhängig vom IQ zu

Einige sagen auch hinter vorgehaltener Hand: Wir müssen halt akzeptieren, dass nicht alle Menschen gleich schlau sind. Was den Chauvinismus einer solchen Argumentation so richtig unerträglich macht: Sie ignoriert die Vielzahl von Studien, denen zufolge die systematische Bildungsungerechtigkeit unabhängig von der Intelligenz zuschlägt.

Womöglich ist die Erklärung einfacher. Was haben sich einige selbst erklärte Bildungsbewahrer echauffiert, als die Studienanfängerquote steil nach oben ging. Was haben sie sich gesorgt, dass jetzt „die falschen Leute“ ins Studium gedrängt würden. Für Leute mit Lehre seien auch die Karrierechancen gleich viel besser als für all die Absolventen brotloser Massenstudiengänge. Zugehört haben ihnen: die Kinder, deren Eltern selbst nicht studiert haben. Während der Professorensohn und die Juristentochter sich, übrigens unabhängig von ihrem IQ, an der Uni einschrieben. Bildungsgerechtigkeit fängt mit der Rhetorik an.

Jan-Martin Wiarda ist Journalist für Bildung und Wissenschaft und lebt in Berlin. In seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er die aktuellen Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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