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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Wiarda will’s wissen: Bologna umsetzen, statt es zu bashen

Ein Politiker mit skurrilem Diplom-Faible stellt die Bologna-Reform infrage. Kann er erreichen, dass die Hochschulpolitik europäische Ideale über Bord wirft?

Im Mai 2018 wird es 20 Jahre her sein, dass die Bildungsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Großbritanniens an der Sorbonne den europäischen Gedanken in die Hochschulen brachten. Es war eine Sternstunde auf dem Weg zur Einigung des Kontinents, der in eine politische Erklärung gegossene Traum einer grenzenlosen Hochschullandschaft.

Aus der Sorbonne-Erklärung wurde der Bologna-Prozess, und irgendwo zwischen damals und heute ist bei einigen der Ursprung aus dem Blick geraten. „Bürokratisierung! Verschulung!“, rufen sie, sobald von Bachelor und Master die Rede ist. Wie viele es wirklich sind, ist kaum auszumachen, weil sie so laut schreien. Anstatt daran zu arbeiten, wie sich das Ideal aus seiner teilweise selbst verschuldeten kleinkrämerischen Umsetzung befreien lässt, träumen sie lieber ihren sehr deutschen Traum vom guten alten Diplom.

Ein Signal an alle, die sich die Vergangenheit zurückwünschen

Und sie finden Verbündete. Im März haben sechs von 16 Ministerpräsidenten in einer Protokollerklärung ihre „Erwartung“ geäußert, die Wissenschaftsminister müssten „eine für alle Länder tragfähige Lösung zur Anerkennung des Diploms“ finden. Gemeint waren nicht etwa die Abschlüsse von einst, sondern die zum Teil erst kürzlich eingerichteten neuen Diplom-Studiengänge.

Ja, die gibt es. In mehreren Ländern. Doch während die meisten Wissenschaftsminister dazu vornehm schweigen, rühmte sich einer von ihnen jahrelang dafür, die Studienreform rundheraus abzulehnen. Die Rede ist von Mathias Brodkorb aus Mecklenburg-Vorpommern. Für seinen Kampf kaperte er die aus anderen Gründen durch ein Verfassungsgerichtsurteil ausgelösten Verhandlungen um einen neuen Staatsvertrag zur Akkreditierung von Studiengängen. Er wollte eine Grundsatzentscheidung, dass die alten Studiengänge genauso willkommen sind wie die neuen. Ein Signal an all jene, die sich eigentlich auch die Vergangenheit zurückwünschen.

Als seine Ministerkollegen ihn ausbremsten, wechselte er, inzwischen Finanzminister geworden, die Ebene und zog nicht nur den eigenen inhaltlich ahnungslosen Regierungschef, sondern auch fünf weitere Ministerpräsidenten auf seine Seite. Die Diplom-Anerkennung, fordern die sechs, soll rein in die sogenannte Musterrechtsverordnung zum Staatsvertrag. Das Erpressungspotenzial ist groß: Der Vertrag soll am 1. Januar 2018 in Kraft treten.

Showdown bei der KMK am 6. Dezember

Das Problem ist nicht ein Politiker mit skurrilem Diplom-Faible. Das Problem ist, wenn deshalb 16 Ministerialapparate neun Monate lang nicht in der Lage sind, sich auf eine gemeinsame Position zur europäischen Studienreform zu einigen. Am 6. Dezember kommt es bei der Kultusministerkonferenz zum Showdown. Dann sollen die Minister selbst entscheiden.

Vielleicht ist es in Zeiten von Brexit und Anti-EU-Populismus nötig, sich auch in der Hochschulpolitik an die europäischen Ideale zu erinnern. Und wenn einige von jenen, die am 6. Dezember zusammensitzen, das Wort „Bologna“ nicht mögen, sollten sie an die Sorbonne denken. Und was die Erklärung von damals mit ihnen heute zu tun hat.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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