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Gibt es "alternative Fakten" bald auch in der Wissenschaft?

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Von Lügenpresse zu Lügenwissenschaft?: "Wissenschaft braucht unabhängige Medien, um Ergebnisse zu vermitteln"

Wie kann Wissenschaftskommunikation einen Vertrauensverlust vermeiden? Auf jeden Fall müssen wir unser Wissen erweitern. Ein Gastbeitrag.

Folgt auf die „Lügenpresse“ die „Lügenwissenschaft“? Diese Frage stellte kürzlich Tagesspiegel-Redakteur Fabian Leber. Er beobachtet eine wachsende Intellektuellenfeindlichkeit. Der Aufstieg populistischer Politiker und wachsende gesellschaftliche Fliehkräfte deuten tatsächlich auf eine tiefe Vertrauenskrise hin. Sie betrifft Politiker, Medien, die Wirtschaft und auch die Wissenschaft.

Bereits ein Drittel unserer Bevölkerung findet dem repräsentativen Wissenschaftsbarometer zufolge: Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und zu wenig ihren Gefühlen und dem Glauben. Doch wer sagt eigentlich, dass Gefühl, Glaube und Wissenschaft im Widerspruch stehen? Sie gehören gleichermaßen zum Leben. Wissenschaft schreibt uns nicht vor, was wir tun sollen. Man kann wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren. Man kann verzerren. Man kann „alternative Fakten“ herbeireden. Doch niemals kann man hinter sich lassen, was ist.

Das wechselvolle Verhältnis von Alltagserfahrung und Wissenschaft spürte ich in den 1980er Jahren an einem umweltpolitisch umkämpften Begriff: Waldsterben. Die Angst, dass „unser Wald stirbt“, förderte durchaus die Minderung von Industrie- und Fahrzeugabgasen. Jedoch ließ sie wenig Platz für die forstwissenschaftliche Differenzierung. Dass zum Beispiel in Deutschland und Europa das Waldwachstum erhöht war und damit so gar nicht in das Waldsterben-Szenario passte, drang schlecht durch.

Die Art und Weise der Kommunikation ändert sich

Was sich rapide ändert, ist die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren. Der Vernetzung unserer Welt stehen vielfältige Abschottungstendenzen gegenüber. Der Zugang zu Wissen und die öffentliche Meinungsäußerung sind einfach wie nie. Andererseits entwickeln sich Echoräume, in denen sich Gleichgesinnte gegenseitig bestärken

Damit ändert sich auch der Rahmen für die Wissenschaftskommunikation. Wie lässt sich ihre Qualität sichern und steigern? Dieser Frage gehen wir in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Akademien – acatech, Leopoldina und den Länderakademien – nach. Eines wurde gleich deutlich: Ohne unabhängige, qualitätsvolle Medien geht es nicht.

Die Freiheit der Medien und die Freiheit der Wissenschaft sind zentrale Eckpfeiler unserer Demokratie. Unabhängiger, kritischer Journalismus lässt sich nicht durch selbstgenerierte Inhalte in sozialen Medien ersetzen. Auch wenn sich der Journalismus derzeit neu erfindet und behauptet, stehen seine Rolle als Gatekeeper und sein Geschäftsmodell auf wackligen Füßen.

Vieles spricht dafür, unabhängigen Journalismus nicht nur wichtig zu nehmen, sondern zu fördern. Beispielsweise könnte der Journalismus öffentliche Fördermittel in Selbstverwaltung einsetzen, wie es die Wissenschaft bereits tut. So ließe sich die Unabhängigkeit wahren.

Nicht jedes Forschungsergebnis muss als bahnbrechend vermarkten

Auch innerhalb der Wissenschaft führen wir eine Qualitätsdebatte. Wissenschaftskommunikation sollte stärker als Leistung anerkannt werden. Zugleich darf die Wissenschaft nicht der Versuchung erliegen, Journalismus durch Eigenwerbung zu ersetzen. Übertreibungen sollten vermieden werden. Nicht jedes Forschungsergebnis muss als bahnbrechend vermarktet werden. Nicht jede Hochglanzbroschüre ist nötig. Vor allem aber sollte nicht vornehmlich die eigene Einrichtung beworben, sondern Wissenschaft kommuniziert werden. Gemeinsame Initiativen wie Wissenschaft im Dialog oder das jüngst entstandene Science Media Center sind dafür sehr hilfreich.

Im Elfenbeinturm sitzt die Wissenschaft schon längst nicht mehr. Doch werden die Wände neuer Echoräume dicker. Wer in sozialen Medien Gegner der Kohlendioxid-Speicherung (CCS) sucht, bekommt danach recht penetrant Content in dieser Richtung angeboten. Die Algorithmen folgen unseren Nutzergewohnheiten und bestätigen somit, was wir zu wissen glauben. Neben Auflagen in Sachen Hate Speech und Fake News sollten wir deshalb auch über Regulierungen bezogen auf die Algorithmen sprechen.

Medienkompetenz wird umso wichtiger, je schneller und vielfältiger die Medienwelt wird. Schließlich fängt gute Wissenschaftskommunikation immer bei den Menschen an, mit denen Wissenschaft ins Gespräch kommen möchte. Bei ihnen und den politischen Institutionen liegt die Entscheidung, in welchen Bedingungen wir forschen, ob die Freiheit der Wissenschaft Bestand hat und wie sie als Quelle von Innovation genutzt wird.

Schulterzuckend zusehen, wie sich Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien auseinanderleben, ist keine Alternative. Denn wir lassen niemals hinter uns, was ist. Wir können nur dann unsere Zukunft gestalten, wenn wir unser Wissen erweitern und nutzen. Wie? Darüber entscheidet die Gesellschaft.

Der Autor war vom Gründungsjahr 2008 an bis zum 8. Februar 2017 Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Er leitet das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam.

Reinhard F. Hüttl war vom Gründungsjahr 2008 an bis zum 8. Februar 2017 Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.
Reinhard F. Hüttl war vom Gründungsjahr 2008 an bis zum 8. Februar 2017 Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.

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