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Das Knie, eine Problemzone

© Getty Images/iStockphoto

Von Chirurgen und Schamanen: Die Knie-Odyssee des Eckart von Hirschhausen

Auch der Mediziner und Comedian ist nicht vor Schmerzen im Knie gefeit. Hier erzählt er, was er als Patient auf seiner Odyssee von Arzt zu Arzt erlebt hat.

Meine Perspektive auf die Medizin veränderte sich schlagartig, als ich selbst Patient wurde. Ich hatte Schmerzen im linken Knie, die kamen und gingen. Dann gingen sie nicht mehr, sondern blieben, und ich dachte: Geh doch mal zum Arzt.

Der erste Orthopäde sagte: „Pffttt, was erwarten Sie, Herr Kollege? Ist ’ne Alterserscheinung.“

„Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig!“

„Das ist auch eine Alterserscheinung!“

Ich war auf 180: „So ein Quatsch, von wegen Alterserscheinung! Das rechte Knie tut nicht weh und ist genauso alt.“

Ich hätte ja akzeptiert, wenn er mir gesagt hätte: „Na ja, nach all den Jahren Leistungssport, die Sie vermutlich hinter sich haben, wenn ich Ihren perfekt geformten Körper sehe, muss man mit so etwas rechnen … “ Aber nix davon.

Er spürte wohl meine Wut und ruderte zurück: „Tut mir leid. Ich dachte, Sie verstehen Humor.“

„Nicht als Patient.“

Hat der Orthopäde dafür studiert?

„Ja, Sie wissen selbst, das ist ein multifaktorielles Geschehen. Die Ätiologie ist die Summation von genetischer Prädisposition, biomechanischer Fehlbelastung, muskulärer Imbalance, multiplen Traumata der Knorpeloberfläche sowie synovialen Reizzuständen, die führen zu einer Hypersekretion. Die wiederum ergibt eine Spannung in der Kapsel, das erklärt einen Teil der Beschwerden.“

„Ja, das weiß ich. Aber jetzt mal ehrlich, unter uns: Was soll ich denn machen?“

Der Kollege sprach große Worte gelassen aus: „Meine ehrliche Meinung: abnehmen, mehr bewegen.“

Ich bin dann direkt zu einem anderen Arzt gegangen. Klar, bevor man größere Eingriffe ins Leben plant, holt man sich eine zweite Meinung. Und außerdem: Was ist denn das für ein komischer Ratschlag? Abnehmen, mehr bewegen – hat der Orthopäde dafür studiert?

Ich fragte in meinem Bekanntenkreis herum und bekam die Empfehlung, zu einem alternativen Arzt zu gehen, der mit Kinesiologie und Bioresonanz arbeitete, in einer Privatpraxis. Er nahm sich Zeit, prüfte meine Muskelspannung und drückte überall herum. Ich fühlte mich in guten Händen – bis es etwas seltsam wurde, denn er nahm mir einen Tropfen Blut ab, gab ihn auf ein Stück Filterpapier und griff zu einer goldenen Kugel an einer Stange, um über meinem Blut zu pendeln. Ich denke mir das nicht aus! Ich stand daneben und biss mir auf die Zunge, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er das wirklich ernst meinte. Doch, das tat er, und er sagte, er bekäme energetisch das klare Signal, dass ich Milchzucker nicht vertrage.

Mit Bioresonanz will er die angebliche Allergie "löschen"

„Das muss ein Irrtum sein“, erwiderte ich, „ich habe immer gerne Milch getrunken und nie ein Problem bemerkt.“

„Das zeigt nur, wie unsensibel Sie für Ihren Körper sind.“

Okay. Aber ich war ja wegen des Knies gekommen, wir erinnern uns. Ja, das hinge zusammen, meinte der pendelnde Kollege. Der Darm sei gereizt, weil ich permanent das Falsche essen würde.

„Der Darm entzündet sich und zieht sich zusammen. Da er im Bauchraum über ein Bindegewebe, das Mesenterium, befestigt ist, überträgt sich der Zug Richtung Bauchrückseite. Diese Irritation strahlt aus auf die benachbarten Rückenmuskeln, und die sind bekanntlich eng verbunden in einer myofaszialen Einheit mit den Hüftbeugern und den Kniestreckern. Und weil der Darm sich in der Embryonalentwicklung nach links gedreht hat, tut es folgerichtig links weh.“

Ich war froh, eine vernünftige Erklärung bekommen zu haben. Vor allem war ich erleichtert, dass er nichts vom Abnehmen, von mehr Bewegung und Eigenverantwortung sagte. Für seine Milchzuckerunverträglichkeit kann man ja nichts.

„Muss ich ein Leben lang Diät halten?“

Nein, er könne mir meine Allergie auch löschen. Das zahle aber nicht die Kasse. Und ich dachte mir: Komm, jetzt sei nicht immer so skeptisch, probier’s halt aus. Wer heilt, hat recht!

Die Bauteile gibt es im Elektronikmarkt deutlich günstiger

Bei der Bioresonanz sollen Informationen im Körper durch Schwingungen aus einer Kiste wieder in die natürliche Resonanz gebracht werden. Dazu setzte ich mich vor die Kiste, die mich an eine Spielkonsole aus den achtziger Jahren erinnerte, und bekam zwei Metallstäbe in die Hand. Die sollte ich festhalten, und dann würden die Ströme und Informationen schon durch meinen Körper fließen. Dazu zuckte eine Nadel auf einer Skala hin und her und täuschte irgendwie Geschäftigkeit vor. Ich saß da und merkte – nichts. Meine innere Stimme schrie mich an: Du hast bezahlt – spür was! Immer noch nix. 20 Minuten lang.

So hatte ich Zeit, um nachzudenken. Und das war nicht gut. Ich dachte: alter Verwalter, geiler Heiler, was für ein wasserdichtes Geschäftsmodell! Du redest den Leuten ’ne Allergie ans Bein, die sie nicht haben. Dann „löschst“ du sie, und danach ist sie „weg“. Und dafür habe ich tausend Euro hingelegt.

Bioresonanz stammt aus Scientologenkreisen und ist, grob zusammengefasst, pseudowissenschaftlicher Bullshit. Jeder Fußpfleger kann sich mit Bioresonanz selbstständig machen, es gibt keine aussagekräftigen Studien, und wenn man die Kisten auseinanderschraubt, finden sich Bauteile, die man im Elektronikmarkt deutlich günstiger bekommt. Solange es zur Wirksamkeit nur einzelne Fallberichte und energetisches Geschwurbel gibt, finde ich richtig, dass die Kassen das nicht zahlen. Gerade Allergiker werden mit diesen Pseudoverfahren oft beeindruckt und ausgenommen. Wenn ich eine chronische Erkrankung hätte, würde ich auch nach jedem Strohhalm greifen.

Was weg ist, kann nicht mehr weh tun!

Jeder mitfühlende Arzt hätte nichts dagegen, wenn man Allergien so einfach „löschen“ könnte, aber dafür gibt es leider keinen Beleg, und das verhindert auch keine Pharmamafia. Aussagekräftige Studien könnten die Gerätehersteller längst geliefert haben, wenn sie von ihrer Methode überzeugt wären. Dass Menschen gute Erfahrungen damit machen, liegt an der Erwartungshaltung und nicht an der Kiste, und das ist auch nicht nur meine private Meinung, sondern es sind sich alle Autoritäten, die Alternativmedizin getestet haben, einig, von Professor Edzard Ernst bis zur Stiftung Warentest.

An meinem Knie änderte sich nichts. So zog ich weiter zum dritten Orthopäden. In Wirklichkeit war es der zehnte, aber ich kürze hier ab. Sie verstehen das Prinzip.

Das Knie knarzte nun, als würde sich ein Sargdeckel öffnen

Der dritte Orthopäde war ein handfester und drehte den Unterschenkel in lauter Positionen, die von der Natur so nicht vorgesehen sind, um sich ein Bild vom Meniskus zu machen. Außerdem schickte er mich zum MRT. Das ergab, dass der Meniskus eingerissen war und sich jetzt im Gelenk nicht mehr so richtig an seine Aufgabe gebunden fühlte, den Druck zwischen oben und unten zu vermitteln. Er war dabei, sich selbstständig zu machen. Dann sprach der Orthopäde die goldenen Worte: „Ich schneide das weg – was weg ist, kann nicht mehr wehtun.“ Na, das war mal eine klare Aussage, mit der man arbeiten konnte. Ich willigte in eine ambulante Operation ein, und zehn Tage später war das Ding draußen.

Nach der Operation knirschte das Knie

Ich mach’s kurz: Danach tat es immer noch weh, aber anders. Ich will auch nicht undankbar sein. Es ist ein Knirschen dazugekommen, das ist so laut, dass es auch andere hören. Wahrscheinlich kommt es von der Kniescheibe, die nicht rundläuft und an der Innenseite abgerubbelt ist. Aber da kann man nicht operieren. So habe ich mir überlegt, Krankheit als Weg und mein Schicksal als Chance zu begreifen. Ich könnte mich ja mal im Kino in die letzte Reihe setzen, wenn ein Horrorfilm läuft. In den stillen Momenten, kurz bevor wieder etwas Gruseliges passiert, könnte ich mit dem Knie knarzen. Das hört sich an, als würde sich ein Sargdeckel öffnen – und dann hätten alle etwas davon.

Im Nachhinein mache ich keinem der behandelnden Ärzte einen Vorwurf, denn jeder tat das, was er persönlich für richtig hielt. Ich mache unserem System aber den Vorwurf, dass genau das möglich ist. Dank der „Therapiefreiheit“ macht jeder, was er will. Es ist für die meisten Patienten nicht ersichtlich, welche Optionen sie haben und wie gut welches Verfahren belegt ist.

Den Vorwurf, den ich mir selbst mache: Ich hätte das mit dem Abnehmen und der Bewegung mal ernsthaft probieren sollen. Fett ab- und Muskeln rund um das angeschlagene Knie herum aufbauen reicht in vielen Fällen aus. Und wenn es nicht reicht, kann man immer noch operieren. Die „konservative“ Therapie dauert und erfordert mehr Einsatz und Disziplin. Ich habe ja noch ein Knie – das rechte, das sich inzwischen auch schon meldet und zwickt. Noch habe ich es nicht operieren lassen, mir aber ein Wackelbrett für die bessere Koordination gekauft, ein elastisches Band für das Krafttraining, und manchmal lasse ich abends die Kohlehydrate weg. Ich schaue mal, was passiert. Vorerst bleibe ich positiv, um nicht zu sagen prospektiv, also nach vorne schauend. Mein größtes Problem: Wie vermittele ich meinem rechten Knie, dass es durch Zufall in der Kontrollgruppe gelandet ist, ohne dass es darüber eingeschnappt ist?

Hat die Chirurgie mehr mit Schamanen gemein, als ihr lieb ist?

In der Chirurgie fehlt oft eine Kontrollgruppe, dabei ist das Skalpell wahrscheinlich das wirkmächtigste Placebo, das die Medizin je erfunden hat. Der amerikanische Unfallchirurg Moseley hatte 2002 eine geniale Idee. Schon lange ist bei Medikamentenstudien der goldene Standard die Placebo-Kontrolle. Um herauszufinden, ob die Tablette selber wirkt oder nur die Erwartung an die Tablette, testet man das echte Medikament gegen ein Scheinmedikament. Moseley überlegte, ob man nicht auch Knieoperationen gegen eine „Placebo-Operation“ testen könnte. Wie kann das gehen? Er weihte alle im OP-Team ein, bis auf den Patienten, logischerweise. Der konnte sein Knie nicht direkt beobachten, verfolgte aber an einem Monitor den Verlauf des Eingriffs. Der Witz an der Sache: bei der Hälfte der Patienten wurde der Eingriff nur vorgetäuscht, ein kleiner Schnitt in die Haut gemacht, ein bisschen rumgeruckelt, aber weiter nichts. Auf dem Monitor liefen Bilder von ganz anderen Knien. Und mal ehrlich – wer kennt sein Knie so gut von innen, dass einem das auffällt? Die Täuschung gelang, beide Gruppen wurden mit der Gewissheit entlassen, dass sie operiert wurden. Die eigentliche Pointe kam zwei Jahre später bei der Nachuntersuchung. Wer konnte besser sein Knie bewegen? Schneller Treppen steigen? Wer hatte mehr Schmerzen? Es gab zwischen den echt-invasiv und den nur geschauspielert Operierten keinen relevanten Unterschied!

Mit dieser Studie brachte Moseley Chirurgen und Orthopäden zum Kochen, einige auch zum Nachdenken. Menschen mit Pseudoeingriffen zu helfen, erinnert an die „Wunderheiler“ auf den Philippinen, die scheinbar Gewebe durch die geschlossene Bauchdecke ziehen können, so wie ich das im Liveprogramm „Wunderheiler“ demonstriere. Die westlichen Touristen waren schwer beeindruckt, dass es nie eine Narbenbildung gab. Auf den Gedanken, dass es nie einen echten Eingriff gegeben hatte, kamen die wenigsten. So wenig wie die Patienten von Herrn Moseley. Und die Erwartung hat ja auch bei den Kniebeschwerden gewirkt, nicht besser und nicht schlechter als echte Chirurgie. Hat die Hochleistungschirurgie manchmal womöglich mehr mit Schamanen gemeinsam, als ihr lieb ist?

Jeder Eingriff birgt das Risiko von Verletzungen

Als kritische Chirurgen forderten, etablierte Verfahren auch gegen eine Scheinoperation zu testen, gab es einen Sturm der Entrüstung, das sei doch „unethisch“, weil man ja dann die Scheinoperierten dem Risiko der Narkose aussetze, ohne dass sie etwas davon hätten. Dieses Argument geht nur auf den Einzelnen ein, übersieht aber das viel wichtigere Gegenargument: Es kann doch nicht ethischer sein, Hunderte und Tausende von Patienten über Jahre mit Methoden zu operieren, von denen man nicht wissen kann, ob sie besser sind als Placebo!

Orthopäden schauen gerne durch das Arthroskop. Gelenkspiegelungen finden circa 400 000-mal in Deutschland pro Jahr statt. Spiegelung klingt so harmlos, als würde man nur mal vorbeischauen. Dabei sind Knie ja nicht gerade dafür gemacht, dass dort ein starres Stück Metallrohr mal eben ganz untraumatisch vorbeischaut. Jeder Eingriff birgt das Risiko für Verletzungen und in geringem Maß auch für Infekte. Zwei von 1000 gespiegelten Knien entzünden sich, und sechs von 1000 Patienten bilden Blutgerinnsel, als Venenthrombose oder Lungenembolie.

In einer Studie verglich man eine vorgetäuschte Arthroskopie mit einer richtigen, bei der auch „Lavage“ gemacht wurde, also einmal feucht durchwischen, um alle Krümel und Knorpelreste aus dem Gelenk zu spülen, eine Standardmaßnahme. Nach zwei Jahren zeigte die Nachuntersuchung: kein Vorteil für den Patienten. Gleiche Gehstrecke, gleiche Schmerzen. Nachteile wie Infekte oder Blutungen im Gelenk gab es logischerweise beim vorgetäuschten Eingriff nicht. Aktuelle medizinische Leitlinien empfehlen daher Gelenkspiegelungen nicht als Behandlung für eine Arthrose des Kniegelenks, außer die betreffende Person hat eine klare mechanische Blockade, wenn das Knie nicht nachgibt, oder es fliegen, im Röntgenbild, lose Teile durchs Gelenk.

Ob man ein neues Kniegelenk bekommt, hängt vom Wohnort ab

Verhindert denn die Spiegelung eine spätere Operation? Nein, leider nicht. Im Gegenteil: In Regionen, in denen viele Arthroskopien durchgeführt werden, setzen die Ärzte auch viele künstliche Kniegelenke ein, 150 000- mal in Deutschland jedes Jahr. Ob man ein neues Kniegelenk bekommt, hängt kurioserweise nicht davon ab, wo es wehtut, sondern wo man wohnt, wenn es wehtut. Frankfurt an der Oder hat die allerwenigsten Knieprothesen, 73 auf 100 000 Einwohner. Spitzenwerte dagegen erreicht man in Bayern, und zwar im Kreis Neustadt an der Aisch mit 214 Kniegelenken. Dreimal so viel. Warum das so ist? Schaffen sich die Ärzte ihren Bedarf selber? Man weiß es nicht genau. Nur so viel: Es hat nicht nur mit der Verteilung der Knieschmerzen zu tun. Denn nach neuesten medizinischen Erkenntnissen hat der Bayer genauso viele Knie wie der Brandenburger.

Operationen stellen einen viel größeren und potenziell riskanteren Eingriff in den Körper dar als eine Tablette. Bei Medikamenten gibt es heute strenge Auflagen, dass erst ihre Wirksamkeit und Unschädlichkeit belegt sein muss, bevor sie zugelassen werden. Die Chirurgie kennt dieses Reglement nicht. Ein Chirurg definiert sich ja durch die Tatsache, dass er operiert. Reden und Abwarten sind keine Kernelemente seines Selbstbildes. Und eine goldene Regel lautet: Du brauchst zehn Jahre, um eine Operation richtig gut zu beherrschen. Und du brauchst weitere zehn Jahre, um dich zu beherrschen, eine Operation auch sein lassen zu können. In dem satirischen Arztroman „The House of God“ steht der großartige Satz: Die Kunst der Medizin besteht darin, so viel NICHT zu tun, wie es geht.

Eckart von Hirschhausen ist in Berlin mit dem Programm „Wunderheiler“ vom 5. bis zum 8. Dezember 2016 zu sehen, im Konzertsaal der Universität der Künste. Der Text ist ein Auszug aus seinem neuen Buch „Wunder wirken Wunder“, erschienen bei Rowohlt.

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