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Saubere Forschung. Die Ergebnisse werden jedoch viel zu selten ernst genommen.

© picture alliance / dpa

Von Chemtrails bis zur Impfpflicht: Die Forschung braucht Wege aus der Vertrauenskrise

Wissenschaftliche Ergebnisse sind so verfügbar wie nie - und dringen trotzdem nicht durch. Das fordert die Wissenschaft genauso wie den Journalismus. Ein Gastkommentar.

Ein Kommentar von Reinhard F. Hüttl

Wir stecken in einer Vertrauenskrise. Sie umfasst längst nicht mehr nur die Medien, sondern betrifft die Politik und zunehmend auch Wissenschaft und Forschung. So hat das Institut für Demoskopie Allensbach jüngst in einer Umfrage verschiedene Aussagen bewerten lassen. Darunter war ein alarmierendes Ergebnis: 61 Prozent der Befragten stimmten zu, dass auf das Urteil von Experten im Allgemeinen nicht viel zu geben sei. „Diese sogenannten Experten sind meist nicht unabhängig. Deshalb kann man sich auf ihr Urteil nicht verlassen“, hieß es in dem Statement. Wenn fast zwei Drittel der Befragten sich diese Aussage zu eigen machen, kommt das einem Misstrauensvotum gleich. Man kann als Wissenschaftler nicht die Augen davor verschließen.

Vielmehr müssen wir uns fragen, woran der Vertrauensverlust liegt. Er ist ein Kollateralschaden der digitalen Revolution, man könnte auch von der Kehrseite einer insgesamt sehr erfreulichen Entwicklung sprechen. Das Internet mit seinen schier unbegrenzten Informationsmöglichkeiten bietet Raum für abstruse Thesen, etwa dass Impfen Autismus auslösen könnte (eine Studie dazu wurde längst als gefälscht entlarvt) oder dass Flugzeuge Chemikalien versprühen, die das Wetter – oder gar uns Menschen – steuern („Chemtrails“). Zugleich war das Angebot an validen Informationen und soliden Erklärungen noch nie so groß wie heute, und auch noch nie so niedrigschwellig. Originelle Erklärvideos auf Youtube, Wikipedia-Artikel, Vorlesungen und Fachliteratur sind nur einen Mausklick entfernt.

Werte sind vielen Menschen wichtiger als Wissen

Das Informationsangebot ist also da. Und es ist weitgehend so konfektioniert, dass jedermann es verstehen kann. Nur: Vielen Menschen geht es nicht allein um Wissen, sondern um Werte. Eine Reihe von Studien belegt, dass vorhandene Überzeugungen die Wahrnehmung von Fakten verzerren, bis hin zur Leugnung von Tatsachen. Viele Impfgegner sind hochgebildet. Doch die eindeutige Studienlage interessiert sie ebenso wenig wie die Mahnung von Ärzten.

Noch eines kommt hinzu: Der immer bessere Zugang zu Wissen und Quellen sowie die verstärkten Kommunikationsbemühungen aus der Wissenschaft heraus führen zu einer ungewollten Nebenwirkung. Innerwissenschaftliche Debatten und Unsicherheiten werden als Streit oder Unwissen wahrgenommen: „Der eine sagt so, der andere so.“ Das nutzen Lobbygruppen oft geschickt aus, um Zweifel zu schüren. Nur ein Beispiel aus den Geowissenschaften: Berühmtheit erlangte eine Sequenz aus dem Film „Gasland“, die nämlich zeigt, wie aus Wasserhähnen in den USA brennbares Gas kommt, und dies mit Fracking in Verbindung bringt. In Wirklichkeit kam aus dem Wasserhahn brennbares Methan, das natürlichen Ursprungs war und nichts mit Fracking zu tun hat.

"Marsch für die Wissenschaft" am 22. April

Wir am GFZ erforschen Fracking. Wir haben auch erforscht, wie man Kohlendioxid über eine Bohrung in den Untergrund bringt und speichert, wie es sich ausbreitet und wie es wieder zurückgeholt werden kann. Das Abscheiden und Speichern von CO2 (CCS für Carbon Capture and Storage) könnte eine Option sein, den Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre zu verringern. Darüber entscheiden aber nicht wir vom GFZ, sondern die Gesellschaft und deren demokratisch legitimierte Instanzen. Wir liefern das Wissen und die Daten, um auf Fakten basierende Entscheidungen zu ermöglichen. Wir zeigen Optionen auf, mit ihren Chancen und mit ihren Risiken. Und auch wir haben Werte. Vor allem aber haben wir die wissenschaftlichen Methoden, die unsere Ergebnisse möglichst wertfrei und transparent hervorbringen, sie auf jeden Fall überprüfbar machen.

Das gilt es jetzt mehr denn je zu kommunizieren. Und das geht weit über die Berichterstattung zu wissenschaftlichen Resultaten hinaus. In Zeiten, in denen vielfach Kompetenzen in den Wissenschaftsredaktionen abgebaut werden, wird eine transparente Kommunikation aus der Wissenschaft heraus immer wichtiger. Begleitet werden muss sie von einem unabhängigen Journalismus, der etwa über Stiftungen finanziert werden könnte. Zugleich aber muss die Forschung selbst klarmachen, dass sie es ist, die wissenschaftliche Optionen für faktenbasierte Entscheidungen bereitstellt.

Es ist jedoch nicht Aufgabe der Wissenschaft und auch nicht des Journalismus, diese Entscheidungen zu treffen. Es ist die Aufgabe der relevanten Entscheidungsträger. Hierfür ist der informierte Diskurs von zentraler Bedeutung. Wichtig ist, dass wir für unsere Methoden und unsere Überzeugungen einstehen müssen. Der „Marsch für die Wissenschaft“, bei dem am 22. April Forscherinnen und Forscher weltweit für den Wert von Wissenschaft und Forschung demonstrieren wollen, bietet dafür eine gute Gelegenheit.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam sowie Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft.

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