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Wider den Wurm. Alljährlich bekommen Kinder in Ländern südlich der Sahara, wie hier im Jemen, das Medikament Praziquantel. Ausrotten lassen sich die Parasiten, die vor allem bei Frauen schwere Formen der Bilharziose auslösen, damit aber nicht.

© Imago

Vernachlässigte Krankheiten: Schmerzhafte Urlaubssouvenirs

Eigentlich ist Bilharziose eine Tropenkrankheit. Doch auch Urlauber sind betroffen.

Seit drei Jahren ist Josephine verheiratet. Und noch immer hat sie kein Kind, mit Anfang zwanzig. Um halb sechs Uhr morgens ist sie aufgebrochen, hat all ihren Mut zusammengenommen, um sich im spartanisch ausgestatteten Gesundheitszentrum von Ébebda im ländlichen Kamerun von einem Gynäkologen untersuchen zu lassen. Mit leiser Stimme erzählt sie von unregelmäßigen Menstruationen, dem Ausbleiben ihrer Regelblutung, einem ständig schmerzenden Unterleib. Und neulich, bei der morgendlichen Reinigung der Scheide mit Waschwasser, habe sie mehrere Stellen gespürt, die sehr schmerzhaft waren. Wie so oft schreibt der Arzt „Verdacht auf Chlamydieninfektion“ in das Krankenblatt. Doch was Josephine plagt ist keine bakterielle Geschlechtskrankheit, sondern eine Bilharziose der Genitalien, eine durch Würmer verursachte Tropenseuche, die in nahezu allen Ländern südlich der Sahara vorkommt. Eine Infektion, die mittlerweile auch Frauenärzte in Deutschland bei manchen Patientinnen feststellen.

Deutsche Ärzte kennen die Symptome nicht

Meist handelt es sich um deutsche Touristinnen, die bei einer Abenteuerreise oder einer Safari mit verseuchtem Wasser in Kontakt gekommen sind, und bei denen sich die Erkrankung schleichend entwickelt hat. „Die Patientinnen in Deutschland haben ähnlich uncharakteristische Krankheitszeichen wie Frauen mit Genitalbilharziose in Afrika“, sagt Gertrud Helling-Giese, eine deutsche Frauenärztin, die die Krankheit von Untersuchungen in Malawi und Tansania kennt. „Da die Tropenkrankheit bei hiesigen Frauenärzten nicht bekannt ist, haben die Patientinnen meist eine jahrelange Leidensgeschichte hinter sich.“
In Kamerun gibt es kaum Möglichkeiten, eine Genitalbilharziose durch eine Laboruntersuchung zu bestätigen. Stattdessen bekommen Patientinnen wie Josephine ein Antibiotikum, das zwar gegen Chlamydien hilft, aber keine Würmer beseitigt.

Massenbehandlung kann die Krankheit nicht stoppen

Die Verbreitung der Parasiten versuchen die betroffenen Länder mit Hilfe eines eigenen Programms zu beschränken. Das hat allerdings eine Schwachstelle, wie Experten kürzlich bei einer Tagung in Kameruns Hauptstadt Yaoundé betonten. Die alljährliche Behandlung von Schulkindern mit dem Medikament Praziquantel funktioniert nur bedingt, da am Tag der Massenbehandlung immer nur ein Teil der infizierten Kinder in der Schule ist. Zu oft fehlen gerade diejenigen, die schwer an Bilharziose erkrankt sind. Diese Kinder scheiden aber besonders viele Wurmeier über Urin oder Stuhl aus und halten so den Vermehrungszyklus des Parasiten in Gang. Außerdem stellten die Experten fest, dass die jährliche Praziquantel-Dosis ohnehin nicht ausreicht, um die besonders gravierende Form der Bilharziose zu verhindern, die vielen Mädchen und Frauen in Afrika das Leben zur Hölle macht.

Normalerweise halten sich die schmarotzenden Würmer entweder in kleinen Blutgefäßen des Darms oder der Blase auf. Die von erwachsenen Parasiten kontinuierlich in großer Zahl freigesetzten Eier dringen in die Darm-, beziehungsweise Blasenwand ein und versuchen dann in den Hohlraum dieser Organe zu gelangen. Von dort werden sie mit Urin oder Stuhl ausgeschieden.

Frauen infizieren sich häufiger und stärker

Da im ländlichen Afrika sanitäre Anlagen Mangelware sind, entledigen sich die Menschen ihrer Exkremente möglichst in der Nähe eines Wasserreservoirs. In Ermangelung von Toilettenpapier reinigen sie sich anschließend mit Wasser. Tropische Schneckenarten, die in diesen Gewässern leben, dienen den Parasiten dann als Zwischenstation, bevor die nächste Wurmgeneration Menschen befällt, die mit dem infizierten Wasser in Berührung kommen.

Bei Frauen ist das Risiko einer Infektion besonders hoch. Sie holen täglich Trinkwasser für die Familie, baden die Kinder, waschen die Wäsche, tränken die Tiere und kommen so regelmäßig mit verseuchtem Wasser in Kontakt. Durch die häufigen Infektionen bleibt die Bilharziose bei ihnen auch nicht auf Blase oder Darm beschränkt, sondern löst auch in den Eierstöcken, Schamlippen und anderen Genitalorganen Wucherungen aus.

Solche hatte der englische Militärarzt Frederick C. Madden hatte bereits 1899 (50 Jahre nach der Entdeckung des Erregers durch den deutschen Pathologen Theodor Bilharz) bei einer jungen Frau in der Scheide entdeckt. Seine Vermutung, dass es sich um eine Extremform der Bilharziose handeln könnte, blieb in tropenmedizinischen Lehrbüchern bis vor Kurzem nur eine Randnotiz.

Womöglich 100 Millionen Frauen betroffen

Über die Häufigkeit der Genitalbilharziose gibt es daher bislang nur Mutmaßungen. Schätzungen gehen von 10 bis 100 Millionen Fällen für die Länder Afrikas südlich der Sahara aus. Das hängt zum einen mit den schlechten Diagnosemöglichkeiten zusammen. Zum anderen verheimlichen Frauen wie Josephine die Krankheit aus Scham. Für medizinische Laien sind die Symptome denen einer Geschlechtskrankheit zum Verwechseln ähnlich.

Die in den Venen von Blase und Darm schmarotzenden Erreger profitieren von einer Besonderheit der Blutgefäßstruktur des weiblichen Beckens. Bei der Frau sind nicht nur die inneren und äußeren Genitalorgane durch ein engmaschiges Netz feiner Blutgefäße miteinander verbunden, sondern über Querverbindungen auch mit den Venengeflechten von Blase und Darm. Die Parasiten haben also direkten Zugang zu den Eierstöcken und der Gebärmutter und von dort zur Scheide und zu den Schamlippen.

Die in den Venen der Genitalorgane freigesetzten Eier versuchen in die nächstgelegenen Hohlräume einzudringen, in diesem Fall Gebärmutter und Scheide. Da sie sich allerdings auf einem Irrweg befinden, bleiben die meisten in der anatomischen Sackgasse stecken. Das Immunsystem erkennt die Parasiten als fremd und versucht den Fremdkörper mit Entzündungszellen zu ummauern. Innerhalb einiger Wochen entsteht ein Fremdkörpergranulom in der Größe von etwa einem Kubikmillimeter. Gesundes Gewebe geht zu- grunde, und da jeden Tag mehrere hundert Eier nachfolgen, wird das betreffende Genitalorgan allmählich zerstört.

Verdächtigt, verachtet, verstoßen

„Je nachdem, wo die Entzündungsreaktion Genitalgewebe zerstört hat, entwickeln die Frauen unterschiedliche Krankheitszeichen“, sagt Gertrud Helling-Giese. „Entwickeln sich die Granulome am Gebärmuttermund, der Scheide oder den Schamlippen, so bilden sich Geschwüre.“ Jeder Genitalkontakt schmerze und ersticke jegliche Lust auf Sex. Im traditionellen Rollenverständnis ein Affront. „Ich habe ein Mädchen gesehen, bei der Eigranulome die Klitoris zerstört hatten und die Schamlippen durch Narben entstellt waren.“ Nach der Hochzeitsnacht habe der Mann sie verstoßen. „Für ihn waren die Veränderung am Genitale ein klarer Hinweis dafür, dass sie nicht unberührt war.“

Wie leicht Frauen mit Genitalbilharziose in den Verdacht der Untreue geraten, zeigen Daten einer Untersuchung: Partner von Frauen mit der Krankheit haben häufiger Kinder mit anderen Frauen als die Männer von gesunden Frauen.

Damit nicht genug, löst die Krankheit auch Menstruationsunregelmäßigkeiten aus – bis hin zur vollständigen Unfruchtbarkeit. Bekommt in einem afrikanischen Dorf eine jung verheiratete Frau keine Kinder, spricht sich das rasch herum. Es wird viel gemunkelt und die Schuld immer bei der Frau gesucht. Das der Unfruchtbarkeit anhaftende Stigma führt in die soziale Isolation. Im Regelfall gibt der Mann die Frau an die Eltern zurück. Oder aber sie wird einer neuen Frau untergeordnet und muss von nun an als Dienstmädchen arbeiten.

Genitalbilharziose macht empfänglicher für HIV

Als ob ein solches Schicksal nicht schon schwer genug zu ertragen wäre, machen die krankhaften Veränderungen in der Scheide und am Muttermund die Frauen auch noch besonders empfänglich für HIV. Gewebeuntersuchungen bei erkrankten Frauen haben gezeigt, dass es direkt unter der malträtierten Schleimhaut besonders viele Zellen gibt, in denen sich das Aids-Virus vermehren kann. Die Folge: Bei Frauen mit Genitalbilharziose steigt die Viruslast rasch an. Sie sind dann ihrerseits für Geschlechtspartner besonders infektiös und sind möglicherweise ein bislang unbeachteter Faktor in der Dynamik der Ausbreitung von Aids in Afrika südlich der Sahara. So fatal die Verknüpfung von Genitalbilharziose mit HIV ist, vielleicht hilft eben das der so lange vernachlässigten Tropenkrankheit endlich zu mehr Aufmerksamkeit in der internationalen Seuchenbekämpfung.

Hermann Feldmeier

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