zum Hauptinhalt
„Die Mauer möglichst hoch bauen“. Eine Demo von Trump-Anhängern.

© AFP

Verhaltensforschung: Die verführerische Macht der Masse

Viele Menschen neigen in der Gruppe zu Extremen. Wie das Verhalten verändert wird, erforscht der Experimentalpsychologe Daniel Richardson.

Menschen, die in einer Gruppe agieren, können zu Extremen neigen. Das gilt für Massenversammlungen, man denke etwa an die Anhänger Donald Trumps, die im Chor bei Wahlveranstaltungen „Lock her up“ brüllten, gemünzt auf Hillary Clinton. Dass Menschen gemeinsam extremere Entscheidungen treffen als allein, tritt als Effekt aber genauso bei Experten auf einem Gebiet auf. „Beispiele für katastrophale Entscheidungen hochqualifizierter Gruppen sind die Invasion in der Schweinebucht und der letzte Irakkrieg. Im amerikanischen Militär ist dieser Effekt als inzestuöse Amplifikation bekannt“, sagt Daniel Richardson, Experimentalpsychologe am University College London.

Intelligente Menschen lassen sich von der Gruppe stärker beeinflussen

Richardson ist Experte für das Thema: Er erforscht Massendynamiken und menschliches Verhalten in Gruppen. Was genau geschieht in solchen Ansammlungen? Prinzipiell sei der Mensch nun einmal ein Herdentier, sagt Richardson: „Wir fühlen uns gerne einer Gruppe zugehörig – und Gruppen folgen meist einem Anführer.“ Nach dessen Meinung richten sich dann auch die meisten, denn es sei äußerst unangenehm, der Mehrheit einer Gruppe zu widersprechen und von dieser ausgeschlossen zu werden.

Überraschen dürfte, dass sich intelligente Menschen manchmal von einer Gruppenmeinung noch stärker beeinflussen als andere. Das haben der Yale-Professor Dan Kahan und seine Kollegen bei einem Mathematik-Experiment herausgefunden. Hochqualifizierte Probanden interpretierten umso eher Zahlen falsch, wenn diese ihren politischen Ansichten widersprachen. In einem Experiment wurde den Probanden eine fiktive Studie zur Auswirkung von Waffengesetzen auf die Kriminalitätsrate vorgelegt. Das Ergebnis: Mathematisch versierte Probanden, die den Demokraten nahestanden, erzielten gute Ergebnisse, wenn die Daten ihre Pro-Waffengesetz-Haltung unterstützten. Sie lagen falsch, wenn die Zahlen besagten, dass lockere Waffengesetze die Kriminalitätsrate sinken ließen. Umgekehrt verhielt es sich bei eher republikanisch gesinnten Probanden.

Der Gleichschritt ebnet den Weg zu extremem Verhalten

Es reicht also schon, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen, damit das Verhalten von dieser beeinflusst wird. Eine Erklärung für die Festgefahrenheit des politischen Dialogs in vielen Ländern: Wenn die Meinung schon vorher feststeht, sind wir kaum vom Gegenteil zu überzeugen.

Gruppendynamik kann noch extremere Folgen haben. In einer Studie der University of Southern California ließ Scott Wiltermuth Probanden zunächst auf einem Parkplatz umhergehen. Einige sollten im Gleichschritt mit einem Wissenschaftler laufen. Anschließend forderte dieser Forscher die Studienteilnehmer dazu auf, für ein Experiment Asseln in einen Filter zu werfen. Die Ergebnisse sind bezeichnend: Wer vorher im Gleichschritt lief, tötete im Durchschnitt 54 Prozent mehr Asseln als die anderen.

„Man kann natürlich sagen, es handelt sich bloß um Asseln, was ist da schon dabei?“, sagt Richardson. Er sieht in Wiltermuths Ergebnissen allerdings ein Muster, das sich auch auf andere Bereich anwenden lässt: „Jede Armee dieser Welt marschiert. Es gibt keinen strategischen Grund mehr dafür, keine Armee marschiert noch gegen Panzer an“, erklärt er. „Aber synchron ausgeführte Handlungen fühlen sich gut an, das haben Studien gezeigt – genauso wie gemeinsames Singen oder Sprechchöre. Aber sie führen auch dazu, dass wir eher geneigt sind, Autoritätspersonen zu folgen und ihre Befehle nicht zu hinterfragen.“

Gruppendynamik versus Schwarmintelligenz

Aber spricht man nicht von Schwarmintelligenz? „Dieses Phänomen gibt es“, sagt Richardson. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, wie schon vor 100 Jahren ein Experiment zeigte: Dorfbewohner sollten das Gewicht einer Kuh schätzen. Tippte jeder einzeln, kam der Mittelwert der Schätzwerte dem richtigen Ergebnis nahe. Wurde dagegen in der Gruppe getippt, lagen die Ergebnisse daneben. Auf heute übertragen bedeute das: „Wenn eine Gruppendiskussion anonym stattfindet, also etwa per WhatsApp, treten negative Effekte nicht auf“, so Richardson. Zudem muss sich jeder vorher allein Gedanken gemacht haben.

Eine Überlegung wäre das wert – im Berufsleben würde es uns vielleicht vor Brainstorming-Sitzungen bewahren. Die sind nach gängiger Forschungsmeinung ineffektiv.

Zur Startseite