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George Turner war Berliner Wissenschaftssenator, Präsident der Universität Hohenheim und Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz - und ist Kolumnist des Tagesspiegels.

© Mike Wolff

Turners Thesen: Es gibt zu viele Doktoranden

Die Fakultäten sollten prüfen, ob es bloß um den Erwerb des Titels geht oder wirklich um Forschung, meint unser Kolumnist George Turner, Wissenschaftssenator a.D.

Zu Recht wird die prekäre Situation von Nachwuchswissenschaftlern beklagt. Von fast 150.000 Personen seien rund 90 Prozent auf befristete Stellen angewiesen, allerdings nicht, wie fälschlich behauptet wird, größtenteils mit einer Laufzeit unter zwölf Monaten. Das trifft nur für einen kleineren Teil zu, macht deren Situation aber besonders heikel. Eine Besserung soll erreicht werden über Förderprogramme, etwa durch Schaffung von Stellen nach dem Tenure-Track-Modell. Das bietet die Chance, nach einer befristeten Bewährungszeit eine Stelle auf Lebenszeit an der eigenen Hochschule zu erhalten.

In den 1970ern wurde kurzatmig reformiert

Das hat es bereits gegeben: Dabei handelte es sich um Stellen für die sogenannten Nichtordinarien, die nach der Habilitation (und – in der Regel – einer gewissen Bewährungszeit) besetzt werden konnten. Mit kurzatmigen Reformen in den 1970ern wurde nicht nur der als diskriminierend empfundene Begriff, sondern auch die Stellenkategorie beseitigt. Zwar blieben Besoldungsgruppen bestehen (seinerzeit die C2-C4-Besoldung); das Verbot der Hausberufung aber galt hinfort (grundsätzlich) auch für Positionen der niedrigeren Besoldungsstufe. Damit konnte die Situation für Nachwuchswissenschaftler in der Tat prekär werden, wenn sie keinen Ruf an eine auswärtige Hochschule erhielten und die Laufzeit der besetzten Stelle endete.

So begrüßenswert das Bemühen um Verbesserung der Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses ist, so sehr sollte man darauf achten, dass nicht Begriffe und Anliegen durcheinandergeraten. Nicht alle begonnenen Promotionen qualifizieren die Kandidaten (m/w) zu Nachwuchswissenschaftlern. Eine Differenzierung wäre denkbar, wenn die zuständigen Fakultäten bereits bei der Annahme der Doktorand/inn/en sorgfältig vorgingen. Das jeweils in Rede stehende Fachgebiet (gegebenenfalls die/der Betreuer/in) und die Themen können Rückschlüsse darauf erlauben, ob es sich um eine Arbeit handelt, auf deren Bearbeiter der Begriff Nachwuchswissenschaftler zutrifft oder ob es lediglich um den Erwerb des Titels geht.

"Schüler" zu generieren, gehört zum Prestige

Durch die Vermehrung der Professoren (neue Stellen, Überleitungen und Gleichstellung von Nichtordinarien) ist die Zahl derjenigen, die Dissertationsthemen vergeben, erheblich gestiegen. Es gehört schon zum Prestige, eigene Doktoranden um sich zu scharen und so auch „Schüler“ zu generieren. Dadurch kommt es zu einer Überproduktion von Dissertationen mit dem nicht immer zutreffenden Eindruck, es handle sich um „Forschung“ und die Bearbeitung erfolge durch Wissenschaftler in spe. - Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail senden: george.turner@t-online.de

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