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Ein Gerät zur Ausgabe von Methadon.

© picture alliance / Uli Deck/dpa

Tumor-Therapie: Krebsbehandlung: Hype um Methadon

Hilft der Drogenersatz Methadon gegen Krebs? Er könnte als Verstärker für Chemotherapien wirken. Doch bis zur Anwendungsreife ist es noch weit.

„Was passiert, wenn ein Wirkstoff Hoffnung verspricht, nur eben keinen Profit?“ Bereits in der Ausgangsfrage eines Beitrags der ARD-Sendung „PlusMinus“, der seit April hohe Wellen geschlagen hat, steckte eine Unterstellung. Weil es um Krebs geht, wäre es besonders schlimm, wenn sie zutrifft.

Alles dreht sich um den Wirkstoff Methadon, bekannt als Mittel zum Drogenersatz, als Opioid auch gegen Schmerzen einsetzbar. Die Hoffnung, von der jetzt das Land redet, reicht jedoch weiter. Sie lautet: Methadon-Tropfen können helfen, bisher unheilbaren Krebs zu besiegen.

Die Hoffnungen gründen sich auf die Grundlagenforschung

Genau das bezeugten vor laufender Kamera Menschen mit ihrer Krankengeschichte. Etwa eine Frau, die unter einem Glioblastom litt. Also einem bösartigen Tumor im Gehirn, der von Operationen, Strahlen- und Chemotherapie meist nur kurzzeitig in Schach gehalten werden kann. Die mittlere Lebenserwartung liegt bei 14 Monaten.

Die Hoffnungen gründen sich auf Grundlagenforschung der Chemikerin Claudia Friesen, die am Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm tätig ist. In einer Studie, die 2014 im Fachblatt „Cell Cycle“ publiziert wurde, konnten sie und ihre Mitstreiter im Laborversuch und bei Mäusen darlegen, dass Methadon die Wirkung zellgiftiger Substanzen verstärkt, die in der Chemotherapie gegen den Krebs eingesetzt werden. Es erzielt diesen Effekt, indem es Andockstellen für Opioide auf der Oberfläche von Tumorzellen aktiviert. Die wiederum halten ein Signalmolekül in Schach, das Krebszellen gegenüber der Therapie unempfindlich macht. Damit kommt Methadon nach Meinung der Forscher als Verstärker für Chemotherapien infrage.

Fachgesellschaft warnt vor unrealistischen Erwartungen

Eine bestechende Idee. Vom Reagenzglas und vom Tierversuch bis zur Realität des menschlichen Organismus ist es allerdings ein weiter Weg. Iduna Fichtner vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, die an der Friesen-Untersuchung beteiligt war, betont: „Ich halte eine klinische Studie für unbedingt erforderlich und würde es begrüßen, wenn diese gefördert würde.“

Neben Geld kostet das auch Zeit. Lebensbedrohlich Erkrankte haben darauf eine andere Perspektive. „Patienten scheinen die Verweise auf in-vitro- und tierexperimentelle Ergebnisse sowie die suggestiven anekdotischen Berichte so zu überzeugen, dass sie die Behandlung mit Methadon aktiv einfordern“, schrieb kürzlich das Fachblatt „arznei-telegramm“, das von zahlreichen Ärzten um eine Einschätzung gebeten wurde.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie bezieht Stellung. Die Fachgesellschaft warnt vor unrealistischen Erwartungen an Methadon und vor den möglichen Gefahren, die vor allem die Einnahme der Tropfen in höherer Dosierung mit sich bringen kann. Die Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft kritisierte bereits vor zwei Jahren Tendenzen, die bisher noch experimentelle Behandlung zu propagieren.

Patienten drängen darauf, mit Methadon behandelt zu werden

Im Drängen der Patienten, die durch die Medienberichte Hoffnung schöpfen, sehen die Fachleute eine Herausforderung für die wissenschaftlich begründete Behandlung, auf die sich Experten in Leitlinien geeinigt haben.

Inzwischen liegen Ergebnisse einer ersten kleinen Studie mit Patienten vor, die an Hirntumoren erkrankt sind. In der im März im Fachblatt „Anticancer Research“ erschienenen rückblickenden Analyse von Neurochirurgen der Charité wurde danach geschaut, ob Methadon für die 27 Patienten, die es begleitend zur Chemotherapie einnahmen, verträglich war. Ob die Tropfen ihnen auch ein längeres und besseres Leben bescheren, ist derzeit noch nicht zu beurteilen.

„Wir erachten diese Daten als völlig unzureichend, um die Auswirkungen von Methadon auf Überleben und Lebensqualität beurteilen zu können“, lautet die kritische Einschätzung im „arznei-telegramm“. Dessen Autoren weisen zudem darauf hin, dass Hinweise aus den USA pessimistisch stimmen: Krebspatienten, die wegen Schmerzen Methadon bekamen (und teilweise gleichzeitig eine Chemotherapie durchliefen), lebten laut einer kürzlich im „Journal of Palliative Medicine“ erschienenen rückwirkenden Analyse nicht länger als solche, die ein anderes Opioid einnahmen.

Es fehlen Daten aus Zellkulturen, die Wirksamkeit von Methadon beweisen

Dass unabhängige klinische Forschung hierzulande zu wenig gefördert wird, ist eine unbefriedigende, vielfach kritisierte Situation. Es stimmt aber nicht, dass überhaupt kein Interesse und keine Möglichkeiten zur weiteren Erforschung von Methadon in der Tumortherapie bestehen. So plant der Neurologe Wolfgang Wick von der Uniklinik in Heidelberg, der in der ARD-Sendung vor voreiligen Hoffnungen warnte und dort wegen der von ihm offengelegten Verbindungen zur Pharmafirma Roche angegriffen wurde, eine Studie mit Hirntumor-Patienten.

Und Magen-Darm-Spezialisten von der Uniklinik in Ulm, wo die Grundlagenforscherin Friesen tätig ist, haben einen genauen Plan für eine Studie, mit der sie herausfinden wollen, ob Methadon in verzweifelten Fällen gegen Darmkrebs helfen könnte. Was noch fehlt, sind Daten aus Zellkulturen, die belegen, dass Methadon auch bei dieser Krebsform und bei den Chemotherapien, die hier zum Einsatz kommen, als Verstärker wirkt.

Die Forscher sind auf der Spur

Ohne solche Hinweise aus der vorklinischen Forschung hat eine Studie keine Aussicht auf Erfolg bei der unabhängigen Begutachtung, ohne sie können sich seriöse Klinikärzte nicht an die Arbeit machen. „Frau Friesen hat diese Daten und sie hat zugesagt, sie in das Konzept einzubringen“, berichtet Seufferlein im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Die Forscher sind also auf der Spur, wenn auch in einem anderen Tempo als die Patienten. Schon seit Monaten erreichen die Klinik E-Mails von Patienten mit Dickdarmkrebs, die mit Methadon behandelt werden wollen. Auf keinen Fall dürfe der momentane Hype dazu führen, dass Krebskranke gut belegte Therapien ablehnen, weil sie ihre ganze Hoffnung auf eine vermeintliche Alternative setzen, sagt Seufferlein.

Welche Rolle der Zufall bei der Schicksalsfrage spielt, ob jemand an Krebs erkrankt oder nicht, lesen Sie hier.

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