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Seelennahrung. Schokolade kann auch trösten, so wie im Film „Bridget Jones. Am Rande des Wahnsinns“.

© picture-alliance / Mary Evans Pi

Süße Versuchung Schokolade: Jetzt! Mehr!

Schokolade ist unwiderstehlich. Doch das liegt weniger am Geschmack als an Signalen im Gehirn. Sie sagen uns: "Iss jetzt!" und "Iss mehr davon!"

Fast jeder kennt es. Man öffnet eine Tafel Schokolade und denkt: „Nur ein paar Stückchen, höchstens ein Riegel. Dann ist Schluss.“ Doch ehe man sich versieht, sind alle guten Vorsätze in den Wind geschrieben und eine halbe Tafel ist weg. Wie Kent Berridge und seine Kollegen von der US-Universität von Michigan in Ann Arbor nun in einer Studie mit Ratten zeigen konnten, liegt das nicht unbedingt am Geschmack. Vielmehr wird tief im Gehirn, im hinteren Teil des Striatums, ein körpereigenes Opiat namens Enkephalin ausgeschüttet. Und dieses signalisiert uns: „Iss jetzt!“ und „Iss mehr davon!“; es steigert also Gier. Spritzt man einer Ratte durch feine Nadeln Enkephalin in genau diese Hirnregion, zeigt sich seine enorme Wirkung. Die Ratte verputzt anschließend im Schnitt 17 Gramm Schokoladendragees. Das entspricht etwa fünf Prozent ihres Körpergewichts, schreiben die Forscher im Fachjournal „Current Biology“. Zum Vergleich: Ein 68 Kilo schwerer Mensch müsste sich dazu mit 3,6 Kilo Schokolade vollstopfen. Freiwillig. Für den Laien klingt das fast wie eine Sucht, also wie ein Zustand, bei dem das Belohnungssystem des Gehirns außer Kontrolle ist. Daran dürfte aber der hintere Teil des Striatums gar nicht beteiligt sein. Bisher dachte man, dass er lediglich Bewegungen und Gewohnheiten beeinflusst. Nur der vordere Abschnitt des Striatums ist als Bestandteil des Belohnungssystems anerkannt – unter anderem im Zusammenspiel mit einem Knubbel Nervenzellen namens Nucleus accumbens (das „Lustzentrum“) und dem vorderen Teil des Tegmentums, einer weiteren Struktur im Mittelhirn. Außerdem wird Motivation vor allem über den Botenstoff Dopamin reguliert. Den Opioiden schrieb man eher das „Mögen“ zu. „Das Gehirn hat also ausgedehntere Systeme, die uns Belohnungen im Übermaß konsumieren lassen, als man bisher wusste“, sagt Alexandra DiFeliceantonio, die Erstautorin der Studie.

Sie und ihre Kollegen wiesen das in einer Reihe von Experimenten mit Ratten nach. Zunächst pflanzten die Forscher den Tieren je eine feine Sonde in den hinteren Teil des Striatums ein. Sie maß dort die Konzentration von Hirnbotenstoffen – in Ruhe, beim Putzen oder Spielen, beim Annagen von Holzstückchen und beim Schokoladendragees fressen. Wurden ihnen Schokodragees vorgesetzt, ließen sich die Ratten nicht lange bitten. Obwohl sie nicht hungrig waren, verspeisten sie binnen zwanzig Minuten zehn Stück. Nur bei dieser Aktivität veränderte sich ihr Enkephalin-Spiegel: Er stieg während der Schokomahlzeit um etwa 150 Prozent und ebbte erst ab, als die Ratten langsamer fraßen. 40 Minuten später war er wieder auf Normalniveau. Außerdem stellten die Forscher fest, dass die Ratten, die sich am schnellsten über die Schokolade hermachten, auch den höchsten Enkephalin-Anstieg hatten. Mit Bewegung oder anderen Gewohnheiten hatte der Botenstoff also offenbar nichts zu tun. Das zeigte auch ein zweites Experiment. Wenn den Ratten zusätzliches Enkephalin in die Hirnregion gespritzt wurde, fingen sie extrem schnell mit dem Fressen an und verschlangen doppelt so viele Schokodragees wie zuvor. In einem dritten Versuch maßen die Forscher, ob Schokolade für Ratten eine besonders leckere Süßigkeit ist. Dafür nahmen sie die Reaktionen der Ratten auf Zuckerlösung und die Dragees auf Video auf und verglichen sie. Ähnlich wie ein Baby lächelt, wenn es etwas Süßes auf die Lippen gestrichen bekommt, reagieren auch Ratten mit typischen Signalen, wenn sie eine Speise mögen: Sie lecken sich unter anderem die Lippen und lassen die Zunge ein Stückchen aus dem Maul stehen. Diese Reaktionen waren bei beiden Süßspeisen gleich, das Enkephalin signalisierte also nur „Iss jetzt!“ und „Iss mehr!“, nicht aber „Himmlisch!“. Dieser bislang unterschätzte Hirnschaltkreis könnte somit sowohl für die normale Motivation, aber auch bei Ess- und Zwangsstörungen oder Drogenabhängigkeit eine wichtige Rolle spielen, lautet das Fazit der Forscher.

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