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Vergebliche Büffelei? Deutschland rutscht im internationalen Bildungsvergleich ab, bilanziert die IGLU-Studie.

© imago/photothek

Studie zu Lesekompetenz: Das deutsche Iglu schmilzt

In Sachen Lesekompetenz ging es Deutschland lange zu gut, Reformen wurden verschlafen. Jetzt muss es heißen: Viel hilft viel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Amory Burchard

Iglu und Pisa, welch bezeichnende Namen für die Misere des deutschen Bildungssystems. Der Pisa-Schock 2001 bedeutete für Deutschland, dass das Gedankengebäude von guten Schulen im Land der Dichter und Denker einstürzte – im Gegensatz zum schiefen Turm. Sogleich setzte reger Reformbetrieb ein. Tatsächlich haben die 15-Jährigen in Deutschland aufgeholt, arbeiteten sich zumindest vorübergehend an die internationale Spitze vor.

Die Fassade des maroden Defizitbetriebs Schule ist rissig

„Iglu“ war dagegen von Anfang an eine freundliche Behausung für Viertklässler. Das Logo der „Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung“ – ein schmökerndes Inuit-Kind vor seinem Schneehaus – stand seit der ersten, 2002 publizierten Studie für vergleichsweise gute Leseleistungen. Doch jetzt schmilzt das Iglu, erweist sich als rissige Fassade eines vielerorts maroden Defizitbetriebs. International sind die deutschen Grundschüler aus dem oberen Drittel ins untere Mittelfeld abgesackt. Und das trotz eines fast unveränderten Leistungsmittelwerts. Andere Länder haben sich stark verbessert und sind vorbeigezogen. Vielleicht ging es Deutschland zu gut im gemütlichen Iglu, Reformansätze blieben stecken.

Eine weiche Stelle hatte das deutsche Iglu schon immer: Die Schulen schaffen es nicht, Startnachteile von Kindern aus bildungsfernen Familien auszugleichen. Seien es vererbte soziale Schieflagen oder zusätzlich ein Migrationshintergrund von Eltern, die keine gute Bildung mitbringen: In solchen Haushalten finden sich in aller Regel kaum Bücher, die liebevoll mit Kindern gelesen werden.

Aber Bücher und Leselust könnten immer noch zu den Kindern gelangen. In einem von der Krippe an dermaßen ausgebauten Bildungssystem wie dem deutschen dürften sie gar nicht daran vorbeikommen. 66 Prozent der Zweijährigen und 98 Prozent der Fünfjährigen sind in der Kindertagesbetreuung, selbstredend alle in der Grundschule. Lesen mit Kindern ist in der Erzieherausbildung ein großes Thema und wird auch praktiziert. Und in der Grundschule geht es anfangs um kaum etwas anderes als das Lesenlernen.

Was zu Hause fehlt, gleicht der Staat nicht aus

Doch so unglaublich es klingt: Die Kinder, denen es zu Hause an Anregungen mangelt, treffen in Kitas und Schulen nicht auf eine durchgehend gute Qualität der Leseförderung. Ja, es gibt überall prima Leseecken, Lehrkräfte engagieren sich ebenso wie Lesepaten, führen die Kinder an die Bildungssprache heran. Doch die vielen tollen Leseprogramme sind oft nur Modellprojekte, die nicht allen Schülern zugutekommen. Abgesehen davon, dass ihre Wirksamkeit nicht systematisch überprüft wird.

Zu viel hängt folglich an einzelnen Erzieher- oder Lehrerpersönlichkeiten. Aber selbst wenn sie gut ausgebildet sind – was angesichts des reformbedürftigen Lehramtsstudiums und vieler Quereinsteiger in Grundschulen viel zu oft nicht der Fall ist –, werden sie buchstäblich alleingelassen. Der wachsenden Klientel mit Förderbedarf kann nicht eine einzelne Lehrkraft in der Klasse gerecht werden. Hier würde viel wirklich einmal viel helfen – und das Potenzial ist da: Lehramtsstudierende in die Schulen, Assistenzlehrer als Einstieg in den Quereinstieg, Lesepaten und Eltern einbinden – und lesen, lesen, lesen!

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