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Grün und gespritzt. Auch im Weinbau wird Glyphosat gegen Unkraut eingesetzt.

© imago/CHROMORANGE

Streit um wichtiges Pestizid: „Kein Krebsrisiko durch Glyphosat“

Kann das Pflanzenschutzmittel Glyphosat Krebs auslösen? Der Pestizidexperte Roland Solecki verteidigt die Bewertung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung.

Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ist ins Gerede gekommen. Vor allem, weil die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC, die der Weltgesundheitsorganisation untersteht, das Herbizid im März als vermutlich krebserregend eingestuft hat. Das steht im Widerspruch zur Bewertung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und anderer Zulassungsbehörden. Wie erklärt sich der Unterschied?

Das BfR ist nach wie vor der Ansicht, dass bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft kein krebserzeugendes oder ein anderes gesundheitliches Risiko für den Menschen zu erwarten ist. Grundsätzlich besteht die Aufgabe der IARC eher darin, die Aufmerksamkeit auf Stoffe zu richten, die weniger bekannt sind und bei ihnen auf Gefahren und Forschungsbedarf hinzuweisen. Die IARC bewertet ganz allgemein Gefahren, unsere Einschätzung ist umfassender und berücksichtigt auch die Belastung der Anwender und Rückstände in der Umwelt oder der Nahrung. Wir haben das IARC-Gutachten in einem Anhang zu unserer eigenen Bewertung ausgewertet. Am morgigen Dienstag (29. September) werden wir in einer Videokonferenz der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA gemeinsam mit anderen Fachleuten, darunter auch solchen der IARC, über die Unterschiede in der Einschätzung diskutieren und zu einem Entschluss kommen.

Wie geht es weiter?

Im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung war eine Neubewertung von Glyphosat erforderlich. Wir wurden beauftragt, das gesundheitliche Risiko einzuschätzen. Mehr als 1000 Studien und Dokumente wurden ausgewertet. Der erste Entwurf wurde Ende 2013 vorgelegt, nach öffentlicher Diskussion überarbeitet und ein Jahr später an die EFSA weitergeleitet, eine weitere Überarbeitung erfolgte nach dem Expertentreffen in der EFSA im Februar 2015. Dann kam im März 2015 die Bewertung durch die IARC, die wir nun auch noch berücksichtigt haben. Wegen dieser Verzögerungen musste die alte Genehmigung, die bis Ende 2015 lief, um ein halbes Jahr bis Mitte 2016 verlängert werden. Das Ergebnis der finalen EFSA-Konsultation am morgigen Dienstag muss von allen Mitgliedsstaaten bestätigt werden, so dass ich davon ausgehe, dass die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten erst im März 2016 eine Entscheidung über die Verlängerung haben.

Es gibt Kritik daran, dass Ihre Stellungnahme nicht öffentlich ist. Man wirft Ihnen Geheimniskrämerei vor.

In dem Verfahren wurde die Öffentlichkeit umfangreich beteiligt, wie in allen anderen Beratungen zu neu und erneut bewerteten Pflanzenschutzmitteln auch. Aber die abschließende wissenschaftliche Diskussion mit den Experten der Mitgliedsstaaten muss ungestört von politischer Einflussnahme erfolgen. Sobald die EFSA einen Beschluss gefasst hat, wird alles veröffentlicht. Ansonsten wird ständig versucht, von außen Druck auszuüben, und alles verzögert sich.

Sie haben gesagt, dass Sie in Teilen mit der Einschätzung der IARC übereinstimmen.

Das betrifft die epidemiologischen Studien. Also jene Untersuchungen, in denen die Auswirkungen etwa auf Landwirte oder Landarbeiter geprüft wurden. Das wesentliche Ergebnis ist, dass es begrenzte Hinweise darauf gibt, dass eine Verbindung zwischen Glyphosat-Aufnahme und dem Non-Hodgkin-Lymphom (Lymphknotenkrebs) bestehen kann. Wir können aber andere Einflüsse und auch Zufall nicht ausschließen. Bei der Interpretation ist daher Vorsicht geboten. Solche Art von Studien kann keine ursächlichen Zusammenhänge aufdecken, sondern lediglich Hinweise liefern – aber die nehmen wir ernst.

Wo stimmen Sie nicht überein?

Das betrifft die Untersuchungen an Versuchstieren, die Glyphosat zu fressen bekamen. Sie waren ausschlaggebend für die Bewertung der Krebsagentur, das Pflanzenschutzmittel als wahrscheinlich krebserregend einzustufen. Wir haben elf Studien berücksichtigt, die IARC lediglich drei. In einer der Versuchsreihen wurden bei Mäusen Nierentumoren beobachtet. Allerdings traten die Geschwülste nur bei extrem hoher Dosierung von 4000 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht nach Verabreichung über zwei Jahre auf. Für den Menschen sind schon einmalige Dosierungen ab 1000 Milligramm/Kilogramm tödlich. Deshalb ist diese Studie nicht stichhaltig. In einer zweiten Untersuchung wurden Hämangiosarkome bei Mäusen gefunden, eine Art Bindegewebskrebs. Aber diesen Befund hat das JMPR, die Pestizid-Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation, schon 2004 als nicht aussagekräftig gewertet. Bleibt noch eine Studie an Ratten, bei der ein Trend zu Bauchspeicheldrüsenkrebs festgestellt wurde. Allerdings nicht bei hoher, sondern niedriger Dosierung. Auch dort konnten wir die Bewertung der IARC nicht nachvollziehen.

Roland Solecki leitet die Abteilung "Sicherheit von Pestiziden" beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Er ist verantwortlich für die Bewertung von Glyphosat.
Roland Solecki leitet die Abteilung "Sicherheit von Pestiziden" beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Er ist verantwortlich für die Bewertung von Glyphosat.

© BfR

Die IARC weist auch darauf hin, dass bei Zellversuchen mit Glyphosat genetische Veränderungen, Genotoxizität, festgestellt wurden. Die werden auch mit Krebs in Verbindung gebracht. Wie bewerten Sie das?

Wir haben viele Studien mit dem reinen Wirkstoff bewertet, in denen keine Genotoxizität nachweisbar war. Die IARC hat auf der Basis anderer Arbeitsgrundlagen vor allem Untersuchungen bewertet, in denen auch glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel geprüft worden sind. Der Verdacht, dass die neben Glyphosat verwandten Beistoffe Genveränderungen auslösen können, besteht. Deshalb schlagen wir vor, dass nach der Wirkstoffgenehmigung bei der darauf folgenden Zulassung eines jeden Pflanzenschutzmittels geprüft wird, ob die Mischungen mit Glyphosat möglicherweise Genveränderungen hervorrufen.

Die Grünen werfen dem BfR vor, systematisch Studien zu Glyphosat falsch eingeschätzt zu haben und fordern eine Untersuchung durch die Bundesregierung.

Uns geht es um die wissenschaftliche Bewertung, ich habe mich nie durch Druck von außen beeinflussen lassen. Es tut mir leid für meine Mitarbeiter, die hervorragende Arbeit leisten. Wir sind eine der kritischsten Behörden in der Pflanzenschutzmittel-Bewertung in Europa. Mit solchen Unterstellungen wird unsere Glaubwürdigkeit untergraben, am Ende spielt man damit fragwürdigen Industrieinteressen in die Hände.

Ende Juni berichteten die Grünen, dass in 16 Muttermilchproben Glyphosat gefunden wurde. Das erschreckte viele Frauen.

Auch für uns war das ein Schock. Hunderte Mütter riefen an und sagten, sie würden mit dem Stillen aufhören. Glyphosat reichert sich im Körper nicht an, erst recht nicht in Fettgewebe oder Muttermilch. Man findet es in geringen, unbedenklichen Spuren im Urin. Der von dem Labor benutzte Test ist nicht für Muttermilch geeignet. Da kann er leicht falschen Alarm schlagen. Wir haben zwei erfahrene Labors mit der unabhängigen Entwicklung von Tests beauftragt. Die ersten Ergebnisse aus 50 Muttermilchproben liegen nun vor: Es ist kein Glyphosat drin, und das ist gut so. Glyphosat hat in der Muttermilch nichts verloren.

Wie schätzen Sie Glyphosat ein, im Vergleich zu anderen Pflanzenschutzmitteln?

Glyphosat ist relativ wenig giftig für den Menschen. Wenn es um eine akute, also plötzlich zugeführte Dosis geht, sind Kochsalz oder das Schmerzmittel Paracetamol gefährlicher. Die Masse der Pflanzenschutzmittelwirkstoffe ist deutlich gefährlicher, allerdings sind da die eingesetzten Mengen und die Grenzwerte niedriger. Trotzdem stellt sich die Frage, ob ein Austausch von Glyphosat die Probleme nicht größer statt kleiner macht.

(Die Fragen stellte Hartmut Wewetzer.)

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