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Eine Frau mit Kopftuch hält einem älteren Mann ein Schild entgegen, die Aufschrift besagt unter anderem: Herzlichen Dank an alle Deutsche.

© Martin Schutt / picture alliance / dpa

Streit um Thesen zur Migration: Professoraler Populismus

Gedanken zum Fall Baberowski: Warum Historiker den Versuchungen der Demagogie widerstehen sollten. Ein Gastbeitrag.

Der Berliner Historiker Jörg Baberowski, Professor an der Humboldt-Universität, hat einen guten Ruf als Kommunismus- und Osteuropaexperte, insbesondere als Stalinismusfachmann. Geschätzt ist er bei manchen auch außerhalb der Universität wegen der Kraft seiner Rede und dem Freimut, mit dem er seiner Gesinnung Ausdruck verleiht, als Talkshow-Gast, Interviewpartner und Erzeuger von Statements zu aktuellen Problemen.

Diese Gesinnung darf man ungestraft rechtsradikal nennen, wie das Oberlandesgericht Köln dieser Tage wissen ließ: Baberowski war deswegen mit dem Asta der Universität Bremen im Streit gelegen. Die Studierenden hatten nach einem Auftritt des Gelehrten in Bremen im vergangenen Jahr, gestützt auf Zitate, den Vorwurf erhoben, Baberowski vertrete rechtsradikale Positionen, verharmlose Gewalt gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte und er argumentiere rassistisch.

Wie viele Wortgewaltige empfindsam in eigener Sache

Der Professor, wie viele Wortgewaltige äußerst empfindsam in eigener Sache, verklagte die Bremer Studentenvertretung und bekam in erster Instanz zum Teil Recht: Rassistisch dürfe man ihn nicht nennen, entschied das Landgericht Köln. Aber schon das Urteil erster Instanz wollte die von den Studenten vorgenommene Verortung Baberowskis im politischen Spektrum als rechtsradikal nicht als Schmähkritik verstanden wissen. Vielmehr – „weil der erforderliche Sachbezug gegeben ist“ – dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung den Vorzug geben.

Das Gericht zitierte dazu eine Äußerung Baberowskis, die von ihm nicht bestritten wurde, dass nämlich die Integration von Geflüchteten zu werten sei als „Unterbrechung des deutschen Überlieferungszusammenhanges und folglich als Bedrohung für den sozialen Kitt, der unsere Gesellschaft einmal zusammengehalten hat“. In der zweiten Instanz ging das Oberlandesgericht Köln Anfang Juni einen Schritt weiter und bestätigte eindrucksvoll, dass Meinungsfreiheit durch Verbotsanträge aus gekränkter Meinungsfreude nicht leicht und schnell auszuhebeln ist.

Standesbewusste oder politisch konforme Unterstützer

Zur Causa Baberowski ist alles gesagt, in dieser Zeitung bereits am 28. April, in der „Frankfurter Rundschau“ am 10. Juni durch einen prominenten Rechtsprofessor mit Bezug auf das aktuelle Urteil. Die Humboldt-Universität wird also mit einem Hochschullehrer umgehen müssen, den man rechtsradikal nennen darf und seine standesbewussten oder politisch konformen Unterstützer werden den Fall unter sich ausmachen.

Der medial durchaus präsente Baberowski wird sich weiterhin als Märtyrer inszenieren und dabei das Argument strapazieren, es gebe für bestimmte Positionen keine echte Meinungsfreiheit in diesem Land. Oder man dürfe in Deutschland zwar Meinung haben und äußern, werde dafür aber abgestraft. Man muss freilich kein linker Sektierer sein, um Baberowskis Einlassungen zu Tagesthemen, etwa zum Umgang mit Flüchtlingen, ähnlich anstößig zu finden wie manche Verlautbarungen der AfD.

Interessanter als Person und Oeuvre des populistischen Historikers an der Exzellenz-Universität ist die Frage, welcher Schaden durch das öffentliche Wirken vermittels Meinungsäußerung entsteht. Diese erhält durch den Status ihres Urhebers Gewicht als Expertise, als „wissenschaftlich erwiesene“ Wahrheit, obwohl es sich nur um höchst private, aber in bedeutender Pose vorgetragene Emotionen handelt, deren Resonanzraum auf den Stammtisch beschränkt bleiben sollte.

Sarrazin wurde zum Stichwortgeber für rechtsradikale Demagogen

Man denke etwa an das Buch, mit dem sich der als Finanzsenator erfolgreiche und geachtete Thilo Sarrazin seine höchstpersönlichen Aversionen gegen muslimische Migranten von der Seele geschrieben hat. Seine „Beweise“ in Gestalt von Statistiken und Tabellen halten professioneller Betrachtung zwar nicht stand, seine Überfremdungsängste aber trafen den Nerv vieler besorgter Bürger. Der Sozialdemokrat Sarrazin avancierte zum Stichwortgeber für rechtsradikale Demagogen und blieb honoriger Bürger mit sozialdarwinistischen Überzeugungen.

Selbstinszenierung ist eine zentrale Kategorie für das Erlangen öffentlichen Gewichtes. Mancher Historiker, dem die Fachwelt Anerkennung versagt, versucht es mit steilen Thesen und findet den ersehnten Beifall erst in den Medien, dann beim Publikum. Das gilt nicht erst seit Daniel Goldhagens abenteuerlichen Mutmaßungen über die Ursachen des Holocaust.

Ernst Nolte, einst als seriöser Gelehrter nicht nur im Habitus, sondern mit seinen Faschismus-Analysen auch im Urteil der Fachwelt hoch geachtet, brachte sich mit seinen Thesen über den Nationalsozialismus, den er als Reflex auf den „ursprünglicheren“ Kommunismus verstanden wissen wollte und dessen Verbrechen er damit verniedlichte, allmählich um jede Reputation. Bis er, Holocaustleugnern bessere Quellenkenntnis als zünftigen Geschichtsforschern und gute Argumente bescheinigend, rechtsaußen im Abseits landete.

Ein Beispiel aus der Geschichte der Universität drängt sich auf: Heinrich von Treitschke

Menschen verschiedener Hautfarbe singen zusammen in einem Chor.
Zusammenhalt. Unter der Leitung des Lehrers Thomas Spicker hat sich in Frankfurt (Oder) der Chor «Gesang der Kulturen» gegründet.

© Patrick Pleul/picture alliance/ZB

Ein Beispiel aus der Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin drängt sich auf: Heinrich von Treitschke, der Historiker auf dem Lehrstuhl Leopold von Rankes, der als Herold deutscher Einheit im Zeichen preußischer Glorie Verehrung genoss wie wenige, hatte Parolen der Judenfeindschaft geliefert, von denen Interessenten noch Jahrzehnte zehren sollten.

Als „Hosen verkaufende Jünglinge“ und „Deutsch redende Orientalen“ hatte der borussische Historiker die aus Polen kommenden Juden apostrophiert, und er hatte die Parole gestanzt, die einem der bösartigsten Judenfeinde, dem Nazi Julius Streicher, als griffige Schablone diente, die jedes Argument ersetzte: „Die Juden sind unser Unglück“.

Was ein deutscher Gelehrter postulierte, stand in jedem "Stürmer"

Von 1923 bis 1945 stand dieser Satz in jeder Ausgabe des „Stürmer“, und genüsslich erklärte Julius Streicher seinem Publikum, wie er sich in den Jahren, die Nationalsozialisten ihre Kampfzeit nannten, gegen den Vorwurf der Volksverhetzung verteidigt hatte, wenn er wieder einmal vor Gericht stand. Er habe dem Richter erklärt, ein deutscher Gelehrter habe den Schlüssel gefunden zum Verständnis der „Judenfrage“ und seine Erkenntnisse als Wissenschaftler in die Worte gefasst: „Die Juden sind unser Unglück.“

Treitschke litt – ganz privat – unter Überfremdungsängsten und artikulierte sie 1879 angesichts des Zustroms von „Ostjuden“. Im Vergleich zu späteren Migrationsbewegungen war die Welle damals bescheiden. Entgegen der gängigen Vermutung, „die Juden“ kämen, um Deutschland in Besitz zu nehmen und erst die Wirtschaft, dann die Presse, dann die Kultur, dann alles Übrige jüdisch zu machen, strebten die nach höchstens einigen tausend zählenden Migranten aus Polen vor allem nach Bremerhaven, um von dort aus in den USA ihr Glück zu suchen.

Für die Ausbreitung der Judenfeindschaft hat die Angst des Berliner Historikers vor 138 Jahren jedoch enorme Wirkung gehabt. Damaliger Medienpraxis folgend, schrieb Treitschke einen Aufsatz, der den Berliner Antisemitismusstreit auslöste. Es war eine öffentliche Debatte von Intellektuellen in Feuilletons und Zeitschriften über „die Judenfrage“, also über die Bürgerrechte einer Minderheit, die als fremd und feindlich erklärt und deshalb bis zum Völkermord verfolgt wurde.

Das Recht der Professoren, sich als wütende Bürger zu betragen

Natürlich haben auch Professoren das Recht, sich als wütende Bürger zu betragen, die ihrem Unmut zum Beispiel über die Migrationspolitik der Kanzlerin Ausdruck verleihen, die Angst vor Orientalen haben oder die Globalisierung der Welt und das digitale Zeitalter verabscheuen oder Rundfunkgebühren für eine unerträgliche staatliche Zwangsmaßnahme halten. Wer sich die Illusion der Geborgenheit in der Nation, bevölkert von Menschen gleicher Art und Herkunft, bewahren will, muss das auch ungestört bekennen dürfen. Er sollte aber der Versuchung widerstehen, höchst privaten Überzeugungen das populäre Echo zu schaffen durch Inanspruchnahme vermeintlicher Kompetenz, die aus dem Status abgeleitet ist. Das könnte als Demagogie verstanden werden.

Markigen Worten folgt bei Gegenwind in der Regel das gekränkte Lamentoso, man werde verfolgt, sei Opfer einer Kampagne. Da wird behauptet, niemand wolle mehr gegen den Strom schwimmen, die Deutschen hätten ein neurotisches Verhältnis zu ihrer Geschichte und reagierten mit Denkverboten auf unliebsame „Wahrheiten“. So und ähnlich war es von mehreren zu hören, die provozierten und Gegenrede zu hören bekamen.

Politische Korrektheit auf den Müllhaufen? Das rächt sich

Besonders gern wird „political correctness“ als Popanz beschworen und verdammt. Sie sei erfunden worden, um die freie Meinungsäußerung zu erdrücken. Dass es schimpflich sein soll, sich politisch korrekt – also nach gesellschaftlichem Mehrheitskonsens und demokratischer Errungenschaft entsprechend – zu verhalten, wird doch nur von denjenigen behauptet, die nicht wahrhaben wollen, dass der Begriff aus der Menschen- und Bürgerrechtsbewegung kommt.

So hatte die Spitzenkandidatin der „Alternative für Deutschland“ auf dem Kölner Bundesparteitag kürzlich gefordert: „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Vier Tage später reagierte der NDR in der Satiresendung „Extra 3“. Christian Ehring nahm den Aufruf der AfD-Politikerin wörtlich und sprach: „Schluss mit der politischen Korrektheit, lasst uns alle unkorrekt sein. Da hat die Nazi-Schlampe doch recht!“

Verdrossen ob solcher Zustimmung und unerwarteter umgehender Realisierung ihres politischen Postulats bemühte Alice Weidel die Justiz, zelebrierte ihre Sensibilität und wollte die Satire unterbinden lassen. Ob sie nach ihrer Niederlage vor Gericht begriffen hat, dass „politische Korrektheit“ sehr hilfreich ist, weil sie auch zivilisierten Umgang untereinander und mit Andersdenkenden bedeutet?

Es gilt, die Folgen des medialen Auftritts zu bedenken

Die Lust, persönliches Unbehagen öffentlich zu machen und mit Amtsautorität private Überzeugungen zu untermauern, ist so wenig neu wie das Bedürfnis, den Applaus eines großen Publikums zu genießen. Einschlägige Inszenierungen sind im Zeichen der Zeit und dank exzessiver Medienpräsenz so einfach wie nie. Den Lockungen nachzugeben oder zu widerstehen unterliegt persönlicher Entscheidung. Die Folgen abzuschätzen, die Wirkung des Auftritts zu bedenken, ist zuerst eine Sache der persönlichen Verantwortung und sollte ganz zuletzt Angelegenheit von Gerichten sein. Schließlich: Kritik gehört ebenso zur Meinungsfreiheit wie das Recht auf kühne Feststellungen und gewagte Thesen.

Der Autor ist Historiker und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.

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