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Bis zu 25 Tonnen müssen die Steine gewogen haben, die die Menschen der Jungsteinzeit im Südwesten Englands mühsam heranschafften, bearbeiteten und aufrichteten - zu welchem Zweck, können Forscher nur spekulieren.

© dpa/LBI ArchPro

Steinzeitmonument größer als Stonehenge: Spektakuläre Steine

Kultstätte oder Protzbau? Archäologen rätseln über neu entdeckten 500 Meter großen Halbkreis aus tonnenschweren Hinkelsteinen.

Fast 100 über vier Meter große Druidensteine, aufgereiht in einer 500 Meter langen c-förmigen Linie entlang einer weiß leuchtenden Kalksteinklippe – das muss auf die Menschen vor etwa 4500 Jahren einen „spektakulären“ Eindruck gemacht haben, ist sich Wolfgang Neubauer sicher. „Monumente wie diese sollen die Kraft einer Gesellschaft oder die Überlegenheit einer führenden Schicht repräsentieren.“ Metertief unter der Erde und nur drei Kilometer von Stonehenge entfernt hat der Forscher vom Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie mit Hilfe von Radar- und Magnetfeldtechnik das jungsteinzeitliche Bauwerk entdeckt.

Mit Quads in die Steinzeit

„Wir fahren mit kleinen Traktoren und leichten Quads mit etwa zwölf Stundenkilometern vorsichtig über das Gelände und ziehen dabei die Radargeräte hinter uns her“, sagt Neubauer dem Tagesspiegel. Sein Team arbeitet mit dem Archäologen Paul Garwood von der Universität Birmingham und Vince Gaffney von der Universität Bradford im Rahmen des „Stonehenge Hidden Landscape“ Projekts zusammen. Gaffney bezeichnet die Steinreihe als das größte bekannte Steinmonument Großbritanniens und interpretiert es als „rituelle Arena“.

Die Steinreihe wurde entlang einer halbrunden Kalksteinklippe aufgebaut. Zwei Quellen speisten den nahegelegenen Fluss Avon.
Die Steinreihe wurde entlang einer halbrunden Kalksteinklippe aufgebaut. Zwei Quellen speisten den nahegelegenen Fluss Avon.

© LBI ArchPro

Schon vor einem Jahr hatten die Forscher des Hidden Landscape Projekts im Südwesten Englands die Erde in unmittelbarer Nähe von Stonehenge durchleuchtet und 17 bis dato unbekannte Strukturen unter der Erde nachgewiesen. Darunter waren Steinkreise, Gräber und Palisadengräben sowie die Reste eines 33 Meter langen und acht Meter breiten hölzernen Langhauses, wie es vor 6000 Jahren auch auf dem Kontinent gebaut wurde. Demnach war Stonehenge keine isolierte Kultstätte, sondern Teil eines ganzen Netzwerkes von Erdwällen, Wegen, Gräbern, Steinmonumenten und einzeln stehenden Hinkel- oder Druidensteinen.

Steinkultstätte auf Steinkultstätte

Die neu entdeckte Steinreihe liegt unter der Stonehenge ähnlichen neolithischen Kultstätte „Durrington Walls“ in der Grafschaft Wiltshire, Sie muss in der Zeit zwischen 3900 v. Chr. und 2600 v. Chr. aufgebaut worden sein. Das schätzt Neubauers Team unter anderem anhand der Datierung einer nahebei und in ähnlichen Erdschichten gefundenen jungsteinzeitlichen Siedlung. „Die Steine dürften zumindest gleich alt oder sogar älter als der berühmte Steinkreis von Stonehenge sein“, sagt Klaus Jöcker. Der an den Forschungen beteiligte Archäologe von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien interpretiert die bisherigen Messdaten so, dass die c-förmige Steinreihe sogar aus bis zu 200 Steinen bestanden haben könnte. Bisher habe Stonehenge als der einzige Steinkreis der Region gegolten. „Jetzt sieht es danach aus, dass sich im benachbarten Durrington Walls ebenfalls ein Kreis mit sehr großen Steinen befand, die noch dazu sehr gut erhalten sein dürften.“ 2600 v. Chr. wurde die Steinreihe offenbar aufgegeben, die Steine umgestürzt, versetzt oder vergraben. Nur 30 Steine liegen noch an Ort und Stelle.

Messungen des "Hidden Landscapes Projects" in unmittelbarer Nähe von Stonehenge mit Hilfe von Kleintraktoren.
Messungen des "Hidden Landscapes Projects" in unmittelbarer Nähe von Stonehenge mit Hilfe von Kleintraktoren.

© dpa/LBI ArchPro

Ausgrabungen sind bislang nicht geplant. Sie werden nahe des Weltkulturerbes Stonehenge nur in Ausnahmefällen genehmigt. Zudem liegt die Anlage von Durrington Walls über den „versteckten“ Steinen. „Ausgrabungen könnten helfen herauszufinden, wann die Steine genau aufgestellt wurden, zum Beispiel wenn wir datierbare Spuren menschlicher Zivilisation finden würden“, sagt Neubauer. Unwahrscheinlich sei, dass die Steine künstlerisch bearbeitet sein könnten, so wie die noch viel älteren steinernen Monumente im türkischen Göbekli Tepe, die teilweise mit Tierreliefs verziert sind. Die Radar- und Magnetfeldtechnik, die Neubauers Team anwendet, kann zwar mehrere Meter tief in den Boden blicken. Aber je tiefer die Forscher schauen wollen, umso langwelligere Radarstrahlung ist dafür nötig, worunter die Auflösung leidet. Details sind deshalb ab einer gewissen Tiefe nicht mehr nachweisbar.

Steine stammen aus der Region

Offenbar stammen die bis zu 25 Tonnen schweren Steine aus der Region. Sandsteinblöcke finden sich in der Salisbury Plain und den Marlborough Downs in Wiltshire. Neubauer vermutet sogar, dass die Steine aus der Reihe später zum Bau des nahen Stonehenge benutzt worden sein könnten und nicht, wie bislang vermutet, von weit her herangeschafft wurden. Allerdings müssten sie dann neu bearbeitet worden sein, denn die Erbauer von Stonehenge haben weiterentwickelte Techniken wie Nut und Feder verwendet, um Steine miteinander zu verbinden.

Neubauers Team hat die Arbeiten in und um Stonehenge, ein zwölf Quadratkilometer großes Areal, vor wenigen Wochen abgeschlossen. „Jetzt graben wir gewissermaßen in unseren Daten weiter.“ So soll am Computer die Landschaft um Stonehenge und wie sie sich seit prähistorischen Zeiten verändert hat, virtuell nachgebaut werden. Stein für Stein. Die Ergebnisse, nachgebildete Druidensteine und originale Artefakte aus Stonehenge, soll die Öffentlichkeit schon im nächsten März in einer Ausstellung im Mamuz Museum in Mistelbach (nahe Wien) sehen können, sagt Neubauer.

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