zum Hauptinhalt
Eine Lutherstatue, im Hintergrund ist eine Kirche zu sehen.

© picture-alliance/ ZB

Reformationsjubiläum 2017: Warnung vor dem falschen Luther-Bild

Bitte ohne Hammer: Wissenschaftler warnen davor, zum Reformationsjubiläum falsche Bilder von Luther zu verbreiten und ihn für politische Botschaften zu instrumentalisieren.

Der Hammer gehört mittlerweile zu Martin Luther wie der Streusel zum Kirschkuchen. In Filmen und auf Gemälden schlägt er mit dem Hammer seine Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg. Den Playmobil-Reformator zum 500. Jubiläum 2017 gibt es mit Buch und mit Hammer, auch der Reformator aus dem Hause Lego hämmert. Und die Bundesregierung wirbt mit einer dreifachen Hammer-Symbolik für die drei nationalen Groß-Ausstellungen zum Reformationsjubiläum 2017. „www.3xhammer.de“ heißt die entsprechende Internetseite.

Doch den hämmernden Martin Luther hat es wahrscheinlich gar nicht gegeben. Es ist schon fraglich, ob seine 95 Thesen überhaupt an der Tür der Wittenberger Schlosskirche hingen und wenn ja, ob Professor Luther sie selbst dort angebracht hat. Vermutlich hat er eher den Universitäts-Pedell dafür losgeschickt. Über 300 Publikationen konnten die Frage, ob es den Thesenanschlag gegeben hat, bis heute nicht eindeutig beantworten. Und nun stellt der Historiker Daniel Jütte auch noch den Hammer infrage.

Am Kirchenportal hingen neueste Nachrichten aus Dorf und Stadt aus

„Kirchentüren waren im 16. Jahrhundert eine Art schwarze Bretter“, sagte Jütte kürzlich bei einem Kolloquium zum Thema „Luther ante portas“ im Berliner Wissenschaftskolleg. Gut möglich, dass auch zur Disputation über Luthers Thesen mithilfe eines Plakats an einer Kirchentür eingeladen wurde. „Es war allerdings üblich, die Aushänge mit Siegelwachs oder Leim anzubringen“, sagte Jütte.  Hätte jeder Hammer und Nagel benutzt, die Türen wären schnell durchlöchert gewesen.

Jütte muss es wissen. Der Professor und Junior Fellow in Harvard hat für sein jüngstes, 2015 erschienenes Buch untersucht, wie Türen und Schwellenräume das westliche Denken über Sicherheit und Privatheit geprägt haben. Den Kirchentüren kam dabei eine wichtige Funktion zu, theologisch und praktisch. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war die religiöse Sphäre noch eng verzahnt mit dem Alltagsleben, viele Menschen gingen mehrmals am Tag in der Kirche ein und aus. Am Portal hingen die neuesten Nachrichten aus dem Dorf oder der Stadt aus. An und über der Kirchentür konnten die Menschen früher auch allerlei exotische und kuriose Dinge bestaunen. Die Tür der Wittenberger Schlosskirche etwa zierte ein Elefantenstoßzahn und die Rippe eines Walfischs.

Der Historiker hat viele Darstellungen des vermeintlichen Thesenanschlags untersucht und festgestellt, dass Luther erst seit dem 19. Jahrhundert mit Hammer porträtiert wird. Damals begann die Stilisierung Luthers zum deutschen Nationalhelden. Der Hammer sollte dabei wohl seine Entschiedenheit und Durchsetzungskraft unterstreichen, sagt Jütte.

Im Ersten Weltkrieg feiert man Luther als "Mann von Erz"

Zum Reformationsjubiläum 1917, als deutsche Soldaten mit dem Segen der evangelischen Kirche auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs zogen, wurde Luther als „Mann von Erz“ gefeiert. „Du stehst am Amboß, Lutherheld, umkeucht von Wutgebelfer. Und wir, Alldeutschland, dir gesellt, sind deine Schmiedehelfer“, hieß es in einem Gedicht.

Im heutigen Deutschland wird Luther eine ganz andere Rolle zugeschrieben. Zumindest von der Bundesregierung. In einer Skizze zum Jubiläumsjahr heißt es etwa: „Die Reformation hat die Entwicklung eines Menschenbildes gefördert, das von einem neuen christlichen Freiheitsbegriff maßgeblich beeinflusst wurde. Sie war wichtig für die Ausbildung von Eigenverantwortlichkeit und die Gewissensentscheidung des Einzelnen. Damit konnten sich die Aufklärung, die Herausbildung der Menschenrechte und die Demokratie entwickeln.“

"Einer der letzten mittelalterlichen Menschen"

Gemeinsam mit seinem Kollegen Jonathan Sheehan appellierte Daniel Jütte im Wissenschaftskolleg nun an die Bundesregierung, doch bitte „der Versuchung zu widerstehen“, Luther erneut zu instrumentalisieren. Er sei keineswegs „Vordenker von Demokratie und Menschenrechten“ und Pionier der Neuzeit gewesen, sondern „einer der letzten mittelalterlichen Menschen“.

Wissenschaftlich vertretbare Bezüge zur Gegenwart aus Luthers Leben und Lehren herzustellen, ist weitaus komplizierter als die einfachen Botschaften, die auch die Kirche vor dem Jubiläumsjahr aussendet. Jonathan Sheehan, der Geschichte der Frühen Neuzeit in Berkeley unterrichtet und zurzeit Fellow des Wissenschaftskolleg ist, erforscht die Bedeutung der Opferhandlungen in den Religionen von der Antike bis heute. Luther spielte für den Bedeutungswandel des religiösen Opfers eine zentrale Rolle, erklärte Sheehan.

Bis heute gilt aber, wie Luther das Abendmahl definierte

Im Verständnis der katholischen Kirche ist der leibhaftige Jesus Christus in der Eucharistiefeier, dem katholischen Abendmahl, im Wein und im Brot gegenwärtig - auch nach der Feier. Nicht so in Luthers Verständnis. Für ihn ist Jesus Christus nur während der Abendmahls-Feier präsent. Der französischstämmige Reformator Johannes Calvin verstand das evangelische Abendmahl als eine Handlung, die nur noch an das Letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern erinnert.

Indem Luther und seine Mitstreiter das Abendmahl auf diese Weise völlig vom archaisch-religiösen Tieropfer abstrahierten, ermöglichten sie indirekt, dass sich die Bedeutungsebenen des Begriffs „Opfer“ vervielfältigten und in alle gesellschaftlichen Bereiche diffundierten, führte Sheehan aus. Heute bringen Menschen auf unterschiedlichste Weise und unter vielfältigen Umständen „Opfer“ – von der Arbeitswelt bis hin zu Freundschaftsbeziehungen.

Es ist gut zu wissen, woher Denkstrukturen und Prägungen kommen, wie Jonathan Sheehan zeigte. In diesem Sinne hat Luther auch den heute Lebenden noch viel zu sagen.

Zur Startseite