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Der heilige Antonius kommt im Berliner Stadtschloss an. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft will sich nicht von ihrer Identität als weiß und christlich verabschieden, kritisiert die US-Wissenschaftlerin El-Tayeb.

© Kitty Kleist-Heinrich/Tagesspiegel

Rassismus in Deutschland: „Deutsch“ und „Undeutsch“

Deutschland hat seinen Kolonialismus nicht wirklich aufgearbeitet, meint die US-Forscherin Fatima El-Tayeb. Darum erkenne die Gesellschaft ihren strukturellen Rassismus nicht

Die Berliner Museumsinsel ist ein Publikumsmagnet. Jedes Jahr kommen Hunderttausende ins Pergamonmuseum, um das Ischtar-Tor, einstiges Stadttor Babylons, zu besuchen. Oder die Büste der Nofretete im Neuen Museum, die Schätzungen nach 300 Millionen Euro wert ist. Doch was machen diese Kunstschätze eigentlich in Berlin? Warum steht das Ischtar-Tor nicht im Irak, wo es doch eigentlich herkommt?

Diese Fragen stellten Geflüchtete aus dem arabischen Raum, als vor ihnen in Deutschland angekommene Geflüchtete sie im Zuge des vielgelobten „Multaka“-Projekts durch die Staatlichen Museen zu Berlin führten. Eine wirkliche Antwort hatte niemand. Für die Historikerin Fatima El-Tayeb hingegen ist die Sache klar: die Kunst ist nicht rechtmäßig hier. Die Objekte kamen während der Kolonialzeit nach Deutschland, eine Zeit der Straflosigkeit für westeuropäische Nationen, die oft bis heute gelte. Das macht El-Tayeb in ihrer Vorlesung mit dem Titel „,German’ and ,Ungerman’: Racial Crisis as the New Normal in the United Germany“ deutlich, die am Dienstag im Rahmen der Du Bois Lectures an der Humboldt Universität stattfand.

Europas mangelnde Aufarbeitung des Kolonialismus sieht El-Tayeb, die an der University of California in San Diego Literatur sowie Ethnic und Gender Studies lehrt, als Hauptgrund für das fehlende Rassismus-Verständnis des Kontinents. Gleich zu Beginn der gut besuchten Vorlesung spricht sie über ihre Ermüdung, während Europa-Besuchen stets auf Trump angesprochen zu werden. Das Trump-Regime sei zwar schrecklich, sagt sie, aber auch als konservatives Aufbegehren gegen progressive politische Bewegungen zu lesen, die es hierzulande gar nicht erst gegeben habe. Die Botschaft ist klar: auch im ach so aufgeklärten Europa gibt es strukturellen Rassismus. Nur will sich die Mehrheit nicht damit auseinandersetzen.

Die Panik um die "Flüchtlingskrise" ist kein neues Phänomen, meint El Tayeb

Für ihr im letzten Jahr erschienenes Buch „Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft“, um das es in der Vorlesung hauptsächlich geht, kehrt El-Tayeb deshalb zurück zu ihren Wurzeln als Geschichtswissenschaftlerin. Ihre Dissertation schrieb sie an der Universität Hamburg über den Diskurs um Rasse in Deutschland von 1890 bis 1933, in „Undeutsch“ beschäftigt sie sich mit mangelnder Geschichtsaufarbeitung und dem Umgang mit der sogenannten „Fremdenfeindlichkeit“ seit der Wiedervereinigung. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit, so El-Tayebs Überzeugung, wirft auch ein neues Licht auf Gegenwart und Zukunft.

So sieht sie die gegenwärtige Panik um die „Flüchtlingskrise“ als ein keineswegs neues Phänomen. Stattdessen erkennt sie darin einen sich stets wiederholenden Prozess: erst ging es dabei um die Gastarbeiter, dann die türkische Minderheit, jetzt die Muslime. Immer, wenn es aussieht, als könnten die „Anderen“ zu Deutschen werden, entfache sich eine neue Debatte, die diesen Personenkreis wieder als „undeutsch“ markiert. El-Tayeb sieht hierin eine Weigerung der Mehrheitsgesellschaft, sich von ihrer Vorstellung der deutschen Identität als weiß und christlich zu verabschieden.

Der Wiederaufbau des Stadtschlosses überspringt bei der Geschichtserzählung die NS-Zeit und die DDR

Auch das viel diskutierte Humboldt-Forum ist für El-Tayeb Symbol dieses ausschließenden Selbstverständnisses von Identität. Abgesehen von der geplanten, im Hinblick auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands problematischen Ausstellung außereuropäischer Artefakte, geht es hier auch um andere Aspekte deutscher Geschichte. Die Sprengung des Palasts der Republik und der Wiederaufbau des Stadtschlosses ist für El-Tayeb eine bewusste Unsichtbarmachung des geteilten Deutschlands zu Gunsten der Erinnerung an die Zeit der Aufklärung, lange vor Nationalsozialismus und DDR. Die Historikerin erkennt hierin einen Versuch der Linearisierung deutscher Geschichte, der auch eine Abkehr von pluralistischen Vorstellungen des Deutschseins bedeutet.

El-Tayeb sieht eine Lösung für solche Problematiken in der öffentlichen Aufarbeitung der kolonialen, faschistischen und sozialistischen Geschichte Deutschlands. Das sei nötig, um den sich ewig wiederholenden Kreislauf des Rassismus im Land besser verstehen und bekämpfen zu können. Auf dass eines Tages niemand, der hier lebt, mehr als „undeutsch“ gilt.

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