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Genomchirurgie. Die Abbildung zeigt, wie eine molekulare „Genschere“ den Doppelstrang des Erbguts (blau) öffnet, um gezielt Veränderungen vorzunehmen.

© Abb.: imago/Science Photo Library

Punktmutation korrigiert: Punktlandung im Erbgut

Forscher korrigieren gezielt einzelne Buchstabenfehler in der Erbsubstanz DNS. Das soll bei der Therapie von Krankheiten helfen. Das Verfahren kann aber auch in der Pflanzenzucht eingesetzt werden. Ein derart veränderter Champignon wurde jetzt zugelassen.

Wenn die Kinder zwei Jahre alt sind, beginnen die Haare auszufallen. Mit sechs Jahren setzt Arterienverkalkung ein, die Knochen werden spröde. Die Alterung verläuft so schnell, dass die kindlichen Greise meist im Teenageralter sterben. Progerie ist eine jener Krankheiten, die durch einen Buchstabierfehler im Erbgut ausgelöst wird. Solche Punktmutationen sind für die meisten Erbkrankheiten verantwortlich. Forscher der Universität Harvard in Cambridge haben die Genschere Crispr nun so optimiert, dass solche Punktmutationen zielgenau korrigiert werden könnten.

Obwohl erst 2012 entwickelt, ist die Crispr-Technik in zahlreichen Genlabors kaum mehr wegzudenken. Mit keiner anderen Methode können Forscher so einfach und präzise an jeder beliebigen Stelle im Wollknäuel des drei Milliarden Bausteine langen Erbgutfadens einen Schnitt setzen und Veränderungen herbeiführen. In der Erforschung der Genfunktionen, aber vor allem in der Pflanzen- und Tierzucht und der Therapie kranker Gene eröffnet das Genome-Editing mit Crispr neue Möglichkeiten.

Die Forscher machten die Gen-Schere stumpf

Bislang hatte die Technik aber einen Haken, sagt Gerald Schwank von der Universität Zürich, der bereits in Zellen von Patienten mit der Erbkrankheit Cystische Fibrose die ursächliche Mutation korrigiert hat. Die Genschere erzeuge einen Doppelstrangbruch, also einen Schnitt durch beide Stränge der DNS-Doppelhelix. „Danach setzen die natürlichen Reparaturmechanismen der Zelle ein“, sagt Schwank. Sie versucht, die beiden Fäden wieder zusammenzufügen. Das kann funktionieren, mitunter gehen dabei aber ein paar Erbgutbausteine am Ende der Fäden verloren (Deletion genannt) oder es werden welche hinzugefügt (Insertion).

Zusätzlich können Forscher die natürliche Reparaturfunktion ausnutzen und ein beliebiges Stück Erbgut hinzugeben, das dann an der Stelle des Schnitts eingebaut wird. „In den meisten Fällen entstehen aber die unerwünschten Insertionen oder Deletionen“, sagt Schwank. Punktmutationen wie bei Progerie oder Cystischer Fibrose lassen sich daher mit der Crispr-Genschere nur in wenigen Zellen korrigieren.

In jeder fünften Zelle die Punktmutation korrigiert

Um diesen Nachteil zu überwinden, hat das Team um David Liu die Genschere so verändert, dass sie stumpf geworden ist. Zwar findet sie noch immer präzise den Erbgutabschnitt, in dem sie schneiden soll, trennt die Helix aber nicht mehr. Sie entwindet und öffnet den Doppelstrang lediglich. Dadurch kommen zwei besondere Enzyme an die Erbgutbausteine heran, die Liu an die Schere angehängt hat. Sie können einen der vier Erbgutbausteine A, G, C und T chemisch verändern: Ein C-Baustein (die Base Cytosin) wird in einen T-Baustein (die Base Thymin) verwandelt.

Testete Liu diesen „Baseneditor“ an menschlichen Zellen, konnte er in 20 Prozent der Zellen an der gewünschten Stelle im Erbgut ein C in ein T verwandeln und somit krankmachende Punktmutationen korrigieren, berichtet sein Team im Fachblatt „Nature“. Mit der herkömmlichen Crispr-Methode können nur maximal ein Prozent der Punktmutationen repariert werden.

Hoffnung in der Pflanzenzucht

„Das sind ein paar hervorragende neue Skalpelle für die Genomchirurgie“, sagt Kris Saha von der University Wisconsin-Madison. Allerdings seien die Versuche bisher auf Zellkulturen beschränkt. „Ob die Technik auch in Zellen im Körper funktioniert, müssen weitere Tests zeigen.“ Um Erbkrankheiten wie Progerie wirkungsvoll behandeln zu können, müssten in möglichst vielen Zellen die Punktmutationen korrigiert werden. Bei Progerie, wo praktisch alle Organe unter dem beschleunigten Alterungsprozess leiden, wäre das besonders schwierig – wenn nicht gar unmöglich.

Womöglich wird der Basen-Editor gar nicht zuerst am Menschen, sondern in der Pflanzenzucht eingesetzt. Kulturpflanzen wie Mais oder Tomaten unterscheiden sich nur aufgrund von Punktmutationen von ihren (meist kleineren, weniger ertragreichen) Wildvarianten. Um solche Punktmutationen zu erzeugen, verwenden Züchter bislang chemische Stoffe. Doch damit lässt sich nicht kontrollieren, wo im Erbgut die Mutationen entstehen – mit den Baseneditoren könnten Züchter ertragsteigernde Mutationen gezielt im Erbgut setzen, ohne anderswo im Genom unerwünschte Veränderungen in Kauf nehmen zu müssen. Zumindest in den USA gelten solche Eingriffe nicht als gentechnische Veränderung, weil keine artfremde DNS eingeschleust wird.

Die Landwirtschaftsbehörde USDA hat deshalb nun einen mit Crispr-Technik veränderten Champignon zugelassen, der aufgrund einer Punktmutation nicht mehr fault und schleimt, wenn er eine Druckstelle bekommt. Die Europäische Kommission will bis Ende des Jahres prüfen, ob Pflanzen oder andere Organismen, die mit Crispr oder anderen Genome-Editing-Techniken verändert wurden, unter die Gentechnikregulierung fallen oder nicht.

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