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Verena Lepper sichtet alte Papyri.

© Bernd Wannenmacher

Porträt der Ägyptologin Verena Lepper: Das Elephantine-Gedächtnis

Die Ägyptologin Verena Lepper arbeitet den Papyrusschatz von der Nilinsel auf, der seit über 100 Jahren in Berlin lagert. Dabei helfen ihr auch die 15 Sprachen, die sie im Studium gelernt hat - und ein hochdotierter Forschungspreis.

Ein Knopfdruck von Verena Lepper – und eine Lage verblichener Papyri schiebt sich langsam aus der Vitrine hervor. Das zeitlose Antlitz der Nofretete im Nachbarraum scheint den Nordflügel des Neuen Museums und die darin beherbergte Papyrussammlung zu überwachen. Intuitiv dämpft der Besucher die Stimme angesichts dieser mehrere tausend Jahre alten Schriftstücke. Derart porös scheinen diese Zeugnisse vergangener Kulturen zu sein, dass man trotz des Schutzglases fürchtet, sie bei zu lauter Stimmlage in Staub zu verwandeln.

„Das ist Aramäisch“, sagt Verena Lepper, seit 2008 Kuratorin für Ägyptische und Orientalische Papyri am Ägyptischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Die promovierte Ägyptologin, die 15 Sprachen aus den verschiedensten Zeitaltern beherrscht, deutet auf ein großes Stück Papyrus: „Hier bittet der Leiter einer aramäo-jüdischen Gemeinde auf der Nilinsel Elephantine den Statthalter von Jerusalem um die Bewilligung, einen Jahwe-Tempel zu bauen. Und da haben wir gleich die Antwort mit der Erlaubnis, ebenfalls in Aramäisch.“

"Das hier ist Demotisch, eine Kursivschrift des klassisch Ägyptischen"

Im Kontakt mit ihren Papyri sprüht die Forscherin vor Energie. Begeistert zeigt sie auf das der Tempelanfrage benachbarte Blatt: „Schauen Sie, das hier ist Demotisch, eine Kursivschrift des klassisch Ägyptischen. Da geht es um die Organisation der Priester des Chnum-Tempels, der sich nur wenige Meter neben besagtem Jahwe-Tempel befand.“ Die Texte stammen jeweils aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und bezeugen einen religiösen Pluralismus – „mitten auf dem Nil, vor 2500 Jahren!“.

Zwei Fundkisten mit Papyri aus Elephantine.
In solchen Kisten kamen die Papyri 1907 in Berlin an. Seitdem wurden nur 20 Prozent der umfangreichen Bestände aufgearbeitet.

© SMBPK/Ägyptisches Museum und Papyrussammlung/Sandra Steiß

Die geschichtsträchtige Nilinsel Elephantine gegenüber der südägyptischen Stadt Assuan begeistert die 41-jährige Verena Lepper schon seit Langem. Nun hat sie für ihr Forschungsprojekt „Localizing 4000 Years of Cultural History. Texts and Scripts from Elephantine Island in Egypt“ den ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrats erhalten. Damit stehen ihr in den nächsten fünf Jahren 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, eine für die Geisteswissenschaften außerordentlich hohe Summe. „Mit diesem Geld kann ich zehn Mitarbeiter einstellen, das bedeutet wissenschaftliche Freiheit, wir können nun eine Grundlagenforschung betreiben, die längst überfällig ist“, sagt Lepper, die auch Honorarprofessorin ist, jetzt an der Humboldt-Universität, zuvor an der Freien Universität.

Otto Rubensohn und Friedrich Zucker bargen einst die Papyri

Überfällig ist das Projekt seit über 100 Jahren. Denn bereits Anfang des 20. Jahrhunderts bargen der Archäologe Otto Rubensohn und der Philologe Friedrich Zucker auf Elephantine ein gigantisches Konvolut aus Papyri und beschriebenen Tonscherben, sogenannten Ostraka, die sie in Kisten verpackt nach Berlin schickten. Nach wie vor lagert ein großer Teil dieser Quellen weitestgehend unbearbeitet in den Kellern des Ägyptischen Museums. Dies nicht zuletzt auch ob der diffizilen Wissenschaftsgeschichte Berlins, der langen Teilung der Stadt. Erst 20 Prozent des Materials seien erschlossen, sagt Lepper. In den nächsten fünf Jahren will sie es mit ihrem interdisziplinär zusammengesetzten Team auch mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden aufarbeiten. Zudem ist eine digitale Entblätterung geplant, die das virtuelle Zusammenfügen von „Berlin-Fragmenten“ mit Stücken anderer Museen, also ein internationales Papyrus-Puzzle, möglich machen soll.

4000 Jahre Kulturgeschichte sind fast lückenlos dokumentiert

Für die philologische Untersuchung der in diversen Sprachen abgefassten Schriftstücke gibt es wohl kaum eine befähigtere Wissenschaftlerin als die sprachgeniale Verena Lepper. Neben ägyptischen Sprachen wie Hieratisch, Demotisch und Koptisch beherrscht sie auch mehrere semitische Sprachen, unter anderem Aramäisch, Ugaritisch und Arabisch. Studiert hat Lepper Ägyptologie, Semitistik und christliche Orientalistik in Bonn, Oxford und Tübingen. Schon früh befasste sie sich mit jener Insel, deren historiografisches Alleinstellungsmerkmal in einer nahezu lückenlosen schriftlichen Dokumentation von etwa 4000 Jahren Kulturgeschichte liegt. „Archäologisch sind ja viele Orte erschlossen, aber philologisch, also was die Texte angeht, ist Elephantine ein Unikum.“ 2005 vollendete Lepper dann ihre Promotion zum ältesten Kunstprosatext der ägyptischen Literaturgeschichte, dem Papyrus Westcar, der mit ironischer Herrschaftskritik versehene Zaubergeschichten am Hofe König Cheops’ präsentiert. Anschließend kehrte sie im Rahmen ihres Postdoc-Projekts in Harvard geistig und zuweilen auch physisch nach Elephantine zurück.

"Die Menschen waren religiös viel offener, als heute vorstellbar"

Ihr transkulturelles Sprachspektrum kam und kommt ihr bei der multiethnischen und religiös vielgestaltigen Kulturgeschichte Elephantines zugute. „Sprache“, sagt Verena Lepper, „ist mein Schlüssel zum Verständnis von Kultur.“ Durch die Analyse der Texte über konkrete Schicksale und Begebenheiten, die auf Tonscherben und Papyri dokumentiert sind, kann sie auf eine allgemeine kulturelle Praxis schließen. So bezeugt die Tempel-Korrespondenz zwischen der aramäo-jüdischen Enklave auf dem Nil und Jerusalem im 5. Jahrhundert v. Chr. eine religionspolitische Gebundenheit der sich in der Diaspora befindenden Gemeinde und damit eine Orientierung am Herkunftsland. Andere Quellen zeigen dagegen Praktiken der Assimilation, etwa Eheschließungen zwischen Juden und Ägyptern, und eine anscheinend selbstverständliche Aufnahme des ägyptischen Pantheons in den innerjüdischen Alltag und Schriftverkehr. „Die Grenzen waren ziemlich durchlässig“, sagt Lepper. „Die Menschen waren damals religiös viel offener, als wir es uns heute vorstellen können.“

Lepper ist auch Gründerin der Arabisch-Deutschen Jungen Akademie

Die offenen Grenzen, der transkulturelle Diskurs, der Austausch auf gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene bedeuten Verena Lepper auch für die Gegenwart eine Menge. Sie wurde zum Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Nationalakademie Leopoldina berufen – und ging gleich die Gründung der Arabisch-Deutsche Junge Akademie der Wissenschaften (AGYA) an. Seit Juni 2014 arbeiten hier 50 Nachwuchs-Wissenschaftler aus Deutschland und sechzehn arabischen Ländern gemeinsam an der Schnittstelle von Forschung und Gesellschaft.

Dass Verena Lepper als Altertumswissenschaftlerin von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ der Bundesregierung und des Bundesverbands der Deutschen Industrie 2011 als eine der „100 Frauen von morgen“ ausgezeichnet wurde, ist nicht verwunderlich. Ihrer Auffassung nach hat Vergangenheitsforschung „einfach alles“ mit der Zukunft zu tun. „Man lernt aus der Vergangenheit für das Heute und Morgen“, sagt sie. „Nehmen Sie die altägyptische Liebeslyrik, die klingt, als wäre sie gestern geschrieben worden, nehmen Sie die mathematischen Konstruktionen oder Erfindungen hirnchirurgischer Art, die es noch im 19. Jahrhundert in Europa nicht gegeben hat. Und von der jüdischen Elephantine-Gemeinde können wir wiederum einiges in Sachen Gleichberechtigung lernen.“

Verena Lepper deutet auf ein Blatt Papyrus, auf dem hinter Spiegelstrichen Namen von Personen und Schekel-Summen stehen. „Das sind Frauennamen“, sagt sie, „Frauen haben Geld für den Bau des Tempels gespendet und hatten also eigenen Besitz.“ Viele Errungenschaften, von denen wir meinen, sie der Geschichte abgetrotzt zu haben, waren vor langer Zeit schon mal vorhanden. „Der Blick in die Vergangenheit“, sagt Verena Lepper, „hilft uns, die Hybris der Moderne zurückzufahren.“

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