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Das Grimm-Zentrum in Berlin ist ein Ort für Philosophen. Aber auch vor den Toren der Bibliotheken wollen sie aktiv werden.

© Rainer Jensen/ dpa

Philosophenkongress in Berlin: Als Philosoph praktisch denken

Welche Rolle hat die Philosophie für die moderne Gesellschaft? 600 Fachvertreterinnen und -vertreter diskutieren in Berlin über ihre Disziplin und den Zusammenhang zwischen Philosophie und Praxis.

Der Philosoph arbeitet für gewöhnlich „einsam und maulwurfsähnlich“. Das hat einst der große Johann Gottlieb Fichte erklärt, der 1847 der Gastgeber der allerersten deutschen Philosophenversammlung war. 170 Jahre später halten seine Nachfolger eine solche Weltabgewandtheit allerdings für weniger erstrebenswert. Das sagte Dominik Perler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, jetzt bei der Eröffnung des aktuellen Kongresses seiner Gesellschaft. Rund 600 Philosophinnen und Philosophen tagen noch bis zum heutigen Mittwoch in Berlin an der Humboldt-Universität. Sie diskutieren unter dem Titel „Norm und Natur“ nicht nur über ihre Fachdisziplinen – sondern auch, welche praktische Rolle die Philosophie in der modernen Gesellschaft haben kann.

Weltzugewandt zeigte sich der Kongress bereits am Eröffnungstag am Sonntag mit einem Podium zu der Frage „Bedrohtes Denken? Philosophie in aktuellen politischen Kontexten“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern debattierten, wie ihre philosophische Tätigkeit erschwert wird.

Ein großes Thema: Bedrohtes Denken in Ungarn, Großbritannien oder den USA

Am deutlichsten wurde das bei Maria Kronfelder von der Central European University (CEU) in Budapest. Im Frühjahr hatte die ungarische Regierung ein Gesetz verabschiedet, das das Fortbestehen der Uni praktisch unmöglich macht. Insofern stimme sie dem Titel des Podiums zu, sagte Kronfelder: „Ja, das Denken ist bedroht an der CEU.“ Zwar könne sie noch frei lehren in Ungarn. Aber was nütze das schon, wenn die Hochschule, an der sie das tut, politischen Stimmungen ausgesetzt und von der Schließung bedroht sei? Pessimistisch äußerte sich auch der britische Philosoph Michael Beaney. Natürlich sei in England die Freiheit der Wissenschaft garantiert. Allerdings bedrohe der Brexit ganz konkret den Forschungsstandort Großbritannien.

Die amerikanisch-deutsche Philosophin Susan Neiman lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. Sie fand vor allem selbstkritische Worte, als sie nach Trumps Kürzungsplänen für die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern gefragt wurde. Die Philosophie müsse sich nicht wundern, an Bedeutung zu verlieren, wenn sie keine Antworten auf die tatsächlichen Probleme der Welt finde. „Ich merke mehr und mehr: Man hört nicht auf uns. Zwar sehnen sich alle nach Theorie. Aber was wir anbieten, befriedigt nicht dieses Bedürfnis.“ Neiman forderte eine deutliche Praxiswende der Philosophie. Dazu gehöre auch eine neue Mentalität. Die praktische Betätigung sei in der Fachwelt nicht gerade prestigeträchtig und könne Karrierewege verbauen. Dieses Denken müsse sich ändern. „Man hat die richtigen Ideen. Aber Gespräche werden nur untereinander geführt und in einer Sprache, die nur ein paar Leute erreicht.“

Dem stimmte auch Maria Kronfelder zu. „Wir sollten als Expertinnen auftreten, nicht als abgehobene Intellektuelle.“ Die große Unterstützung, die der CEU in der ungarischen Bevölkerung zuteilwerde, zeige, dass das an manchen Stellen schon gelungen sei.

"Einsam und maulwurfsähnlich"? Im Gegenteil: Die Philosophen suchen in Berlin den Dialog mit der Praxis

Praktisch will der Kongress auch in seinem weiteren Programm sein. So finden sich neben den fachlichen Kolloquien und Sektionstreffen in diesem Jahr zum ersten Mal Foren zu Themen wie akademische Nachwuchsförderung oder moralisches Lernen im Ethik- und Philosophieunterricht. Ebenso geht es darum, wie die Philosophie auf konkrete gesellschaftliche Probleme reagieren könnte. So diskutierten Sozialphilosophen mit der ehemaligen Verfassungsrichterin Gertrud Lübbe-Wolf über die Integration von Flüchtlingen als moralische und politische Herausforderung.

Deutlich wurde dabei, wie weit der Weg zwischen der Realität des Rechts und der Theorie der Philosophie manchmal ist. Während die Richterin schon über die juristische Rechtmäßigkeit von Nationalstaaten, Grenzen und Abschiebungen dozierte, fragten sich die Philosophen noch, was es mit den Begriffen „Flüchtling“ oder „Integration“ überhaupt auf sich habe und wie legitim Grenzen sein können. Trotzdem: Die Diskussion zeigte exemplarisch, wie beide Seiten aufeinander zugehen können – etwa bei der gemeinsamen Forderung, dass Migration als gesellschaftliche Tatsache anerkannt werden sollte. Von Maulwürfen keine Spur.

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