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Eine Ampulle mit dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca und der Universität Oxford

© dpa/PA Media/John Cairns/University Of Oxford

Update

Pharmakonzern reagiert auf heftige Kritik: AstraZeneca kündigt „zusätzliche Studie“ zu Corona-Impftstoff an

Der Corona-Impfstoff von AstraZeneca liegt auf dem dritten Platz im Rennen um die Wirksamkeit. Doch die Studie hatte entscheidende Fehler.

November ist Impfstoffmonat. Montag ist Impfstofftag: Erst stellte Biontech seinen RNA-Impfstoff vor, eine Woche später folgte Moderna und am vergangenen Montag ging nun AstraZeneca mit ersten Ergebnissen des mit der University of Oxford gemeinsam entwickelten Impfstoffkandidaten an die Öffentlichkeit.

Die britische Presse überschlug sich: durchschnittlich 70 Prozent wirksam, mit etwa 2,50 Euro preiswerter als ein Kaffee, etwa 100 Millionen Impfstoffdosen bis Ende des Jahres. Doch schon Stunden später kamen die ersten Zweifel auf. Und inzwischen ist es eher höflich, nur von Ungereimtheiten bei der Durchführung und der Interpretation der Ergebnisse zu sprechen. 

Schon bei der Präsentation der Studienresultate machte der Konzern einen Kardinalfehler, der ihm niemals hätte passieren dürfen: Die Pharmaforscher vermischten die Ergebnissen aus zwei unterschiedlichen Studien: Die eine mit knapp 9000 Teilnehmern wies eine - im Vergleich zu Biontechs und Modernas Meldungen von über 90-prozentiger Wirksamkeit ihrer Impfstoffe - wenig überzeugende Wirksamkeit von 62 Prozent auf. Die andere, mit 2741 Probanden nicht einmal einem Drittel des anderen Arms, kam auf eine hervorragende Wirksamkeit von 90 Prozent - zusammengenommen gut 70 Prozent.

Am Donnerstag nun reagierte AstraZeneca auf Kritik an der Methode, der Präsentation und der Kommunikation – und kündigte eine „zusätzliche Studie“ für den Wirkstoff des Unternehmens an. Diese sei erforderlich, nachdem Fragen über die Wirksamkeit des Impfstoffes aufgekommen seien, sagte Firmenchef Pascal Soriot.

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Zwei verschiedene Studien als eine verkauft

Das Problem hinter dem Vorgehen war die fehlende Vergleichbarkeit der beiden Studien. Denn der kleinere - und scheinbar erfolgreichere -Teil erhielt statt zwei vollständigen Impfungen im Abstand von 28 Tagen zu Beginn lediglich die halbe Dosierung. Damit verstießen das Unternehmen und seine Forscher bereits am Montag gegen eine goldene Regel der Impfstoffentwicklung. Inzwischen gibt das Unternehmen seinen Fehler zu.

Fast krampfhaft versuchte Andrew Pollard, der leitende Impfstoffforscher von der University of Oxford, bei einem am Montag veranstaltetem virtuellen Pressegespräch die völlig unterschiedlichen Resultate zu erklären. „Es könnte sein, dass das Immunsystem einfach anders programmiert wurde“, sagte er. Wie, erklärte er nicht.

Anders als Biontech und Moderna packten die britischen Forscher den genetischen Code für das „Stachel“-Protein des Coronavirus, mit dem es in die Zellen gelangt, in einen unschädlich gemachten Erkältungsvirus aus Schimpansen, um es in den Körper zu transportieren.

Das dem menschlichen Immunsystem fremde Affen-Virus soll die Immunreaktion verstärken, so die Idee dahinter. Wissenschaftler spekulieren nun, ob das Abwehrsystem mit einer vollen ersten Impfdosis überstimuliert worden sein könnte und sich in Folge dessen nicht mehr gegen das Coronavirus, sondern gegen den Impfstoff selbst wehrte. Was letztlich zu einer verminderten Schutzwirkung gegen Sars-CoV-2 führte.

Fehler beim Abfüllen des Studien-Impfstoffs

Doch vielleicht ist die Antwort viel einfacher und liegt im dritten Problem der Studien: Das Alter. Die Teilnehmer der Gruppe, die bei der ersten Impfung nur eine halbe Dosis bekommen hatten, waren im Durchschnitt deutlich jünger, zwischen 18 und 55 Jahren und gehörten keiner Risikogruppe an.

Der große Studienarm hingegen, in dem die Probanden schon zu Anfang die volle Impfstoffdosis bekamen, schloss Ältere und Vorerkrankte ein. Insgesamt kam es, laut Unternehmen, zu 131 symptomatischen Covid-19 Fällen. Wie sich diese aber auf die Gruppen mit halber Anfangsdosis, mit regulärer Impfung und auf die Placebogruppe verteilten, teilte es nicht mit.

„Da sind eine ganze Reihe von Variablen, die wir verstehen müssen“, sagte Mouncef Slaoui, der Leiter des US-Impfstoffprogramms Operation Warp Speed dem Wissenschaftsmagazin „Science“.

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Denn um die Verwirrung komplett zu machen, stellte sich bereits wenige Stunden nach der Bekanntgabe heraus, dass das Unternehmen nicht nur Daten vermischt hatte, sondern dass die Gruppe mit der halben Erstimpfung auf einen Produktionsfehler zurückging.

Die Hersteller hatten die Impfstoffgläschen lediglich mit der halben Dosis befüllt. Statt aber die Teilnehmer mit der niedrigeren Dosis von der Studie auszuschließen, entschieden sich die Forscher, den Aufbau der Studie einfach anzupassen, um später die Ergebnisse mit der vollen und der Kontrollgruppe, die entweder einen Meningokokken-Impfstoff oder eine Placebo-Impfung bekommen hatte, zu vergleichen.

„Vertrauen in das Entwicklungsprogramm beschädigt“

Eigentümlich kann man auch den Versuch von Pam Cheng, Executive Vize-President Operations and Information Technology von Astra Zeneca, nennen. Sie versuchte den Fehler zu einem Erfolg umzudeuten und erklärte mehrfach, dass man so die Zahl der Impfungen verdoppeln könne.

Das allerdings ist ein fast vorsätzlicher Rechenfehler, denn die Zahl der Impfungen kann durch die gesparte halbe Dosis einer von zwei Impfdurchgängen lediglich um eine Drittel steigen. Erst auf Nachfrage gestand sie ein, dass die Verdoppelung sich nur auf die erste Impfung bezogen hätte.

Inzwischen zeigen sich Experten weltweit entsetzt über das Vorgehen. „Sie haben das Vertrauen in ihr gesamtes Entwicklungsprogramm beschädigt“, sagte Geoffrey Porges, ein Analyst der SVB Leerink Investmentbank der „New York Times“. Der Leiter des Tübinger Instituts für Tropenmedizin, Peter Kremsner, der an einer Studie des deutschen Impfstoffentwicklers Curevac beteiligt ist, findet noch deutlicher Worte: „Das, was wir jetzt den Zeitungen entnehmen, hört sich miserabel an“, sagt er.

Gravierender noch als den Vertrauensverlust in die Forschungsarbeit, beurteilt er den Schaden, den AstraZeneca und sein universitärer Partner der öffentlichen Gesundheit zufügt. „Der Erfolg von Impfungen hängt im Wesentlichen von der Bereitschaft ab, sich impfen zu lassen“; sagt er. Das Vorgehen der Briten trage dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung zu untergraben. „Das ist ein Vorlage für Impfgegner“, so Kremsner.

Edda Grabar

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