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Der Preis der Hoffnung. Wenn sie anschlagen, ermöglichen neue Krebsmedikamente Patienten ein längeres Überleben.

© mauritius images/Amelie-Benoist

Pharmaindustrie: Lukrative Krebsmedikamente

Einer neuen Untersuchung zufolge sind die Entwicklungskosten weit geringer als gedacht. Damit gerät die Rechtfertigung hoher Preise ins Wanken.

Neue Krebsmedikamente können Patienten ein besseres und längeres Leben ermöglichen, sofern die Behandlung anschlägt. Zu den Schattenseiten zählen die hohen Kosten für die Arzneimittel, die sich mittlerweile pro Patient auf Zehntausende von Euro oder sogar sechsstellige Summen belaufen können.

Die Pharmaindustrie rechtfertigt das mit hohen Entwicklungskosten – ein Argument, dem das Ergebnis einer neuen Studie deutlich widerspricht. Danach spielen die Mittel häufig ein Vielfaches dessen ein, was Forschung und Entwicklung (F & E) zuvor verschlungen haben.

Vinay Prasad (Oregon Health and Science University, Portland) und Sham Mailankody (Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York) untersuchten zehn börsennotierte Unternehmen, die ihr erstes Medikament auf den Markt gebracht hatten. Informationsgrundlage waren die Jahresberichte der Unternehmen, zu denen diese börsenrechtlich verpflichtet sind.

540 Millionen Euro pro Medikament

Wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Jama Internal Medicine“ berichten, benötigten die Firmen im Mittel 7,3 Jahre bis zur Zulassung des Wirkstoffs. Die Kosten für F & E schlugen mit jeweils 648 Millionen Dollar (etwa 540 Millionen Euro) zu Buche, wobei der Aufwand für parallel entwickelte, aber gefloppte Substanzen in dieser Summe enthalten ist.

Auf der anderen Seite standen häufig hohe Erträge. Von den zehn Herstellern nahmen neun mehr Geld ein, als sie zuvor für F & E verausgabt hatten, vier von ihnen gar mehr als das Zehnfache. So fuhr das Prostatakrebsmittel Enzalutamid bislang mehr als 21 Milliarden Dollar ein, bei „bescheidenen“ Entwicklungskosten von 470 Millionen.

Im Mittel 648 Millionen Dollar Entwicklungskosten für ein neues Krebsmedikament – diese Zahl steht in krassem Widerspruch zu einer älteren Analyse der Tufts University, Boston, die pro neuem Krebsarzneimittel F & E-Kosten von 2,7 Milliarden Dollar (2,25 Milliarden Euro) veranschlagt und die als Maßstab gilt. Die Tufts-Forscher nutzten für ihre Schätzung nicht öffentlich zugängliche Daten zu Arzneimittelstudien von zehn Pharmafirmen. Ihre Auswertung kann also von außen nicht nachvollzogen werden.

Nur ein Viertel der bislang angenommenen Kosten

Die Ergebnisse der neuen Studie kommen also lediglich auf ein Viertel der Summe der Tufts-Auswertung. Die Resultate zeigten, dass es Spielraum nach unten für die Preisgestaltung gebe, ohne dabei die Innovation zu schmälern, sagte der Studienautor Vinay Prasad der Website „Medscape“.

Zugleich kritisierte er, dass das gegenwärtige System der Preisfestsetzung auf einem manipulierten statt einem freien Markt beruhe. „Jahre des Pharma-Lobbyismus haben es der Industrie erlaubt, vom Gesundheitsdienst CMS (Centers for Medicare & Medicaid Services) zu verlangen, was immer sie haben will“, sagte Prasad. „Die CMS hingegen können nicht verhandeln oder nein sagen – zumindest nicht bei Krebsmedikamenten.“

Schützenhilfe erhielt Prasad durch den Gesundheitsexperten Merrill Goozner. Er lobt die Studie, weil sie anders als die Tufts-Analyse innovative Start-up-Unternehmen in den Mittelpunkt stellt. Diese haben mittlerweile einen Anteil von 70 Prozent an neuen Erlösen durch die traditionelle pharmazeutische Industrie. Diese schluckt die kleinen Gründerfirmen entweder (wie den Entwickler von Enzalutamid) oder geht Partnerschaften mit ihnen ein.

Härter um Preise verhandeln, fordern Kritiker

„Die Schlussfolgerungen der neuen Untersuchung sind klar“, schreibt Goozner in einem Kommentar in „Jama Internal Medicine“. „Die gegenwärtige Preispolitik der pharmazeutischen Industrie steht in keiner Relation zu den tatsächlichen Kosten von Forschung und Entwicklung. Politische Entscheider können bei den Medikamentenpreisen ein Wörtchen mitreden, ohne Angst zu haben, dass sie Innovation gefährden.“

Andere Experten und Industrievertreter äußerten sich kritisch. Der Hauptvorwurf lautet, dass die Studienmacher nicht berücksichtigt hätten, dass 95 Prozent der neuen Wirkstoffe scheiterten und die weitaus meisten Biotechnik-Unternehmen keinen Profit machten. Stattdessen hätten sich die Forscher nur erfolgreiche Firmen herausgepickt. „Das ist ein bisschen so, als wenn man sagen würde: Hey, es ist eine gute Geschäftsidee, loszugehen und Gewinnlose bei einer Lotterie zu kaufen“, sagte Daniel Seaton von der „Biotechnology Innovation Organization“ der „New York Times“. „Wenn das seltene Ereignis eintritt und eine Firma eine Zulassung bekommt, dann muss diese Belohnung in Beziehung zu den vielfältigen Risiken gesetzt werden, die kennzeichnend für diese Industrie sind. Nur so kann die Medikamentenentwicklung für künftige Investoren ökonomisch attraktiv bleiben.“

Stark wachsende Kosten für Krebsmedikamente werden auch in Deutschland kritisiert. So stellte die Krankenkasse Barmer in ihrem im Juni 2017 vorgelegten Arzneimittelreport fest, dass die Aufwendungen für Tumorarzneimittel seit 2011 um 41 Prozent gestiegen seien. Man müsse debattieren, ob der Preis stets gerechtfertigt sei, sagte der Barmer-Chef Christoph Straub. Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Pharma-Unternehmen, warf der Kasse daraufhin Zynismus vor.

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