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Adressatin des offenen Briefs der wegen des Brexits sich sorgenden britischen Germanisten ist Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© AFP

Offener Brief an Bundeskanzlerin: Germanisten in Großbritannien bitten Merkel um Solidarität

Christopher Clark ("Die Schlafwandler") und mehr als 300 weitere Wissenschaftler haben wegen des Brexits einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, den wir hier dokumentieren.

305 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter ihnen Sir Christopher Clark von der Universität Cambridge, der zuletzt etwa mit seiner umfassenden Studie "Die Schlafwandler" über den Ersten Weltkrieg in Erscheinung trat, haben einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben. Darin bitten die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner die Bundeskanzlerin, die Interessen der britischen Befürworter eines EU-Verbleibs in den Brexit-Verhandlungen mit der britischen Regierung zu vertreten - mit besonderem Blick auf die vielen jungen Briten, die gegen den EU-Austritt gestimmt haben und auf eine europäische Zukunft hoffen. Einen Tagesspiegel-Beitrag zu möglichen Folgen für die Wissenschaft durch den Brexit lesen Sie hier.

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sehr geehrte Regierungsmitglieder,

Erlauben Sie uns als Forschenden und Lehrenden aus Germanistik und verwandten Geistes- und Sozialwissenschaften, unsere Besorgnis über die Brexit-Verhandlungen auszudrücken. Als EU-Mitglieder möchten wir Deutschland um Solidarität für alle britischen Europäerinnen und Europäer bitten, die dieses Ergebnis weder gewählt noch gewollt haben. Schützen Sie unsere Rechte bei den Austrittsverhandlungen! Druck, der im Namen der Einheit der verbliebenen 27 Staaten ausgeübt wird, widerspräche fundamental dem Prinzip europäischer Solidarität.

Wir haben eine Generation junger Europäerinnen und Europäer ausgebildet und sie dazu ermutigt, Geschichte, Politik und Kulturen zu verstehen, auf denen europäische Zusammenarbeit fundamental aufbaut. Erasmus+ und das Recht, im Ausland zu leben und zu studieren, hat es vielen unserer Studierenden ermöglicht, ihre private und berufliche Zukunft aus ihrer EU-Mitgliedschaft heraus zu gestalten. Sie laufen Gefahr, ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu verlieren, ihr Recht auf Gleichbehandlung ebenso wie auf demokratische Mitbestimmung vor Ort.

Letzte Woche stimmten fast drei Viertel der Wähler und Wählerinnen unter 25 Jahren dafür in der Europäischen Union zu bleiben. Die Möglichkeiten, die die europäische Integration eröffnet hat, könnten ihnen bald verwehrt werden. Statt junge Leute von der EU-Mitgliedschaft auszuschließen sollten wir intensiv gemeinsam daran arbeiten, allen Menschen in Europa das ihnen zustehende Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen zu verschaffen.

Die unerschütterliche Grundlage Europas liegt in den Werten von Demokratie, Gerechtigkeit und Solidarität; die Einheit baut auf der europäischen Vielfalt auf und wird durch die große Spannbreite unserer unterschiedlichen europäischen Identitäten bereichert. Wir sind an der europäischen politischen Einheit gewachsen und haben uns von Staatsbürgern zu Europäerinnen und Europäern entwickelt. EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten haben ihr Leben innerhalb Großbritanniens gestaltet.

EU-Bürgerinnen und -Bürgern diese lieb gewonnenen und hoch geschätzten Rechte zu entziehen, würde unsere Verantwortung gegenüber allen Miteuropäerinnen und Miteuropäer, ob britisch oder nicht, verraten. Obwohl die britische Regierung sicher nicht immer eine treibende Kraft hinter der europäischen Einheit war, gibt es jetzt eine Generation britischer Bürgerinnen und Bürger, die eine Zukunft in der europäischen Union wollen und wünschen. Ihnen das europäische Bürgerrecht zu verwehren, widerspräche unmittelbar den europäischen Verträgen, die auf Solidarität und Entfaltung für alle Europäerinnen und Europäer setzen. Wir bitten Sie nachdrücklich und herzlich darum, die Rechte aller EU-Bürgerinnen und -Bürger in den kommenden Verhandlungen mit Großbritannien zu vertreten.

Hochachtungsvoll,

(Die gesamte Liste der bislang 305 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner finden Sie hier.)

(Eine englische Version des offenen Briefs lesen Sie hier.)

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