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Simuliertes Sehen. Der Netzhautchip der Firma Retina Implant (Foto oben und Grafik) „fängt“ das Licht wie intakte Sinneszellen ein und wandelt es in elektrische Signale um. Die werden über Nervenzellen an das Gehirn weitergegeben. Foto: Visum

© Andy Ridder / VISUM

Netzhautchips: Es werde wieder Licht

Ein Netzhautchip erlaubt es Blinden, ein wenig zu sehen – und sogar zu lesen

Den Blinden wieder sehend machen – diesem alten Menschheitstraum sind deutsche Forscher einen Schritt nähergekommen. Das Team um den Augenarzt Eberhart Zrenner von der Uni Tübingen pflanzte drei Patienten eine elektronische Sehhilfe unter die Netzhaut (Retina). Innerhalb von Tagen konnten die fast völlig Erblindeten wieder Umrisse und Objekte erkennen, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Proceedings of the Royal Society B“. „Die Ergebnisse dieser Pilotstudie liefern deutliche Hinweise darauf, dass das Sehen bei Patienten, die durch eine angeborene Netzhautstörung erblindeten, so wiederhergestellt werden kann, dass es für das tägliche Leben ausreicht“, sagt Zrenner.

Am besten schnitt ein Patient ab, dem der Netzhautchip direkt unter den gelben Fleck eingesetzt worden war, der in der Mitte der Netzhaut gelegene Punkt des schärfsten Sehens. Dem Mann gelang es, Buchstaben in Daumengröße und ganze Wörter zu lesen. So entdeckte er, dass sein Name „Miikka“ als „Mika“ falsch geschreiben worden war. Miikka konnte sich frei im Raum orientieren, anderen Menschen gegenübertreten und sieben Grauschattierungen auseinanderhalten.

Weltweit arbeiten rund 20 Gruppen an der Entwicklung elektronischer Sehprothesen, aber nur wenige testen sie bereits an Menschen. Ganz vorn dabei ist Zrenner, dessen Reutlinger Firma „Retina Implant“ den Netzhautchip selbst herstellt.

Verfolgt werden zwei Strategien. Das Tübinger Team setzt den Chip unter die Netzhaut. Hier ersetzen die auf drei mal drei Millimeter konzentrierten 1500 elektronischen „Sehzellen“ (Photodioden) des Retinachips die wegen der Krankheit ausgefallenen Sinneszellen der Netzhaut.

Ein Lichtstrahl, der auf den Chip trifft, wird von Photodioden registriert, verstärkt und als elektrischer Impuls an die Nervenzellen weitergegeben. Die liegen über den Sinneszellen und leiten das Signal ans Gehirn weiter. Der elektrische Impuls fällt je nach Helligkeit stärker oder schwächer aus. Mehrmals pro Sekunde liefern die Photodioden einen „Schnappschuss“, ein grobes Foto des auf die Netzhaut geworfenen Bildes (siehe Infografik). Der Netzhautchip wird über ein Kabel von außen mit Strom versorgt.

Ein anderer Weg besteht darin, den Chip mit winzigen Reißzwecken auf der Netzhaut zu befestigen. Den Nervenzellen des Auges wird bei diesem Vorgehen das künstliche Bild gleichsam aufgezwungen. Es kann zunächst mit einer Spezialbrille registriert werden. Der Chip liefert dann lediglich ein bereits „fertiges“ elektrisches Impulsmuster an die Nervenzellen. Der Vorteil besteht darin, dass die Bildaufnahme und -verarbeitung außerhalb des Auges geschieht und leicht verbessert oder ersetzt werden kann.

Vor allem zwei Augenleiden kommen für eine Therapie mit dem Sehchip in Frage: Die Retinitis pigmentosa, eine genetisch bedingte langsame Erblindung, bei der die Sinneszellen der Netzhaut absterben. Weltweit haben bis zu 200 000 Menschen durch die Krankheit ihr Augenlicht verloren. Auch die altersbedingte Makuladegeneration, die den Punkt des schärfsten Sehens auf der Netzhaut zerstört, ließe sich mit einem Sehchip behandeln. Doch gibt es mittlerweile Medikamente, mit denen das Leiden eingedämmt werden kann. Nicht geeignet sind elektronische Sehhilfen, wenn die Erblindung ihre Ursache im Gehirn hat – etwa durch einen Schlaganfall – oder aber die gesamte Netzhaut geschädigt ist, wie beim grünen Star.

Trotz aller Fortschritte steckt die Entwicklung von Sehprothesen erst in den Anfängen. Noch ist unklar, wie die Nervenzellen auf Dauer auf die Stimulation durch den Chip reagieren. Und selbst einige tausend künstliche Sinneszellen werden niemals die 125 Millionen Sehzellen der Netzhaut ersetzen können. Das künstliche Bild der Wirklichkeit bleibt grob, das Erkennen von Gesichtern vorerst utopisch. Ebenso können sich die Sehchips nicht an Helligkeit oder Dunkelheit anpassen, wie es das Auge vermag. Noch schwieriger ist es, Farbsehen zu ermöglichen. Bisher „funken“ die Netzhautchips nur ein Schwarzweißbild. Wer blind ist, wird auch dafür schon dankbar sein.

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