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Monokulturen und Pestizide vertreiben die Insekten vom Land. In Berlin fühlen sich vor allem die Wildbienen inzwischen wohl.

© Patrick Pleul/dpa

Mögliche Auswirkung der Landwirtschaft: Insekten zieht es in die Stadt

Pestizide und Monokulturen vertreiben Falter, Bienen und ihre Artgenossen vom Land. Kleingärten und Parks in Berlin sind bei Insekten beliebt. Jeder kann zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen.

Insekten und Vögel fühlen sich mittlerweile in der Stadt oft wohler als auf dem Land. Das mag seltsam klingen, aber Berlin ist bei fliegenden, kriechenden, summenden und brummenden Tierchen beliebter als Brandenburg. Das erklärt Hannes Petrischak von der Hans-Sielmann-Stiftung, einer Organisation, die sich dem Naturschutz verschrieben hat.

Auch Johannes Steidle, der Leiter des Fachbereichs Tierökologie an der Uni Hohenheim, sieht Hinweise auf einen solchen Trend. „Harte Zahlen sind mir dazu nicht bekannt, aber sie müssen sich nur Berlin ansehen“, sagt er. Hier kämen mehr als 80 Prozent aller nord-ost-deutschen Wildbienenarten vor.

Die Gründe für die Landflucht der Insekten sind die Vielfalt der Stadt und Monokulturen und Pestizideinsatz auf dem Land. Über den Schaden, den die Landwirtschaft an der Insektenpopulation verursacht, wird öffentlich diskutiert, nachdem eine Studie kürzlich zeigte, dass seit 1989 die Biomasse an Fluginsekten um drei Viertel gesunken ist.

Große Teile der Natur auf dem Land sind landwirtschaftlich genutzt in Deutschland. Seien es Äcker, Wiesen, oder Wälder: Um so viel Mais, Heu, oder Holz wie möglich zu bekommen, wird gedüngt und vereinheitlicht. „Störende“ Elemente wie kleine Flüsse, Hecken, Brachen, wo Wildpflanzen wachsen und Insekten sich vermehren, werden beseitigt, um mehr Fläche bewirtschaften und große Maschinen einsetzen zu können, erklärt Petrischak.

Saftige Wiesen sind nichts für viele Insekten

Schmetterlinge, Bienen und andere Insekten, aber auch Vögel wie etwa Feldsperlinge zieht es in die Stadt. „Berlin ist eine sehr grüne Stadt, es gibt viele Parks und Kleingartenanlagen“, erklärt auch Steidle. Diese werden weniger mit Pestiziden und Dünger behandelt, die Natur ist vielfältiger und nicht auf Ertrag ausgerichtet.

Dass Tiere mit Mais-Monokulturen und Ackerflächen wenig anfangen können, ist keine Überraschung. Doch was genau stört die Insekten und Vögel an – dank Dünger – saftigen, grünen Wiesen mit hohem Gras? Düngen Bauern ihre Wiesen, überhäufen sie diese mit Nährstoffen, sagt Steidle.

Viele Pflanzen können dieses Überangebot nicht verarbeiten, werden verdrängt von denen, die sich auf nährstoffreichem Boden wohlfühlen. Das Problem: Die meisten Insektenarten sind sehr wählerisch, wenn es ums Essen geht. „Wenn man einem Käfer, der normalerweise Chinakohl isst, einen Eisbergsalat hinhält, verhungert der eher, als das zu fressen“, erklärt Steidle. Gibt es nun weniger Pflanzenarten, gibt es auch weniger Insekten.

Monokulturen, Pestizide, Überdüngung und einheitliche Landschaft. Diese Entwicklungen hat schwerwiegende Folgen. „Besonders schockierend ist, dass diese Daten aus Naturschutzgebieten stammen. Also den Regionen, von denen man dachte, dass die Welt noch in Ordnung sei“, sagt Ingolf Steffan-Dewenter, Tierökologe von der Universität Würzburg.

Wie es außerhalb dieser geschützten Zonen aussieht, wolle man sich gar nicht vorstellen. In der jüngst veröffentlichten Studie schließen die Forscher tatsächlich andere Faktoren wie etwa das Klima als Auslöser für den Schwund aus.

Am Ende deutet vieles auf die Landwirtschaft hin. Um den weiteren Rückgang der Insektenpopulation aufzuhalten, müsste man weniger Pestizide und Dünger einsetzen und die natürliche Vielfalt der Landschaft wiederherstellen, sagen die Experten.

Ein "gesamtgesellschaftliches Problem"

Der Deutsche Bauernverband warnte aber vor einer übereilten Verurteilung der Landwirtschaft.
Das will auch Johannes Steidle nicht. „Wir müssen erkennen, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist“, sagt er. Die Lebensmittelpreise seien zu niedrig, die Bauern müssten also viel und günstig produzieren, um überleben zu können.
Die Stadt kann aber nicht die Rettung der Insekten sein, sagt Steffan-Dewenter. Denn auch Gärtner sprühen Gift gegen Schädlinge, der Verkehr schadet den Tieren, die abendliche Beleuchtung irritiert nachtaktive Insekten. Außerdem wird immer mehr gebaut, Brachflächen fallen weg, der Boden wird mit Beton versiegelt.

Von der Politik erwarten sich die Wissenschaftler nun ein Machtwort. Schädlinge könnten auch ohne Pestizide bekämpft werden, erklärt Steffan-Dewenter. Etwa, indem man ihre natürlichen Gegner fördert und Monokulturen reduziert – je mehr es von ihrer präferierten Nahrung gibt, desto größer werden die Schädlingspopulationen. Außerdem sei es „ein Armutszeugnis, dass Deutschland keine langfristigen Beobachtungsprogramme für Biodiversität hat“, sagt Steffan-Dewenter.

Dass es immer weniger Insekten gebe, sei zwar ein diffuses Gefühl gewesen, doch nun gibt es erstmals Zahlen dazu – ehrenamtlich erhoben von Hobby-Insektenkundlern, nicht durch eine Universität oder Forschungseinrichtung. Er fordert Fördermittel vom Bund für zukünftige Studien zu diesem Thema.

Aber auch jeder Einzelne kann etwas tun, um die Artenvielfalt zu erhalten. Wenn man seinen Rasen nicht düngt, keine Pestizide einsetzt, nicht so oft mäht und auch abgeblühte Pflanzen mal stehen lässt, hilft das schon. Auch beim Konsum von Lebensmitteln kann man zu insektenfreundlich hergestellten, ökologischen Produkten greifen, sagen die Forscher.

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