zum Hauptinhalt
Luftig. In Berlin-Pankow gibt es bereits ein Wohnhaus, das mit Infraleichtbeton errichtet wurde.

© Liapor

Moderne Fassaden: Ein neuer Beton aus Berlin soll das Bauen leichter machen

Ingenieure der TU Berlin haben einen neuen Werkstoff entwickelt, der Wärmedämmung überflüssig machen soll. Schon bald könnte er in Berlin eingesetzt werden - für ein siebenstöckiges Gebäude.

Besonders im Frühjahr ist es ein Ärgernis: Dann picken Spechte immer wieder Löcher in Fassaden, um in der Wärmedämmung ihre Nester zu bauen. Die besteht in der Regel aus Polystyrol, besser bekannt unter dem Markennamen Styropor. Um bis zu 80 Prozent soll der Energieverbrauch von Gebäuden durch Wärmedämmung reduziert werden, lautet das Ziel der Energiesparverordnung. Doch die mediale Kritik an Dämmplatten reißt nicht ab. Sie saugen sich mit Wasser voll, wenn der Putz durch Witterung oder Vögel beschädigt ist. Auch führe die Hausdämmung zu Algenbildung, indem die Außenwand kalt bleibt und somit oft feucht ist. Zudem brenne Styropor leicht. Alternative Dämmstoffe wie Glas- oder Steinwolle seien zwar weniger leicht entflammbar, dafür aber teurer, so die Argumentation der Kritiker.

Kies wird durch Blähton ersetzt

„In Zukunft könnten Hausbauer ganz auf Dämmmaterial verzichten, denn es gibt eine Alternative“, sagt Mike Schlaich vom Institut für Bauingenieurwesen der TU Berlin. Er hat mit seinem Team einen Beton entwickelt, der die Wärme im Zimmer halten soll. „Herkömmlicher Beton besteht aus Wasser, Zement und Kies. Wir ersetzen nun den Kies durch Blähton“, erläutert Schlaich. Blähton entsteht, indem Ton erhitzt und aufgeschäumt wird. Das Resultat sind kleine Tonkügelchen, die viel Luft enthalten. Luft ist ein schlechter Wärmeleiter, sodass der neue Beton gut dämmt. Der Werkstoff erfülle die Richtlinien der Energiesparverordnung, sagt Schlaich. Man müsse allerdings 50 bis 60 Zentimeter starke Wände bauen. Herkömmliche Mauerwerke mit Dämmplatten sind in der Regel etwa zehn Zentimeter dünner.

Trotzdem sind Wände aus Blähton-Beton keine Schwergewichte, denn durch den leichten Ton ist er zweieinhalb Mal leichter als Normalbeton. Der Werkstoff schwimmt sogar in Wasser. Die Wissenschaftler der TU Berlin sprechen daher von Infraleichtbeton. „Durch sein geringes Gewicht können Fertigteile leicht transportiert werden. Außerdem könnte das Bauen zügiger erfolgen, indem Arbeitsschritte wie Dämmen, Verputzen und Streichen wegfallen“, sagt Philip Rieseberg, Architekt beim Forschungsprojekt Infraleichtbeton der TU Berlin.

Die Zusammensetzung des Materials wurde weiter verbessert

Ein Gebäude aus dem neuen Material gibt es bereits in Berlin, es ist ein Einfamilienhaus in Pankow (der Entwurf stammte von Clemens Bonnen und Amanda Schlaich). Seit sechs Jahren wird es bewohnt, gleichzeitig dient es der Forschung. „Wir haben an dem Haus beobachtet, wie sich der Werkstoff langfristig verhält, ob Risse entstehen und ob er dämmt, wie gewünscht. Mit den Ergebnissen sind wir zufrieden“, sagt Schlaich.

In den vergangenen Jahren hat er mit seinem Team weiter an der Zusammensetzung der Betonmischung getüftelt. Ein Problem dabei war, dass Blähton porös ist. Zwar kann er dadurch leicht Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben, was ein angenehmes Raumklima begünstigt. Aber die poröse Struktur verringert die Festigkeit des Werkstoffs. Daher mischen die Berliner Bauingenieure Zusatzstoffe bei, die dafür sorgen, dass sich Ton, Zement und Wasser gleichmäßig verteilen. Ebenfalls beigemengter Silikastaub unterstützt die Stabilität, indem Zement und Blähton besser aneinanderhaften. „Wir haben nun die optimale Mischung für verschiedene Güteklassen gefunden, sodass der Infraleichtbeton selbst für Hochhäuser einsetzbar ist. Der Baustoff ist marktreif“, sagt Schlaich.

Nächstes Jahr könnte das erste große Haus entstehen

Gerade in Berlin gibt es großen Bedarf an neuen Wohnungen. Er ist daher im Gespräch mit Berliner Wohnungsbaugesellschaften, um erste Mehrfamilienhäuser mit Infraleichtbeton zu errichten. Konkret könnte schon nächstes Jahr ein etwa siebenstöckiges Haus in Berlin-Mitte entstehen. „Das Gebäude ist für eine Freifläche geplant, die von Häusern der Nachkriegsmoderne umgeben ist“, sagt Boris Reyher von der Firma „schlaich bergermann und partner“. Sie überprüft zurzeit die Machbarkeit des Projektes. „Dabei geht es um die genaue Ausgestaltung: Wie kann der Grundriss aussehen und wie die Außenfassade“, sagt Reyher. Die Kosten müssten natürlich ebenso geprüft werden, denn der Infraleichtbeton ist ungefähr doppelt so teuer wie gewöhnlicher. „Dafür sparen Sie den Anstrich, die Wärmedämmung und die teure Entsorgung der Dämmstoffe, wenn es zu einem Abriss kommt, sodass wir am Ende auf dasselbe rauskommen“, argumentiert Schlaich. Durch den Einsatz von Fertigteilen könnten die Kosten weiter sinken, glauben die TU-Ingenieure. Sie suchen daher Industriepartner, um das konkret zu erforschen. Vor allem Außenwände sollen anschließend als Fertigteile vermarktet werden.

Viele architektonische Möglichkeiten

„Architektonisch bieten solche Außenwände fantastische Möglichkeiten, denn Beton ist leicht formbar. Man kann ohne großen Aufwand Fassaden bauen, die Ornamente und Strukturen aufweisen“, sagt der Architekt Rieseberg. Bei verputzen Fassaden sei das weit schwieriger. Wie schmückende Betonwände im Detail aussehen sollen, hänge von der Umgebung ab. „In Berlin gibt es viele Altbauten. Den Stil der mit Stuck verzierten Fassaden könnte man aufgreifen, indem man mit Infraleichtbeton verzierte Hauswände baut, die sich an frühere Architektur anlehnen.“ An der TU werden daher die architektonischen Möglichkeiten des neuen Werkstoffs erforscht. Die Bauingenieure untersuchen derweil, inwiefern sich Altglas anstelle von Blähton für dämmenden Infraleichtbeton eignet. Ihre Forschung hierzu steht noch am Anfang.

Auch Altglas kann verwendet werden - doch das ist noch ziemlich teuer

Wissenschaftler der TU Kaiserslautern dagegen haben bereits 2012 zu Forschungszwecken auf dem Campus ihrer Universität ein Gebäude aus Infraleichtbeton mit Blähglas errichtet. Die Glaskügelchen enthalten wie Blähton viel Luft. Sie nehmen aber nicht so leicht Feuchtigkeit auf. „Das hat Vorteile“, sagt der Chemiker Joachim Schulze von der TU Kaiserslautern: „Blähton saugt sich bereits bei der Lagerung leicht mit Wasser voll. Wenn er zu Beton verarbeitet wird, ist unklar, wie viel Wasser im Werkstoff ist.“

Das erfordere aufwendige Messungen, die beim Blähglas-Beton wegfallen. Dieser wiederum ist relativ teuer. „Obwohl wir Glas verwenden, das nicht mehr recycelbar ist, kostet unser Baustoff mindestens das Fünf- bis Sechsfache von Normalbeton aus Kies“, sagt Schulze. Das Material müsse billiger werden. Bis das gelingt, soll schon einmal der Infraleichtbeton aus Blähton den Markt erobern.

Julia Beißwenger

Zur Startseite