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Therapie mit Erbgutschnipseln. Im Labor werden Genbruchstücke hergestellt, die anschließend im Körper des Patienten zu den kranken Zellen gebracht werden – um sie zu kurieren.

© IMAGO

Mit Erbgutmolekülen gegen seltene Erkrankungen: Die Rückkehr der Gentherapie

Mit Genen heilen, das ist in Europa seit Ende letzten Jahres erlaubt. Diese Woche soll entschieden werden, ob die 1,2 Millionen Euro teure DNS-Therapie gegen eine seltene Erbkrankheit von den Krankenkassen erstattet werden soll.

Gene als Medikamente? Defektes Erbgut einfach ersetzen, um Erbkrankheiten oder Krebs an der Wurzel zu behandeln? Das hatten Arzneimittelentwickler spätestens nach dem 17. September 1999 als interessante, aber leider nicht praktikable Forschervision abgehakt. Damals war der gerade 18-jährige Jesse Gelsinger an einer Überdosis „Genfähren“ gestorben, die die heilenden Gene in seine Zellen bringen sollten. Umso größer war die Überraschung, als die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMA im Dezember grünes Licht gab für die Gentherapie „Glybera“ der niederländischen Firma Uniqure gegen eine extrem seltene Erbkrankheit, den Lipoprotein-Lipase-Mangel (LPLD). Zumal die Firma ähnliche Genfähren verwendet wie die, die Gelsinger damals zum Verhängnis wurden. Allerdings haben Genforscher über die Jahre dazugelernt, haben ihre Gentransporter verbessert und Gentherapie fit für die Klinik gemacht. Doch Finetuning und jahrelange Entwicklung haben ihren Preis. 1,2 Millionen Euro soll die Therapie kosten. Pro Patient. Ob es das wert ist und die Kosten von den Krankenkassen erstattet werden sollen, will der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss in dieser Woche klären.

Fahrtziel Zelle - Taxis für Gene

Burghardt Wittig hat jedes Auf und Ab der Gentherapie miterlebt. 1998 gründete der Molekularbiologie-Professor der Freien Universität Berlin die Dahlemer Biotechfirma Mologen – inmitten der ersten Euphorie um die scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der Gentherapie. In den USA war schon 1990 der erste Mensch mit Genen behandelt worden, die damals vierjährige, an einer erblichen Immunschwäche erkrankte Ashanti deSilva. In Deutschland war Wittig der erste, der eine Gentherapie gegen Krebs an Menschen testete.

Doch dann merkten Forscher, dass sich die Gene nicht so einfach wie gedacht in die Zellen schleusen ließen. Oft fing das Immunsystem die Genfähren ab. Und wenn sie es doch in die Zellen schafften, waren die Gene oft nicht ausreichend aktiv, um den kranken Zellen zu helfen. Nach Gelsingers Tod und anderen Fehlschlägen wurde es still um die Gentherapie. Investoren zogen sich zurück, Entwicklungen wurden eingestellt.

Hundert Gentherapien in den letzten Testphasen

Mologen hingegen blieb stur und entwickelte spezielle DNS-Stücke, die das Immunsystem von Darmkrebspatienten so stimulieren, dass es gegen die Tumorzellen vorgeht. Die Therapie ist inzwischen in der dritten und letzten Testphase. 500 Patienten werden in einer Studie getestet, die bereits in mehreren Krebszentren in ganz Europa angelaufen ist. Neben dem Ansatz der Berliner sind derzeit rund hundert Gentherapien in den letzten Testphasen vor der Zulassung.

Der zweite Frühling der Gentherapie ermutigte nun auch die großen Pharmakonzerne, wieder in die Gentherapie zu investieren. Bis zu einer Milliarde Dollar will beispielsweise der der britische Konzern Bristol-Myers Squibb in eine Kooperation mit Uniqure stecken. Damit soll eine Gentherapie gegen Herzinsuffizienz entwickelt werden.

Die Bostoner Biotechfirma Genzyme, inzwischen ein Teil des deutsch-französischen Sanofi-Konzerns, forscht seit 20 Jahren an Gentherapien – ursprünglich weil der Sohn eines Freundes des Gründungsvorstands an Mucoviszidose litt. „Weil man gerade den Gendefekt entdeckt hatte, dachte damals jeder, das sei eine der ersten Krankheiten, gegen die eine Gentherapie entwickelt werden könne“, sagt David Meeker, der die Firma heute leitet. Doch dann habe man die ersten Tücken der Gentherapie kennenlernen müssen.

Der Mercedes unter den Gen-Limousinen

Inzwischen sind die Transportvehikel, mit denen die therapeutisch wirksamen Gene in die Zellen der Patienten kutschiert werden, besser geworden. Der Mercedes unter den Gentaxis ist das Schnupfenvirus AAV (für Adenoassoziiertes Virus). Es ist so verändert, dass es keine Krankheit mehr auslöst, sondern nur das gewünschte Gen in Zellen bringt. Die ersten AAV-Modelle hatten noch ihre Macken, doch inzwischen wissen Forscher, welches Chassis sich für welches Gelände im Körper eignet. „Wir wissen zum Beispiel, dass bestimmte AAV-Typen im Gehirn besser funktionieren, wieder andere sind besser für Therapien im Auge oder anderen Organen“, sagt Meeker.

Schlechter Gentransfer, hoher Preis

Burghardt Wittig ist da skeptischer. Zwar freut er sich, dass mit Glybera nun erstmals eine Gentherapie auf AAV-Basis in Europa zugelassen und damit die „regulatorische Hürde“ genommen ist. Er hält AAV aber noch nicht für die optimale Technologie. Das Virus kann nur relativ kleine Gene tragen und im Fall von Glybera, braucht es 25 Injektionen in den Oberschenkel der LPLD-Patienten, bis genug Gene in den Muskelzellen angekommen sind, um zu wirken. „Es gibt längst Systeme, die Erbgut effektiver in den Körper bringen – und damit meine ich nicht nur unsere Technik, bei der wir nur DNS und keine Viren verwenden“, sagt Wittig. Die geringe Effizienz des Gentransfers trage auch zum hohen Preis der Gentherapie bei, denn jede Injektion kostet rund 50 000 Euro.

Das technische Optimum hat die Gentherapie noch nicht erreicht. Doch in der jahrelangen Flaute wurde man sich immerhin der Schwächen und Stärken der Methode bewusster. Anstatt es im euphorischen Überschwang mit jeder Krankheit in jedem Organ aufnehmen zu wollen, beschränkt man sich jetzt auf solche, bei denen der Gentherapie-Ansatz tatsächlich Erfolgsaussichten hat. „Einen gentherapeutischen AAV über die Atemwege in die richtigen Zellen zu bringen, das ist angesichts der Immunreaktion und schwierigen Verteilung in den Bronchien besonders schwierig“, sagt Meeker. Deshalb ist von Gentherapien gegen Mukoviszidose kaum noch etwas zu hören. „Das ist anders bei einer Gentherapie gegen eine Augenerkrankung, denn im Auge sind die Gene vor dem Immunsystem besser geschützt“, sagt Meeker. Deshalb sind derzeit viele Gentherapien gegen Augenerkrankungen wie die Makuladegeneration in der Entwicklung und es sei sicher damit zu rechnen, dass die Arzneimittelbehörden in den nächsten Jahren einige davon zulassen werden.

Nicht riskanter als andere Therapien

Auch das Gehirn ist ein Zielorgan, das Gentherapeuten anpeilen. Denn andere, auf Eiweißen beruhende Medikamente haben es wegen der Blut-Hirn-Schranke schwer, dorthin zu gelangen – anders als Gene. Mit der US-Firma Voyager kooperiert Genzyme deshalb, um Gentherapien unter anderem gegen die Parkinson-Krankheit zu entwickeln. Die Schüttellähmung entsteht, weil eine relativ überschaubare Gruppe von Zellen im Mittelhirn nicht mehr genug Dopamin-Botenstoffe produziert. Die Gentherapie soll die Fähigkeit der Zellen wiederherstellen, den Dopaminvorläufer L-Dopa in Dopamin umzuwandeln, sagt Meeker. „Der Vorteil ist, dass die therapeutischen Gene nicht über das gesamte Gehirn verteilt werden müssen, sondern nur ein eng begrenzter, für die Parkinsonerkrankung aber entscheidender Hirnbereich erreicht werden muss.“ Die Probleme sieht Meeker also vor allem in der Logistik, die heilenden Gene vor Ort zu bringen, nicht jedoch in der Sicherheit. „Gentherapie ist nicht gefährlicher als andere Therapiearten“, sagt Meeker und ist sich sicher, dass „in den nächsten fünf Jahren eine Reihe neuer Gentherapien zugelassen wird.“

Ist die Gentherapie Millionen wert?

Ob sich die Gesundheitssysteme diese Therapien dann leisten können oder wollen, ist eine andere Frage. Zwar ist die Herstellung der Gene oder der Gentransportvehikel nicht wirklich teuer. Ein paar hundert Euro höchstens, schätzt Burghardt Wittig. Allerdings müssen sich die oft jahrzehntelangen Investitionen in die Entwicklung und Tests für die Hersteller am Ende lohnen. „1,2 Millionen Dollar sind viel Geld“, sagt Meeker. „Aber wenn man nach einer Behandlung für den Rest des Lebens keine weitere mehr braucht, was soll das dann wert sein?“ Soll sich der Preis nach den gewonnenen, krankheitsfreien Jahren richten? Oder nach der Häufigkeit der Erkrankung? An LPLD erkranken in ganz Europa höchstens 500 Patienten. Wittig ist zuversichtlich, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Erstattung beschließen wird. „Man wird nicht drum herumkommen, denn am Ende ist das viel günstiger als eine jahrelange Versorgung der Patienten.“

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