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Die wahren Pilgrims. Die ersten Amerikaner („Ur-Beringier“) kamen über die Beringstraße nach Alaska.

© Eric Carlson, Ben Potter

Menschliche Evolution: Die vergessenen Eroberer Amerikas

Erbgutanalysen 11.500 Jahre alter Gebeine zeigen: Die Besiedlungsgeschichte der "Neuen Welt" muss korrigiert werden.

Mal gab es saftigen Lachs, mal bruzzelte ein fetter Schneeschuhhase oder ein Arktisches Erdhörnchen über der Feuerstelle dieser Menschen – der einzigen weit und breit. Ob das Volk diese auch heute noch fast menschenleere Gegend, die es über eine schmale Landbrücke aus Asien erreicht hatte, als „Neue Welt“ erkannt und benannt hat, weiß niemand. Auch über den Grund, warum sie ihre sibirische Heimat verlassen und über die Beringstraße nach Alaska aufbrachen, lässt sich nur spekulieren. Waren es drastische Klimaveränderungen, die das Volk aus Nordostasien in die Fremde zwang, oder allein die menschentypische Neugier und Hoffnung auf ein besseres Leben? Sicher ist nur, dass diese aus Nordostasien stammenden „Ur-Beringier“ vor etwa 25.000 Jahren als erste Menschen Alaska besiedelten und damit die Vorfahren aller amerikanischen Ureinwohner sind. Ein Volk also, von dessen Existenz Forscher bislang nichts wussten – bis sie das Erbgut eines vor 11.500 Jahren mit etwa sechs bis zwölf Wochen gestorbenen Mädchens analysiert hatten.

Eine unbekannte Gruppe von Menschen besiedelte Amerika zuerst

„Wir wussten nicht, dass diese Population existierte“, sagt Ben Potter. Der Anthropologe der Universität von Alaska in Fairbanks ist Teil des Forschungsteams, das seit über zehn Jahren am „Upward Sun River“ in der Region Beringia in Zentral-Alaska eine der frühesten menschlichen Siedlungen untersucht. Jetzt sind die Ergebnisse der archäologischen und Erbgutanalysen in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Nature“ vorgestellt worden. „Es ist kaum möglich, die Bedeutung zu unterschätzen, die die Wiederentdeckung dieses Volkes für das Verständnis der Besiedlung des amerikanischen Kontinents hat“, sagt Potter.

Ursprünglich 2006 entdeckt, wurden am Upward Sun River in den Jahren 2010 und 2013 die Überreste einer Siedlung und die Gebeine von zwei Mädchen ausgegraben – von den Forschern pragmatisch USR1 und USR2 betitelt, von den heute in der Region lebenden Athabasken hingegen posthum als Sonnenaufgangs- (Xach’itee’aanenh T’eede Gaay) und Sonnenuntergangsmädchen (Yelkaanenh T’eede Gaay) getauft. Bei USR2, einer Totgeburt, reichte das Erbmaterial nur, um die enge Verwandtschaft (Cousine) zu USR1 festzustellen. Aus den Knochen von USR1 konnte Potters Team genug intakte DNS-Moleküle für eine aufschlussreiche Erbgutanalyse gewinnen.

Pioniere, aus denen alle Ureinwohner Amerikas hervorgingen

Der Vergleich mit Erbgutinformationen von amerikanischen Ureinwohnern aus Nord-, Süd- und Mittelamerika ergab, dass die Ur-Beringier die Vorfahren aller amerikanischen Ureinwohner waren. Die Daten sprechen dafür, dass diese Menschengruppe vor etwa 36.000 Jahren als eigenständige Population in Nordostasien entstand. Bis vor etwa 25.000 Jahren tauschten diese Menschen noch Gene aus mit asiatischen Populationen, dann brach der Kontakt ab – wohl weil sich das Volk auf den Weg nach Alaska gemacht hatte, sagt Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen, der an den Genanalysen beteiligt war.

Die Auswanderer blieben jahrtausendelang in Alaska, bis sich vor etwa 20.000 Jahren eine Gruppe abspaltete und vorbei an den Gletschern, die damals fast ganz Kanada und Nordamerika bedeckten, gen Süden wanderte – die Vorfahren aller Ureinwohner-Stämme Amerikas. Erst viel später entwickelten sich aus dieser Pioniersippe all die heute bekannten nord- und südamerikanischen Stämme von Ureinwohnern. Darunter auch die Athabasken, deren Vorfahren irgendwann nach Alaska zurückkehrten und die Ur-Beringier entweder verdrängten oder assimilierten.

Zwei Besiedlungsszenarien möglich

Wie genau die erste Besiedlung Amerikas abgelaufen ist, ist allerdings auch nach der Entdeckung der Ur-Beringier nicht endgültig geklärt. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Genanalysen und archäologischen Befunde noch immer zwei Szenarien für die Eroberung der „Neuen Welt“ zulassen: Am wahrscheinlichsten ist es, dass ein einziges Volk, die Ur-Beringier, über die Beringstraße einwanderten, und sich erst in Alaska eine Gruppe abspaltete.

Doch es ist auch möglich, dass sich die Ur-Beringier noch in Asien in zwei nah verwandte Gruppen aufspalteten, die dann beide früher als vor 15 700 Jahren nach Alaska einwanderten – allerdings zog nur eine Sippe weiter nach Süden und aus dieser hätten sich dann alle nord- und südamerikanischen Stämme entwickelt. Für diese Version sprechen archäologische Befunde. So sind etwa die ältesten entdeckten menschlichen Siedlungen in der Beringia-Region Alaskas nicht älter als 15 000 Jahre. Wären die Ur-Beringier früher in Alaska eingetroffen, müsste es auch Spuren dieser Besiedlung geben.

Dennoch sprechen mehr Indizien für eine frühe Besiedlung durch eine Gruppe, die sich erst in Alaska aufspaltete: Den Erbgutanalysen zufolge gab es in dem Zeitraum von vor 20 000 bis 11 500 Jahren ein gewisses Maß an Genaustausch zwischen den Ur-Beringiern und jenem Volk, das weiter südlich gewandert und letztlich den gesamten Kontinent erobert hatte. Und das erfordere nun mal eine gewisse „geographische Nähe“, schreiben die Forscher.

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