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Anatomievorlesung für Studenten der Humanmedizin am Anatomischen Institut der Universität Leipzig,

© imago/Bernhard Classen

Medizinstudium: Warten, bis der Arzt kommt

Die Bedeutung der Abiturnote für das Medizinstudium sollte nicht weiter zurückgedrängt werden, als das Bundesverfassungsgericht will. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anja Kühne

Die Tore zum Medizinstudium sind mit Eisen beschlagen. Wohl dem, der das Zauberwort „1,0“ sprechen kann und Einlass findet. Seit Jahrzehnten ist Medizin bundesweit mit einem Numerus clausus belegt. Weil es zu wenig Studienplätze gibt, hängt es von der Abiturnote ab, wer studieren darf. Wegen des Studierendenbooms hat sich die Lage aber verschärft. Fast sechs Bewerber konkurrieren um einen Platz. Und viele andere bewerben sich gar nicht erst, weil klar ist, dass das ohne eine Eins vor dem Komma sinnlos wäre. Aus ihrem Berufswunsch Arzt/Ärztin wird nichts.

Ist unter diesen Umständen die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Berufswahl überhaupt noch gegeben? Wer gehofft hatte, das Bundesverfassungsgericht werde den Politikern einen Wink geben, schleunigst mehr Studienplätze zu schaffen, wird enttäuscht sein. Für so knapp hält man in Karlsruhe die Studienplätze noch nicht. Vielmehr verlangen die Richterinnen und Richter von den Gesetzgebern, Beliebigkeiten und Willkür bei der Zulassung zu verhindern.

Das ist auch richtig. Aber trotzdem dürften die meisten von Karlsruhe verlangten Anpassungen die Lage der Bewerber kaum verbessern. So soll etwa ausgeglichen werden, dass manche Länder mehr gute Abinoten vergeben als andere. Doch das wird die Chancen zwischen den Bewerbern nur wenig verschieben. Und daran, dass schon an einer Schule manche Lehrer strenger benoten als andere, lässt sich sowieso nichts ändern.

Zweierkandidaten nicht ausschließen

Eine weitere Vorgabe aus Karlsruhe wird Studierwillige ohne Einserabitur fortan sogar schlechterstellen. Bislang kam noch jeder ins Studium, der nur lange genug gewartet hatte, zuletzt waren es sieben Jahre. Nun soll die Wartezeit auf ein „angemessenes Maß“ begrenzt werden. Dass in der Folge „viele Bewerber“ keinen Studienplatz über die Wartezeitquote bekommen können, nehmen die Richter in Kauf. Der einzige Weg, doch noch Medizin zu studieren, wird also bald verschlossen sein, leider.

Wäre es nach allem also sinnvoll, die Bedeutung der Abiturnote bei der Zulassung viel weiter zurückzudrängen, als Karlsruhe es jetzt vorschlägt? Nein. Die mitschwingende Unterstellung, sehr guten Abiturienten fehle es oft an sozialer Kompetenz für den Arztberuf, ist nicht zu belegen. Belegt ist hingegen, dass starke Abiturienten meist auch das Studium gut bewältigen. Und klar ist, dass eine hohe Auffassungsgabe für Ärzte hilfreich ist. Es ist also richtig, wenn die Abinote weiter eine wichtige Rolle bei der Zulassung spielt. Das darf Zweierkandidaten aber nicht ausschließen.

Darum sind Bund und Länder gefordert. Auf den Studierendenandrang haben sie vor zehn Jahren mit einem großen Hochschulpakt reagiert und zusätzlich 760.000 Studienplätze aufgebaut. Doch die Medizin wurde ausgespart. Weil sie besonders teuer ist, weil ein zusätzlicher Bedarf an Ärzten nicht zu erkennen war und weil man erwartete, der Studierendenboom sei nur vorübergehend.

Inzwischen wird aber prognostiziert, dass er von Dauer ist. Bei den Ärzten herrscht Vollbeschäftigung, auf dem Land Mangel. Doch auch im März, als die Minister von Bund und Ländern ihren „Masterplan Medizinstudium 2020“ beschlossen, einigten sie sich nicht darauf, mehr Plätze aufzubauen. Der neuen Bundesregierung muss das gelingen. Sonst werden noch mehr junge Leute um ihre faire Chance gebracht.

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