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Stammzellenxy

© - Foto: dpa

Medizin: Potente Zellen

Seit Jahren wird die Vision einer Stammzellmedizin entworfen, die etwa Parkinson und Alzheimer heilt oder ein durchtrenntes Rückenmark wieder zusammenflickt. Wie weit die Forschung wirklich ist, wird nun in Barcelona diskutiert

Auf den Fluren des Internationalen Kongresszentrums in Barcelona wird es in den nächsten Tagen vor allem um Potenz gehen. Und obwohl es im Land, das den Machismo erfunden hat, nicht abwegig wäre, dreht es sich dabei nicht um die Manneskraft, sondern die Fähigkeit von Zellen, sich in andere Zellen zu verwandeln. Denn in der spanischen Hafenstadt beginnt am heutigen Mittwoch das weltweit größte Treffen von Stammzellforschern.

Es ist der siebte Kongress der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung und der erste, der in Europa stattfindet. „Das ist total wichtig“, sagt Andreas Trumpp vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, einer von zwei eingeladenen deutschen Sprechern bei dem Kongress. Lange Zeit hätten sich die Organisatoren gesträubt, den Kongress in Europa abzuhalten, aus Angst, es würden dann nicht genügend Forscher kommen.

Mit mehr als 3000 Wissenschaftlern aus aller Welt wird es nun das bisher größte Treffen. „Das ist ein Riesenerfolg für die europäische Stammzellforschung“, sagt Trumpp. Neben dem kurzen Anreiseweg für europäische Forscher sieht Lisa Carmen, Pressesprecherin des Treffens, einen anderen, wichtigeren Grund: „Es hat in der letzten Zeit sehr viele große Durchbrüche gegeben in der Stammzellforschung.“ Seit Jahren wird die Vision einer Stammzellmedizin entworfen, die etwa Parkinson und Alzheimer heilt oder ein durchtrenntes Rückenmark wieder zusammenflickt. Die Therapien sind zwar immer noch Visionen, aber die Fortschritte in der Forschung sind in der Tat riesig. Die Wissenschaftler haben also viel zu besprechen.

Stammzellen sind nach wie vor das Wunderkind der Zellbiologie, denn sie besitzen Pluripotenz, das heißt sie können sich in jeden beliebigen Zelltyp verwandeln, ob Muskelzelle, Gehirnzelle oder Leberzelle. Aber es handelt sich schon längst nicht mehr um ein Einzelkind. In den letzten Jahren haben Forscher zahlreiche verschiedene Stammzellen ge- und erfunden und die Familie der zellulären Alleskönner so erheblich erweitert. Zum einen gibt es in zahlreichen Geweben, wie etwa der Haut, Stammzellen, die sich zwar nicht mehr in alle, aber immerhin noch in einige Zelltypen verwandeln können. Die Fähigkeit nennt sich Multipotenz oder (noch eingeschränkter) Oligopotenz. Noch wichtiger: Forscher haben gelernt, erwachsene Zellen in Stammzellen zurückzuverwandeln.

Der Pionier dieser Kunst war Shinya Yamanaka, dem es 2006 für viele Forscher völlig überraschend gelang, Hautzellen der Maus vier Gene einzuschleusen und ihnen so ihre Pluripotenz wiederzugeben. Es entstanden Zellen, die fast genauso aussehen und sich fast genauso verhalten wie die „echten“ Stammzellen aus Embryonen. Sie heißen induzierte pluripotente Stammzellen (iPS). Es war einer der größten wissenschaftlichen Durchbrüche der vergangenen Jahre. Wenig später gelang ihm dasselbe auch bei menschlichen Zellen. Im Gegensatz zu anderen großen Durchbrüchen habe Yamanaka seine Methode sofort an andere Labors weitergegeben, die die Ergebnisse dann reproduziert hätten, sagt Trumpp. „Damit hat er ein ganz neues Feld aufgerissen.“

Und das hat sich seitdem rasend schnell entwickelt. Inzwischen gibt es zahlreiche verschiedene Methoden, solche iPS-Zellen zu produzieren. Manche Forscher nehmen ebenfalls Hautzellen, benutzen aber statt der Gene Eiweißmoleküle, um die Zellen zu „reprogrammieren“. Andere Forscher verwenden Zellen, die selbst noch multipotent sind, zum Beispiel bestimmte Vorläufer von Gehirnzellen. Diese Zellen brauchen statt vier Genen nur ein einziges Gen, um reprogrammiert zu werden. Der jüngste Durchbruch: Der Münsteraner Forscher Schöler hat gezeigt, dass bei bestimmten Vorläuferzellen im Hoden von Mäusen weder Gene noch Eiweiße benötigt werden, um sie zu reprogrammieren. Alles, was sie brauchen,ist Platz und Zeit.

In einer Veröffentlichung, die diesen Monat im Fachblatt „Cell Stem Cell“ erschienen ist, beschreibt er das Vorgehen: Es müssen etwa 8000 Zellen eines bestimmten Typs in eine Zellkulturschale gegeben werden – das war es. Nach etwa zwei Wochen würden sie sich dann selbst reprogrammieren. Die Forscher hoffen Ähnliches nun auch beim Menschen zeigen zu können.

Stammzellen im Hoden sind zwar schon häufiger vermeldet worden. Bereits 2004 hatte der Japaner Takashi Shinohara entdeckt, dass bestimmte Zellen im Hoden neugeborener Mäuse die Fähigkeit haben, sich in verschiedene Zelltypen zu entwickeln. Häufig sei aber unklar, um welche Zellen es sich in den jeweiligen Publikationen genau handelt und was sie genau können, bemängelt Schöler.

So hatte im vergangenen Herbst der Tübinger Forscher Thomas Skutella berichtet, er habe aus den Hoden von Männern Zellen gewonnen, die genauso pluripotent seien wie embryonale Stammzellen. Schöler und andere Stammzellforscher haben die Veröffentlichung aber heftig kritisiert. Sie zeige nicht, dass es sich bei den Zellen tatsächlich um eine Art Stammzelle handele.

In der neuen Untersuchung, an der Schöler beteiligt war, konnte nun bewiesen werden, dass es tatsächlich bestimmte Zellen im Hoden gibt, die leicht zu Stammzellen gemacht werden können. Die Keimbahn-Stammzellen, die als Ausgangsmaterial dienen, sind allerdings sehr selten. Unter 10 000 Zellen im Hodengewebe einer Maus finden sich nur etwa zwei oder drei davon. Außerdem ist eine Hodenbiopsie nötig, um an diese Zellen heranzukommen.

Für die Praxis sei deshalb die Reprogrammierung normaler Zellen mit Hilfe von Eiweißen die zukunftsweisende Methode meint Wolfgang-Michael Franz. „Dass das geklappt hat, ist sensationell“, sagt der Kardiologe, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München an Stammzellen forscht. Einerseits vermeide man damit, Gene einschleusen zu müssen, was immer das Risiko in sich trage, eine Zelle zur Krebszelle entarten zu lassen. Andererseits benötige man für die Methode lediglich eine Hautzelle. „Stellen Sie sich vor, Sie sind herzkrank und jetzt können Sie aus einer einfachen Hautzelle Millionen Herzmuskelzellen entstehen lassen, da werden Sie doch nicht eine Hodenbiopsie machen lassen.“

Die Reprogrammierung mit Hilfe des Eiweißcocktails gelang erst dieses Jahr. Verantwortlich für den Durchbruch war wieder Shinya Yamanaka. Der Japaner mit seinem jungenhaften Gesicht gilt unter Kollegen als Exzentriker und Workaholic. Zwölf bis 16 Stunden soll er täglich arbeiten. Um auch während des Mittagessens arbeiten zu können, isst er stets alleine. In Barcelona wird er eine Art Stargast sein. Auf sein einsames Mittagessen wird er dort wohl verzichten müssen.

 Kai Kupferschmidt

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