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Gut zuhören. In Berlin werden Kitakinder nicht klassisch getestet, Erzieherinnen bewerten ihre Sprachfähigkeit nach dem von ihnen geführten Lerntagebuch.

© Kitty Kleist-Heinrich

Mangelhafte Sprachtests für Kitakinder: Hüpfen und reimen

Viele Sprachtests für Kinder im Vorschulalter taugen nichts, ergibt eine Studie des Kölner Mercator-Instituts. Auch die beiden Berliner Tests werden kritisiert. Die Forscher fordern bundesweite, einheitliche Standards.

Sie heißen Hase, Kiste oder Delfin. Kinder in Deutschland begegnen ihnen im Alter von vier bis fünf Jahren. Was oft mit kindgerechten Kurznamen benannt wird, ist für die meisten der erste ernsthafte Test in ihrer Bildungslaufbahn. Es geht darum, wie gut die Kinder Deutsch sprechen und verstehen. Stellt sich bei diesen „Sprachstandserhebungen“ heraus, dass sie etwa einen zu kleinen Wortschatz haben, werden sie in der Kita bis zur Einschulung besonders gefördert.

Bundesweit wurden solche Tests in den vergangenen Jahren verpflichtend eingeführt – als Reaktion auf schlechtere Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Familien. 21 Testverfahren sind mittlerweile entstanden. Doch die überwiegende Mehrheit ist gar nicht geeignet, die Sprachkenntnisse wirklich zu prüfen und die nötige Förderung daraus abzuleiten. Das jedenfalls ergibt eine Studie des Mercator-Instituts für Sprachförderung. Nur acht der Verfahren erfüllen mehr als die Hälfte von 32 Qualitätskriterien, die Pädagogen und Sprachwissenschaftler für das von der Mercator-Bildungsstiftung geförderte Institut an der Uni Köln aufgestellt haben.

Häufig würden die Tests das sprachliche Vermögen der Kinder nicht objektiv und zuverlässig messen, heißt es in der Studie, die am Donnerstag in Köln vorgestellt wurde. Zudem werde die Mehrsprachigkeit von Kindern nicht ausreichend berücksichtigt. Weil es so viele verschiedene Tests unterschiedlicher Qualität gibt, hätten die Kinder nicht die gleichen Chancen auf Sprachförderung. Das zeigten auch die zwischen zehn und 50 Prozent schwankenden Förderquoten. „Ob ein Kind gefördert wird oder nicht, darf nicht vom Bundesland abhängen, in dem es aufwächst“, sagt Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts.

Zu den 32 Qualitätsmerkmalen zählt die Frage, ob die grundlegende Sprachfähigkeit angemessen getestet wird, also die Kinder Gegenstände, Farben oder Gegensätze wie klein und groß richtig benennen und Sätze nachsprechen müssen. Untersucht wurde auch, ob die Verfahren objektiv sind oder vom Ermessen und Verhalten des Testers abhängen. Positiv bewerteten die Experten Verfahren, die die Konzentrationsfähigkeit der Kinder berücksichtigen, also maximal 20 Minuten dauern und abwechslungsreich gestaltet sind. Viele Tests seien nicht „an der Lebenswelt der Kinder ausgerichtet“, kritisiert Uwe Neugebauer, Mitarbeiter am Mercator-Institut. „Sie reagieren ängstlich und verstummen, ein Rückschluss auf den Sprachstand ist dann nicht mehr möglich.“

Am besten abgeschnitten haben die Sprachtests aus Mecklenburg-Vorpommern und Hessen, Desk 3–6 und Kiss, mit je 25 erfüllten Kriterien. Schlusslicht ist ein Test aus Bayern, mit dem „Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache“ erfasst werden, mit nur sechs Qualitätsmerkmalen. Auf dem vorletzten Platz landen die brandenburgischen „Meilensteine der Sprachentwicklung“ mit acht Punkten. Der Berliner Test „Deutsch Plus 4“, mit dem Kinder geprüft werden, die zuvor keine Kita besucht haben, liegt mit 16 Kriterien gerade noch im Mittelfeld. Den Grenzwert des Mercator-Instituts für ein positives Urteil von mindestens 17 Punkten erreicht der Test jedoch nicht.

Das gilt erst recht für das zweite Berliner Verfahren „QuaSta“ (Qualifizierte Statuserhebung Sprachentwicklung vierjähriger Kinder in Kitas), mit dem über 90 Prozent der Berliner Vorschulkinder beurteilt werden. Hier sehen die Forscher nur elf Merkmale erfüllt. Zum Vergleich: Der Hase-Test aus Baden-Württemberg erfüllt 22 Kriterien, Kiste aus Brandenburg 14 und Delfin aus NRW und Sachsen-Anhalt 13.

Eine Schwäche des Tests für die Berliner Kitakinder liegt für die Wissenschaftler darin, dass die Mehrsprachigkeit vernachlässigt wird. Trotz des hohen Migrantenanteils wird bei QuaSta nicht die Sprachbiografie berücksichtigt. Dabei geht es um die Frage, wie häufig und in welchen Situationen die Kinder Deutsch sprechen. „Ein vierjähriges Kind, das schon gut Türkisch kann, aber nach einem Jahr in der Kita noch einen zu kleinen deutschen Wortschatz hat, braucht eine andere Förderung als ein einsprachig deutsch aufgewachsenes Kind“, erklärt Uwe Neugebauer.

Dass QuaSta kein klassischer Test ist, hat laut Michael Becker-Mrotzek Vor- und Nachteile. In Berlin werten Erzieherinnen dafür das Sprachlerntagebuch jedes Kindes aus, in dem sie seine sprachliche Entwicklung dokumentieren. Im QuaSta-Fragebogen tragen sie dann ein, ob die Kinder hüpfen und Bälle fangen können, Wörter richtig nachsprechen und Reimwörter erkennen und ob sie beim Vorlesen zuhören. Nach einem Punktsystem wird festgelegt, welche Kinder besondere Sprachförderung brauchen. Für die Kinder sei es angenehm, nicht einer Testsituation ausgesetzt zu sein, sagt Becker-Mrotzek, ihre Tagesform oder Schüchternheit falle dann nicht ins Gewicht. Aber die pädagogischen Kräfte in der Kita müssten sehr gut sprachdiagnostisch ausgebildet sein, um die Kinder objektiv bewerten zu können. Die Qualifizierung der QuaSta-Tester wird in der Studie jedoch nur mit ausreichend bewertet.

Deutsch Plus 4 für Nicht-Kitakinder schneidet in etlichen Punkten besser ab. Doch nur eine Minderheit der Kinder wird damit getestet: Berlinweit besuchen rund 95 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren eine Kita, bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es knapp 87 Prozent.

Wegen der Qualitätsmängel bei den Tests würden jedes Jahr zehntausende Kinder falsch diagnostiziert und erhielten nicht die notwendige Sprachförderung, schätzen Becker-Mrotzek und Neugebauer. Sie mahnen einheitliche Standards für die vorschulischen Sprachtests an. Der Nationale Aktionsplan Integration von 2012, nach dem sich die Bundesländer dazu verpflichtet haben, müsse schnell umgesetzt werden. Die Standards sollten an einer gemeinsamen Koordinierungsstelle der Länder entwickelt werden. Berlin kooperiere bereits mit dem Mercator-Institut und werde seine Testverfahren optimieren, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) auf Anfrage.

Für einen bundesweiten, einheitlichen Test sprechen sich die Forscher nicht aus. Prinzipiell sei es richtig, etwa in Ostdeutschland, wo es weniger Migranten gibt, anders zu testen als in Westdeutschland oder in Berlin, sagt Becker-Mrotzek. Auch unterschiedliche Tests für Kitakinder und Kinder, die zu Hause bleiben, seien gerechtfertigt. Gleichwohl könnte die Koordinierungsstelle modellhafte neue Testverfahren entwickeln.

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