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Walbeeinflussung: Ein Magnetsinnesorgan zur Orientierung haben Forscher bei Pottwalen zwar noch nicht entdeckt. Doch offenbar lassen sich vor allem junge Tiere durch Sonnenstürme, die das Erdmagnetfeld stören, in die Irre leiten.

© imago/StockTrek Images

Magnetsinn: Sonnenstürme verwirren Wale

Pottwale orientieren sich mit Hilfe des Erdmagnetfelds. Gerät es durcheinander, stranden die Tiere.

Die Pottwale mussten falsch abgebogen sein. Das war Walforscher Michael Dähne vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund schnell klar, als an den Nordseeküsten von England, Frankreich, den Niederlanden und vor allem Deutschland im Januar und Februar 2016 immer wieder Pottwale angeschwemmt wurden. Insgesamt 29 Kadaver lagen auf den Stränden eines Meeres, in dem sie sich normalerweise gar nicht aufhalten. In der kaum über 50 Meter tiefen Nordsee gibt es keine Kalmare, die Pottwale normalerweise tausend Meter unter der Wasseroberfläche jagen. Irgendwie mussten die Tiere vom tiefen Nord-Atlantik zwischen Großbritannien und Norwegen in die Nordsee geschwommen sein. Den Grund für diesen tödlichen Fehler haben jetzt Klaus Heinrich Vanselow vom Forschungs- und Technologie-Zentrum (FTZ) Westküste der Universität Kiel und seine Kollegen in der Zeitschrift International Journal of Astrobiology aufgeklärt: Zwei Sonnenstürme hatten den Orientierungssinn der Pottwale verwirrt.

Gehör intakt und trotzdem gestrandet

Zu den fehlgeleiteten Walen gehörten auch 13 junge Bullen, gerade einmal zehn bis 15 Jahre alt, kerngesund und gut genährt. Sie schwammen offenbar durch eine Tiefseerinne von der norwegischen Küste nach Süden. Dieser anfangs 180 Kilometer breite und bis zu 700 Meter tiefe Kanal verengt sich im Süden auf 45 Kilometer, der dann jedoch in das Flachwasser des Wattenmeers vor Schleswig-Holstein mündet. Dort strandeten die Tiere, als das Wasser bei Ebbe ablief. Das eigene Gewicht drückte auf Blutgefäße, Lunge und andere Organe, bis die Wale schließlich an Herz- und Kreislaufversagen starben.

Ursula Siebert von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und ihre Mitarbeiter obduzierten die Tiere, um zum Beispiel im Gehör Hinweise darauf zu finden, warum die Jungwale in die Nordsee geschwommen waren. Eine Vermutung von Walschützern ist, dass der zunehmende Lärm im Meer durch zivile und militärische Schiffe das Gehör der Tiere schädigen könnte. Bei anderen Strandungen könnte das tatsächlich eine Rolle spielen, nicht aber bei den obduzierten Pottwalen, in deren Hörorganen keine Schäden zu finden waren. Wieso aber waren die Tiere dann falsch abgebogen und nicht an Irland vorbei, sondern zwischen Schottland und Norwegen nach Süden geschwommen?

Orientierung entlang der Magnetfeldlinien

Um solche Orientierungsschwierigkeiten erklären zu können, müsste man erst einmal wissen, wie Pottwale in den Weiten der Ozeane überhaupt die Richtung finden, in die sie schwimmen wollen. Eine Orientierungshilfe, die auch in großen Meerestiefen funktionieren würde, wäre das Magnetfeld der Erde, das auch Seefahrer mit ihrem Kompass oder Zugvögel mit Hilfe eines Magnetsinns nutzen. Ob auch Pottwale solch einen Sinn besitzen, ist unbekannt.

Das liegt wohl daran, dass lebende Pottwale in der Natur schwer zu untersuchen sind und auch nicht in Gehegen gehalten werden, in denen Naturwissenschaftler mit Experimenten einem solchen Sinn nachforschen könnten. Ohnehin gleicht die Suche nach einem womöglich nur wenige Gramm schweren Magnetsinnesorgan bei einem viele Tonnen wiegenden Wal der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Trotzdem aber vermelden Forscher einen ersten Erfolg: „Man hat in Zwergwalen Kryptochrome gefunden, die beim Magnetsinn der Vögel eine wichtige Rolle spielen“, sagt FTZ-Forscher Vanselow.

Geladene Teilchen der Sonne verändern das Magnetfeld

Ein solcher Magnetsinn funktioniert nur richtig, solange nicht Sonnenstürme die Linien des Magnetfeldes der Erde verbiegen. Das passiert dort häufiger, wo auch Polarlichter auftreten, also in den höheren Breiten. Pottwale werden jedoch in wärmeren Gefilden geboren und verbringen dort auch ihre Jugend. „Sie erleben also nie, dass sich die Magnetfeldlinien verbiegen können“, sagt Vanselow. Während die Weibchen ihr gesamtes Leben in den Gewässern der Karibik oder vor den Azoren bleiben, verbringen die Bullen den Sommer im hohen Norden, um Kalmare zu jagen. Im Magen eines einzigen der vor Schleswig-Holstein gestrandeten Jungbullen fand Uwe Piatkowski vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel dann auch 110 000 Schnäbel von Tintenfischen, die der Organismus nicht verdauen kann.

Neigt das Jahr sich dem Ende zu, wandern die Bullen wieder nach Süden. Doch zum Jahresende 2015 – am 20. und 21. Dezember und an Silvester und Neujahr – erreichten die geladenen Teilchen zweier kräftiger Sonnenstürme die Erde. Das löste nicht nur reichlich Polarlichter aus, sondern verschob auch das Magnetfeld zwischen den britischen Shetland-Inseln und der Küste Norwegens um mehr als 400 Kilometer in Nord-Süd-Richtung. „Obendrein können Sonnenstürme natürliche Anomalien in dieser Gegend einebnen oder an anderer Stelle vorgaukeln, die ein wenig einem magnetischen Gebirge ähneln, und erschweren so die Orientierung der Pottwale weiter“, sagt Vanselow.

Ältere Bullen kennen wahrscheinlich solche Ereignisse und haben gelernt, sich davon nicht in die Irre führen zu lassen. Jungbullen ohne diese Erfahrung dagegen vertrauen ihrem Magnetsinn – auch wenn er sie in den Tod führt.

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