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Studierende tanzen beim "International Day" 2013 an der Viadrina.

© Patrick Pleul/picture alliance/dpa

Macrons Vorschlag für Europa-Universitäten: 27 Think Tanks für Europa gründen

Warum Macrons Europäische Universitäten eine Riesenchance sind, der EU einen neuen Schub zu geben - und wie sie aussehen könnten. Ein Gastbeitrag.

Mit seiner Rede "Initiative für Europa" an der Pariser Sorbonne im September 2017 hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron eine rege Debatte über die Zukunft Europas angestoßen, die mittlerweile viele Mitgliedstaaten erreicht hat – in einer Zeit, da Europa nach dem Austritt Großbritanniens an einem Scheideweg zu stehen scheint. Jüngste Äußerungen aus Polen geben weiteren Grund zur Besorgnis.

Einer der wichtigsten und auch visionärsten Vorschläge der Rede ist die Idee, bis 2024 20 europäische Universitäten entstehen zu lassen, die einen europäischen Abschluss anbieten. An Europäischen Universitäten (EuropU) könnte der Gedanke des europäischen Miteinanders geradezu mustergültig gelebt und weitergegeben werden. Ja, sie könnten sozusagen den Geist Europas atmen. Doch wie müsste eine solche Universität konkret aussehen?

Mindestens drei europäische Sprachen

Das Zulassungsverfahren: Die Auswahl der Studierenden läuft über ein standardisiertes Verfahren in englischer Sprache. Dafür ist ein Abitur- bzw. Sekundarstufe II-Abschluss eines EU-Staates, der im Herkunfts-Mitgliedsstaat (MS) zum Hochschulzugang berechtigt, notwendige Voraussetzung. Darüber hinaus müssen die Bewerberinnen und Bewerber mindestens drei europäische Sprachen, darunter jedenfalls Englisch, beherrschen. Es findet zwingend mindestens ein Auswahlgespräch mit jeder Bewerberin bzw. jedem Bewerber statt, in dem neben der Leistung vor allem auch die Motivation abgefragt werden soll, an einer EuropU zu studieren.

Die Studierenden: Jede EuropU verpflichtet sich, Studierende aus möglichst allen, jedoch mindestens 15 verschiedenen EU-MS aufzunehmen. Darüber hinaus gibt es keinerlei Quoten. Notwendiger Bestandteil des Studiums ist ein Auslandsaufenthalt. Dazu pflegt die EuropU Partnerschaften mit Hochschulen in ganz Europa. Nach dem ersten Studienjahr ist das zweite Studienjahr an einer anderen EuropU oder einer der Partner-Hochschulen zu absolvieren. Jeder Studierende erhält ein Stipendium aus dem EU-Haushalt in Höhe von 1.000 Euro pro Monat.

Die Professoren: Sie kommen aus möglichst allen EU-MS und sind in der Lage, ihre Vorlesungen in mindestens zwei Sprachen zu halten. Eine der Lehrsprachen muss zwingend Englisch sein. Die Professoren verpflichten sich, am Hochschulort zu wohnen; sie sind also dauernd ansprechbar und forschen auch an der EuropU. Gastprofessoren, die nur zu einzelnen Vorlesungen einfliegen, sind nur im begründeten Ausnahmefall einzuladen.

Jede einzelne Europa-Uni soll ein Think Tank für Europa werden

Das Curriculum: Die EuropU bieten sowohl Bachelor- wie auch Masterabschlüsse an. Die EuropU muss nicht zwingend eine Volluniversität sein. Allerdings sollten jedenfalls an einem Teil der EuropU auch technische Studiengänge angeboten werden. In allen Fächern sollte das Lehrangebot stets auch die Frage der Zukunft Europas und des Mehrwerts eines gemeinschaftlichen Politikansatzes beinhalten. An den EuropU sollen zudem die Lehr- und Forschungstraditionen und die wissenschaftlichen Ansätze aus verschiedenen europäischen Ländern gelehrt und erforscht werden.

Der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann.
Der CDU-Abgeordnete und Hochschulexperte Stefan Kaufmann.

© Promo

Im Rahmen von Lehre und Forschung sollte also nicht nur ein interdisziplinärer Ansatz gepflegt werden, sondern auch ein zwischenstaatlicher Ansatz. Wo macht es Sinn, dass die MS zur Erreichung eines gemeinsamen europäischen Zieles zusammenarbeiten? Welche Kompetenzen müssen gebündelt werden und in welchem MS, an welcher Institution oder an welcher Hochschule sind diese Kompetenzen zu finden? Und welche der EuropU kann eine Leitfunktion bei einzelnen Themen einnehmen?

Am Ende soll jede einzelne EuropU ein Think Tank für Europa sein. Es geht hierbei auch um eine Fokussierung und Bündelung der Kräfte. Letztlich können auf diese Weise alle großen europäischen Herausforderungen seitens der Wissenschaft, Lehre und Forschung gemeinsam angegangen werden, so z.B. Lösungen zur Energieversorgung, Chancen der Raumfahrt, Fragen zum Umweltschutz und der Erreichung der Klimaziele, die Bekämpfung der großen Volkskrankheiten.

An allen EuropU sollen zudem Sommerkurse und -akademien durchgeführt werden, bei denen gemeinsam an Ideen gearbeitet wird und die insbesondere zwischenstaatliche Ansätze zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zum Inhalt haben sollen.

Die Abschlüsse: Die Abschlüsse werden ebenso wie die Vorlesungen im Rahmen des obligatorischen Auslandsaufenthalts ohne weitere Überprüfung anerkannt – durch die Heimat-EuropU oder alle anderen Universitäten der MS – z. B. für ein weiterführendes Masterstudium oder eine Promotion innerhalb der EU.

Zuschüsse von zehn Millionen Euro - und keine Studiengebühren

Die Finanzierung: Die EuropU erheben für die ausgewählten Studierenden keine Studiengebühren und erhalten einen Zuschuss aus dem EU-Haushalt von jährlich je zehn Millionen Euro.

Die Standorte: Kein gangbarer Weg scheint mir, die EuropU auf der "grünen Wiese“ neu zu planen. Wir sollten vielmehr bestehende Universitäten zu Leuchttürmen der europäischen Idee ausbauen und zu international sichtbaren Hochschulen machen – ich denke an die Karls-Universität in Prag, die Rijksuniversiteit Leiden, die Katholieke Universiteit Leuwen, Bologna, Heidelberg oder die Sorbonne. Als Vorbild könnte unter anderem die bereits 1992 gegründete Viadrina in Frankfurt/Oder dienen.

Eine EuropU sollte in jedem EU-Mitgliedsstaat entstehen, der dies wünscht - wobei auch von mehreren Mitgliedstaaten gemeinsam getragene EuropU möglich sein sollen. Auf diese Weise könnten abweichend zu Macrons Vorschlag bis zu 27 EuropU entstehen. In den Mitgliedstaaten könnte ein nationaler Wettbewerb ausgelobt werden, um jeweils diejenige Hochschule zu finden, die als Standort einer EuropU in Frage kommt. Die Kriterien sollten von der EU einheitlich vorgegeben werden, um am Ende vergleichbare Universitäten zu haben. Am Ende entscheidet dann die EU und wählt auf Vorschlag des jeweiligen Mitgliedsstaates die Universität aus.

An den größeren Universitäten kann die EuropU ggf. als eigenständiges Institut etabliert werden. Zielgröße sollten rund 10.000 Studierende je EuropU sein.

Schulterschluss mit Frankreich

Fazit: Die ambitionierten Vorschläge von Emmanuel Macron, mit dem Ziel Europa in einer Welt mit vielen Herausforderungen stärker und zukunftsfest zu machen, sind aus deutscher Sicht ausdrücklich zu begrüßen. Ja, sie sind eine Riesenchance, der EU auch in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation neuen Schub zu geben – und zwar in einem Schulterschluss mit Frankreich.

Stefan Kaufmann ist Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages.

Welche Hoffnungen aber auch Vorbehalte der Macron-Vorschlag an der Viadrina weckt, lesen Sie hier.

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