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Junge Frauen und Männer sitzen im Klassenraum, vor ihnen steht eine Lehrerin.

© Imago/Olaf Döring

Lehrkräfte in Integrationskursen: Unterricht für Flüchtlinge muss sich lohnen

Zehntausende Lehrkräfte für Integrationskurse wurden zugelassen. Wegen der schlechten Vergütung werden die Allermeisten aber nicht tätig. Ein Gastbeitrag.

Da fehlt doch etwas ganz Entscheidendes. Dieser Gedanke mag jedem kommen, der die aktuellen Diskussionen um das neue Integrationsgesetz verfolgt, mit dem die Bundesregierung den Erwerb von Sprachkompetenz bei Flüchtlingen, Geduldeten oder anerkannten Asylbewerbern erreichen möchte. Natürlich ist es gut, dass es hier endlich ein abgestimmtes Konzept von den ersten Grundkenntnissen bis zum gehobenen berufsfähigen Sprachniveau geben soll. Natürlich sind die klare Erwartung und Verbindlichkeit legitim, dass solche Sprachkurse dann auch angenommen und durchgestanden werden. Und natürlich muss die Zahl der Kursplätze hierfür deutlich erhöht werden.

Weniger als 15 Prozent der zertifizierten Lehrkräfte werden aktiv

Lag die Zahl der Teilnehmenden im Jahr 2015 im Bereich der klassischen Integrationskurse noch bei 180 000 Personen, gehen Schätzungen für das Jahr 2016 auf bis zu 500 000 Teilnehmende hoch.

Ernst Dieter Rossmann, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbandes.
Ernst Dieter Rossmann, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Deutschen Volkshochschul-Verbandes.

© Promo

Zu deren Unterrichtung steht prinzipiell eine große Zahl sehr kompetenter, weil in der Regel akademisch hochqualifizierter, und sehr engagierter Lehrkräfte bereit. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seit Beginn der Sprachkurse im Jahr 2005 rund 30 000 Lehrkräftezulassungen erteilt. Allerdings muss es dennoch befürchten, dass es mangels fehlender Lehrkräfte gar nicht die beabsichtigte große Steigerung der Integrationskurse und der anderen Sprachfördermaßnahmen bewältigen kann. Und dies, obwohl noch im Jahr 2015 rund 5500 neue Zulassungen erteilt worden sind und darüber hinaus seit dem September 2015 rund 2000 Personen ohne formale Lehrkräftezulassung über eine Ausnahmeregelung eingeworben werden konnten. Manche Schätzungen gehen jetzt aber leider davon aus, dass weniger als 15 Prozent der neu zertifizierten Lehrkräfte auch tatsächlich als aktiv unterrichtende Lehrkräfte bei den Sprach- und Integrationskursen im Einsatz sind.

Brutto maximal 2300 Euro - ohne Sozialleistungen und Urlaubsanspruch

Dafür fehlt eben tatsächlich etwas sehr Entscheidendes, nämlich eine faire, gerechte und motivierende Bezahlung. Diese ist über die letzten Jahre nun einfach unanständig schlecht gewesen, wenn man sich die hohen Qualifikationsanforderungen, die besonderen Ansprüche und die Gesamtstruktur der Arbeitsbedingungen anschaut. Mit der Praxis vertraute Institutionen, Gewerkschaften und nicht zuletzt die Betroffenen haben hierauf immer wieder hingewiesen. Zwar hat es, wie auch kürzlich zum 1.1.2016 von Zeit zu Zeit eine Anpassung im Sinne der Preissteigerungsrate gegeben. Aber die Grundstruktur wurde bislang nicht angetastet und die ist wahrlich skandalös. Mit der jetzt geltenden Mindeststundenvergütung von 23 Euro kommen die freiberuflichen Lehrkräfte bei einer wöchentlichen Stundenzahl von 20 bis 25 Unterrichtseinheiten mit jeweils 45 Minuten auf ein Brutto von 1800 bis 2300 Euro, aus dem dann allerdings noch alle Leistungen zur Sozialversicherung selbst zu erbringen sind, von Urlaubszeiten, Honorarausfall wegen Krankheit etc. ganz zu schweigen. Positive Ansätze wie in Berlin oder auch in Bayern sind hier noch die große Ausnahme.

Mehr zu unterrichten, ist fachlich kaum zu vertreten

Wenn damit auch noch eine Familie zu unterhalten ist, kann bei den hochqualifizierten Lehrkräften dann schon ein Aufstockungsbedarf nach Arbeitslosengeld II entstehen. Auch mit 30 Wochenstunden, und das ist wirklich ein fachlich eigentlich unvertretbarer „Schlauch“, weil ja zu den Unterrichtseinheiten auch noch Vor-und Nachbereitung für eine immer differenzierter anzusprechende Teilnehmerschaft gehören, kommen die Lehrkräfte bestenfalls auf 2800 Euro brutto. Das liegt um 30 bis 40 Prozent unter den Gehältern, die angestellte Lehrkräfte im Schulwesen bekommen würden und das erklärt auch, weshalb trotz großer Zahlen an zertifizierten Sprachlehrkräften die „Flucht“ aus den Integrationskursen stattfindet.

Längst überfällige Anerkennung für die Lehrkräfte

Noch einmal: Eine Bleibequote von geschätzten 15 Prozent der Lehrkräfte, die für diese Kurse eigens qualifiziert wurden und das wirklich große politische Werk der Integrationsförderung durch Sprache umsetzen sollen, muss nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Handeln auffordern. Institutionen und Verbände wie der Deutsche Volkshochschul-Verband haben hier Bedarfsrechnungen aufgemacht, die auch von kompetenter Seite nicht mehr ernsthaft infrage gestellt werden. Diese kommen auf ein Mindesthonorar von 35 Euro in der Stunde und damit auf ein Brutto von 3500 Euro bei 25 Lehreinheiten in der Woche oder 4200 Euro brutto bei 30 Lehreinheiten.

Es ist dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu danken, dass er schon im November 2015 die Regierung aufgefordert hat, über alle Ressorts die Vergütungen bei den unterschiedlichen Angeboten von Sprachkursen auch im Vergleich zu den Festanstellungen etwa im Schuldienst zu prüfen. Dieser Bericht liegt jetzt vor. Er bietet die große Chance, in einer ehrlichen Analyse gravierende Schwachpunkte und Fehlentwicklungen politisch auszuräumen und positive Zeichen zu setzen. Das wichtigste Zeichen ist, dass gute und engagierte Arbeit und Leistung in den so überaus wichtigen Sprach- und Integrationskursen ihren fairen Preis hat. Das wäre die längst überfällige Anerkennung für die Lehrkräfte und ihren Einsatz.

Endlich ausreichende Angebote an Sprachkursen bereitstellen

Eine deutliche Anhebung der Vergütung wäre auch das ebenso notwendige wie klare Zeichen, dass Staat und Gesellschaft in Deutschland es ernst meinen mit dem großen und richtigen Anspruch von Integration durch Fördern und Fordern und endlich ausreichende Angebote an Sprachkursen auch wirklich bereitstellen.

Wartezeiten von einem Jahr und mehr sind nicht nur eine Verschwendung von Lern- und Lebenszeit bei den hiervon betroffenen Menschen. Sie sind auch eine volkswirtschaftliche Vergeudung von Potenzialen und Chancen, die wir uns in der Integrationsgesellschaft von heute auch mit Blick auf die Zukunft nicht leisten sollten. Die Politik hat es jetzt in der Hand, hier eine überzeugende und weitreichende Antwort zu geben. Nach dem idealistischen „wir schaffen das“ aus dem Jahr 2015 wäre das nicht die schlechteste Antwort im Jahr 2016 auf die Frage „wie schaffen wir das?“.

Der Autor ist Vorsitzender des Deutschen Volkshochschul-Verbandes und Sprecher der Arbeitsgruppe „Bildung und Forschung“ der SPD-Bundestagsfraktion.

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