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In Not. Wo die Gesundheitssysteme schwach sind, kann sich Ebola besonders gut ausbreiten und töten. Nicht einmal Infusionen mit Elektrolyten sind selbstverständlich. Gleichzeitig bricht durch die Seuche die normale Krankenversorgung völlig zusammen.

© MAURO FERMARIELLO/SCIENCE PHOTO LIBRARY

Lehren für die Zeit nach Ebola: Afrikas Krankheitssysteme

Wenig Ärzte, schlecht ausgestattete Krankenhäuser, kaum Labore: Ebola konnte in Westafrika viele Schwachstellen nutzen. Doch es gibt auch Länder, die als Vorbild dienen könnten. Ruanda und Uganda zum Beispiel.

Der 30-jährige Radiologe fühlte sich miserabel. Die Kopf- und Bauchschmerzen gingen nicht weg, er erbrach Blut und hatte Durchfall. Am 17. September wandte er sich an ein Krankenhaus in der Nähe von Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Die Ärzte überwiesen ihn in ein größeres Krankenhaus, der junge Mann starb trotzdem. Das Virus, das ihm zum Verhängnis wurde, heißt Marburg. Es ist eng mit Ebola verwandt.

Anders als in Westafrika, wo Ebola in den drei am stärksten betroffenen Ländern mindestens 18 118 Menschen infiziert und 6533 getötet hat, blieb es in Uganda bei einem einzigen Fall. Die vorherigen Ausbrüche von Ebola oder Marburg verliefen dort ähnlich glimpflich.

Das war nicht immer so. Ende 2000 suchte die bislang größte Ebola-Epidemie Uganda heim. Nach offizieller Zählung hatten sich 425 Menschen infiziert, die Hälfte von ihnen starb. Das Gesundheitsministerium lernte daraus. Mit internationaler Hilfe baute es ein mobiles Überwachungssystem auf, das Virenforschungsinstitut von Uganda wurde aufgerüstet, ein zweites Testlabor eingerichtet. Geschulte Mitarbeiter entdecken nun selbst in entlegenen Dörfern Verdachtsfälle und melden sie an die Zentrale. Blutproben werden innerhalb von zwei, drei Tagen untersucht. Als der Arzt dem Marburg-Fieber erlag, identifizierten die Experten 197 Kontaktpersonen und kontrollierten drei Wochen deren Gesundheit. Keiner hatte sich angesteckt. Der Ausbruch ist vorbei, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO im November.

Westafrika war auf eine solche Epidemie nicht vorbereitet

Guinea, Ende 2013. In dem Dorf Meliandou sterben zwei Kleinkinder, ihre Mutter, die Oma. Kurz darauf eine Krankenschwester und die Dorf-Hebamme. Sie tragen ein ihnen unbekanntes Virus in die Krankenhäuser der nahen Städte, nach Guéckédou und Macenta. Die Ansteckungsketten werden komplexer. Erst im März 2014 steht fest, dass Ebola das Leid verursacht. Da hat die Seuche längst Guineas Hauptstadt Conakry erreicht. Die Menschen infizieren sich, weil sie sich um ihre Angehörigen kümmern, von den Toten Abschied nehmen, weil sie bei Heilern Hilfe suchen oder in Gesundheitszentren, in denen es am Nötigsten fehlt. Selbst die größten Krankenhäuser haben nicht immer Strom, fließend Wasser oder Isolierstationen. Westafrika war auf eine solche Epidemie nicht vorbereitet.

Ein Arzt je 10 000 Einwohner. So war es in Guinea, bevor die schlimmste Ebola-Epidemie der Geschichte begann. In Sierra Leone kümmerten sich 130 Ärzte um sechs Millionen Einwohner. In Dänemark, wo ähnlich viele Menschen leben, gibt es fast 19 000 Mediziner. Oder Liberia, ein Land mit 4,3 Millionen Einwohnern: Dort praktizierten 51 Ärzte. Mindestens 23 Ärzte, Pfleger und Hebammen je 10 000 Einwohner seien nötig, sagt die WHO. In Liberia waren es 0,1, in Sierra Leone 0,2, in Guinea einer. Viel weniger als im Rest von Afrika.

Inzwischen ist die Zahl noch kleiner. Fast 640 Ärzte und Krankenpfleger haben sich angesteckt. Die meisten von ihnen waren einheimische Helfer. Andere erschienen aus Angst vor Ebola nicht mehr zur Arbeit. „Es ist ein Teufelskreis“, sagt Thomas Kratz, ein Berliner Mediziner, der für Ärzte ohne Grenzen in Sierra Leone auf Ebola-Mission war. „Je mehr die Fallzahlen ansteigen, desto mehr kollabieren die Gesundheitssysteme.“

Die Gesundheitssysteme wurden über Jahre "arg beschädigt"

Die Menschen sterben an Durchfallerkrankungen wie Typhus, an Malaria und anderen Leiden; sie trauen sich nicht mehr zum Arzt. In Liberia wurden 65 Prozent der Gesundheitszentren geschlossen, Impfprogramme gestoppt, sagt Bernice Dahn, oberste Gesundheitshüterin in Liberia. Schwangere bleiben sich selbst überlassen, erst recht bei Komplikationen. Bis Oktober wurden 2000 Malariatote gezählt. Viele andere starben, ohne dass ein Gesundheitswächter je davon erfahren wird. „Diese Toten sind kein Kollateralschaden“, sagt die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan. Vielmehr seien sie Opfer fehlender Infrastrukturen für die Volksgesundheit. Die Epidemie zeige, wie die jahrzehntelange Vernachlässigung von Gesundheitsdiensten Staaten in die Knie zwingen kann. Ohne sie sei „keine Gesellschaft sicher.“

Regierungen, denen die Gesundheit ihrer Bürger egal war, Fehler in der Entwicklungshilfe, Korruption, zwei Bürgerkriege: Die Gesundheitssysteme in Liberia, Sierra Leone und Guinea wurden über Jahre hinweg „arg beschädigt“, bestätigt Jean-Pierre Unger vom Institut für Tropenmedizin in Antwerpen, Belgien.

Es gibt nicht das eine afrikanische Gesundheitssystem

„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet.“ So steht es im Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Eine ärztliche Versorgung ist trotzdem kein Standard. Afrika ist ein Kontinent mit 54 souveränen Staaten, es gibt nicht das eine afrikanische Gesundheitssystem. Einst herrschten die Kolonialmächte, heute sind Dutzende staatliche Entwicklungsdienste und viele Nichtregierungsorganisationen vor Ort aktiv. Ein Flickwerk.

Vielen Ländern südlich der Sahara ist jedoch gemein, dass Kranke kilometerweit bis zum nächsten Arzt oder Krankenhaus laufen müssen, sagt Unger. Oft vergeblich, weil zum Beispiel ein Labor für die Diagnostik fehlt oder die richtigen Medikamente. Manche überlegten es sich, ob er oder sie sich bei der nächsten Krankheit überhaupt auf den Weg machten. Zumal die Krankenschwestern, die sie antreffen, weniger Pflegekraft als Pillen-Buchhalter sind. „Heute gibt es rund 120 Programme zur Krankheitsbekämpfung. Jedes hat ein eigenes Berichtssystem“, sagt Unger. Zu viel wurde in die Prävention und Behandlung einzelner Krankheiten investiert, statt ein Versorgungsnetz zu knüpfen, das engmaschig über das ganze Land ausgebreitet ist. Zu viele Gesundheitssysteme in Afrika seien „vertikal“ organisiert statt „horizontal“.

Vertikal bedeutet: Ein Programm ist auf eine Krankheit zugeschnitten, es wird zum Beispiel von der Hauptstadt bis ins Dorf gegen Masern geimpft. Ein horizontales Programm hingegen zielt auf die Infrastruktur einer Ebene ab, etwa auf eine bessere Ausstattung der Distrikt-Krankenhäuser, so dass dort Unfallopfer und Schwangere operiert werden können.

Die Wurzeln der Strukturen reichen bis in die Kolonialzeit

Um die Strukturen zu verstehen, müsse man bis zur Kolonialzeit zurückschauen, sagt Unger. „Die Briten hatten ein Netz von Gesundheitszentren und kleinen Krankenhäusern eingerichtet. Sie boten eine Art Allzweckversorgung. Dem stand der eher militärische Ansatz der Franzosen in West- und Zentralafrika gegenüber. Da sind mobile Teams ausgerückt, um Menschen zu impfen oder um Kranke mit der Schlafkrankheit zu finden und in Behandlungszentren zu bringen.“ Nachdem die meisten Länder Afrikas um 1960 unabhängig geworden waren, entstanden vor allem in den Hauptstädten Krankenhäuser. An die flächendeckende Grundversorgung dachte kaum einer.

1978 setzte sich die Weltgemeinschaft bei einer Konferenz in der kasachischen Stadt Alma Ata ein Ziel. Die Delegierten forderten, „allen Völkern der Welt bis zum Jahr 2000 ein Gesundheitsniveau zu ermöglichen, das es ihnen erlaubt, ein gesellschaftlich aktives und wirtschaftlich produktives Leben zu führen“. Medizinisches Personal wurde fortgebildet und Dorfkliniken gebaut. In manchen Ländern gab es bald „Gesundheitsagenten“. Sie sind zwar keine Ärzte oder Krankenschwestern, können aber die grundlegende Versorgung in einzelnen Dörfern übernehmen. Ende der 1980er Jahre war damit Schluss. Weltbank und Internationaler Währungsfonds forderten Strukturanpassungsprogramme. Nur dann erließen sie im Gegenzug Schulden oder sagten Kredite zu. Daraufhin wurde das Gesundheitswesen privatisiert. „Der Ruf nach weniger Staat war eine gute Ausrede für Regierungen, nicht länger in grundlegende Gesundheit zu investieren“, sagt Unger. Die Volksgesundheit verschlechterte sich erneut. Viele Länder haben eher ein „Krankheitssystem“.

Pläne für die Zukunft. Der Gesundheitsminister Sierra Leones Abu Bakarr Fofanah, die oberste Gesundheitshüterin Liberias Bernice Dahn, die stellvertretende WHO-Generaldirektorin Marie-Paule Kieny und Guineas Gesundheitsminister Remy Lamah (von links nach rechts) vor der Presse in Genf.
Pläne für die Zukunft. Der Gesundheitsminister Sierra Leones Abu Bakarr Fofanah, die oberste Gesundheitshüterin Liberias Bernice Dahn, die stellvertretende WHO-Generaldirektorin Marie-Paule Kieny und Guineas Gesundheitsminister Remy Lamah (von links nach rechts) vor der Presse in Genf.

© dpa

Ebola nutzt in Westafrika jede Schwäche aus. Und wieder nimmt sich die Weltgemeinschaft vor, funktionierende Gesundheitssysteme zu schaffen. In Genf diskutierten in dieser Woche Vertreter der Länder, Geldgeber und andere Experten, wie die Katastrophenhilfe eine Basis für die Zeit nach Ebola bilden kann. Das Ergebnis sollte kein konkreter Fahrplan sein, sagt die stellvertretende WHO-Generaldirektorin Marie-Paule Kieny. Vielmehr sollten die Länder ermutigt werden, eigene Lösungen zu finden. Überwachungssysteme für Infektionskrankheiten und die Basisversorgung der Bevölkerung seien zwei Seiten einer Medaille.

Ruanda könnte nun ein Vorbild sein

Uganda könnte ein Vorbild sein. Oder Ruanda. Nach dem Völkermord im Jahr 1994 lagen dort die medizinischen Einrichtungen in Trümmern, die Fachkräfte waren davongelaufen, Millionen Menschen auf der Flucht. Das Land galt als das ärmste der Welt, die Kindersterblichkeit war verheerend. Doch das Gesundheitssystem wurde neu aufgebaut. „Ich habe einen Strategieplan für HIV, für Tuberkulose, für nicht übertragbare Krankheiten. Sie alle passen für ein paar Jahre in den Strategieplan für Gesundheit“, sagt die Gesundheitsministerin von Ruanda, Agnes Binagwaho. Sie kombiniert den horizontalen und vertikalen Ansatz. Selbst in Dörfern kann nun ein großer Teil alltäglicher Leiden schnell und ohne weite Wege behandelt werden. Außerdem gibt es eine Krankenversicherung.

20 Jahre nach dem Genozid ist die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesunken. Die Zahl der Aids- und Tuberkulose-Toten fällt schneller als sonst irgendwo. Die Ruander sind gesünder. Dabei ist es nach wie vor eines der am wenigsten entwickelten Länder. Mehr Wirtschaft führe nicht unbedingt zu mehr Gesundheit, sagt Binagwaho. Ruanda nutze jeden Dollar erfolgreicher als andere Gesundheitssysteme. Arm zu sein, sei nicht gleichbedeutend damit, krank zu sein.

In Westafrika ist das noch ein Traum. Statt die maroden, schlecht geführten Gesundheitssysteme zu heilen, zählten fast nur die Millenniumsziele, der Kampf gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Es blieb „relativ wenig“ Geld für den Aufbau der Gesundheitssysteme. Was nun genau in welchem Land geschehen soll, wurde in Genf nicht präsentiert. Dafür sei es zu früh, sagt Abu Bakarr Fofanah, Gesundheitsminister von Sierra Leone. „Wir analysieren, was falsch lief, damit wir nach der Krise eine Roadmap haben.“

Franziska Badenschier

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