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Lebensräume: Bedrohte Vielfalt

Der Schutz von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen ist genauso schwierig, wie die Rettung des Klimas.

In einem Jahr wird Bilanz gezogen. Dann ist es 20 Jahre her, dass der Erdgipfel in Rio große Ziele für die Versöhnung der Menschen mit der Umwelt vereinbart hat. Insbesondere die drei großem Umweltkonventionen werden dabei in den Blick genommen: die Klimarahmenkonvention, die Konvention über den Erhalt der Biologischen Vielfalt oder Biodiversitätskonvention (CBD), und die Wüstenkonvention. Über den Zustand des Klimaabkommens ist im Zusammenhang mit dem gescheiterten Weltklimagipfel in Kopenhagen 2009 ausführlich berichtet worden. Die beiden anderen Konventionen haben es nie richtig aus dem Schatten der Klimakonvention geschafft. Ein Grund dafür ist, dass beides, der Erhalt der Artenvielfalt, wie die Verhinderung der Ausbreitung der Wüsten, stark von einem Erfolg beim Klimaschutz abhängt. Der andere dürfte sein, dass die Erfolge beim Erhalt der Biodiversität und beim Versuch, die Wüstenbildung aufzuhalten, noch kleiner ausgefallen sind als beim Klimaschutz.

Einen Grund dafür hat Pavan Sukhdev, der eine umfassende Untersuchung über den Wert der Biodiversität für die Menschheit leitet (TEEB), so zusammengefasst: „Der Focus moderner Gesellschaften liegt vor allem auf von Märkten gelieferten Komponenten des Wohlstands. Wir sind nahezu vollständig abhängig von Marktpreisen, um Werte zu beschreiben. Das bedeutet, dass wir generell wirtschaftliche Werte, die nicht durch Märkte ausgetauscht werden, nicht messen oder managen. Das gilt insbesondere für öffentliche Güter und Dienstleistungen, die jedoch einen großen Teil zu den Vorteilen beitragen, die die Natur den Menschen bietet.“ Kurz gesagt: Was keinen Marktwert hat, wird nicht wertgeschätzt – und oft sogar zerstört. Pavan Sukhdev, der bei der Deutschen Bank gearbeitet hat, bevor er die Leitung des TEEB-Projektes und des „Green New Deal“ beim UN-Umweltprogramm Unep übernahm, hat 2008 damit begonnen, der Biodiversität einen Wert beizumessen. Die alarmierende Botschaft des Zwischenberichts von Pavan Sukhdev lautete: „Selbst wenn der Weltklimagipfel in Kopenhagen im Dezember erfolgreich verläuft, wird das die Korallenriffe nicht mehr retten.“ Bekanntlich war der Gipfel nicht erfolgreich. Für die Korallenriffe, die schon heute zu mehr als einem Drittel stark geschädigt sind, bedeutet das wohl, dass sie in absehbarer Zeit vollständig zerstört sein werden. Denn die Wissenschaft ist sich einig, dass großflächige Korallenbleichen auftreten, seit der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre etwa 320 ppm (Teilchen pro einer Millionen Luftbestandteile) erreicht hat. Zudem wird Kohlendioxid (CO2) aus der Luft im Meer gebunden und führt dort zu einer Versauerung der Ozeane. Korallen müssen zum Aufbau und zur Regenerierung der Riffe aber Kalk bilden, was in einem sauren Milieu nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich ist. Seit 1950 habe die Welt etwa 20 Prozent der Korallenriffe verloren, sagt Sukhdev.

Die Folgen sind kostspielig. Korallenriffe erbringen nach Sukhdevs Berechnungen jährlich rund 150 000 Dollar Einnahmen pro Hektar. „Der materielle Nutzen der Korallenriffe liegt bei etwa 172 Milliarden Dollar jährlich“, sagt er. In diese Summe gehen Fischfang, Küstenschutz und Tourismus ein. Rund eine halbe Milliarde Menschen sei unmittelbar von Korallenriffen abhängig, um sich zu ernähren. Um die Riffe zu retten, hätte der Gipfel in Kopenhagen Einigkeit darüber erzielen müssen, dass der CO2-Anteil in der Atmosphäre dauerhaft bei 350 ppm stabilisiert wird. Derzeit liegt er aber schon bei 387 ppm. Und selbst wenn das in Kopenhagen vereinbarte Ziel, die globale Erwärmung bei höchstens zwei Grad im Vergleich zur Beginn der Industrialisierung zu halten, erreicht werden könnte, würde der CO2-Wert oberhalb der für Korallen kritischen Grenze bleiben.

Mit Blick auf die unabwendbaren Folgen des Klimawandels und eine mögliche Anpassung daran hält Sukhdev das Anlegen von Mangrovenwäldern, wo sie abgeholzt worden sind, für eine sinnvolle Investition. Denn Mangroven könnten Menschen vor den Folgen von Sturmfluten schützen. Eine andere klimarelevante Investition sei die Bewässerung von Sumpfgebieten, die zuvor trockengelegt worden sind. Sumpfgebiete können große Mengen CO2 dauerhaft binden, andererseits werden durch die Zerstörung von Mooren oder Sümpfen auch überproportional hohe Treibhausgasemissionen freigesetzt. Jüngst war das bei den Wald- und Torfbränden in Russland zu beobachten. „Es ist billiger in die ökologische Infrastruktur zu investieren als in immer höhere Staudämme. Diese Investitionen bringen sehr hohe soziale Erträge“, sagt der indische Ökonom. „Wälder sind die ältesten Kohlendioxidspeicher, die wir kennen. Und es gibt keine negativen Nebenwirkungen. Warum also sollte man nicht tun, wovon man weiß, dass es funktioniert?“

Gute Frage. Denn mit der Biodiversitätskonvention 1992 war bereits die erste Waldschutzkonvention verabschiedet worden. Doch die Versuche einer Kooperation zum Schutz der Regenwälder hat bisher keine besonders überzeugenden Ergebnisse gezeigt. Das beim Weltgipfel in Johannesburg im Jahr 2002 noch einmal konkretisierte Biodiversitätsziel, nämlich den Artenverlust bis 2010 zu stoppen, ist weltweit krachend verfehlt worden. Das Tempo, in dem Arten aussterben liegt je nach Weltregion noch immer um 100 bis 1000 Mal höher als „normal“. Beim Biodiversitätsgipfel in Japan im Oktober soll deshalb ein neues Ziel formuliert worden. Dann endet auch die deutsche CBD-Präsidentschaft. Neben dem TEEB-Bericht, der vor allem vom früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) angeschoben worden ist, hat Deutschland ein weiteres Ziel seiner Präsidentschaft erreicht. Inzwischen ist ein Wissenschaftler-Rat gebildet worden, der nach dem Vorbild des Weltklimarats wissenschaftliche Erkenntnisse über die Artenvielfalt zusammentragen soll, die als Entscheidungsgrundlage für weitere CBD-Beschlüsse dienen sollen.

Rhetorisch hat auch die schwarz-gelbe Koalition erkannt, dass der Verlust der biologische Vielfalt in wenigen Jahren als Thema die Dimension des Klimathemas erreicht haben dürfte. Zur Eröffnung des Jahres der Biodiversität der Vereinten Nationen sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Januar: „Wir brauchen eine Trendwende, jetzt unmittelbar, nicht irgendwann.“ Dass das Artenschutzziel 2010 nicht erreicht wird, „hat Folgen für uns alle“. Merkel fügt hinzu: „Der Ressourcenverbrauch muss sich an der Kapazität der Ökosysteme orientieren.“ Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) betont immer wieder: „Naturschutz ist kein Luxusthema, es geht um die Existenz.“ Trotz dieser Wertschätzung für das Thema sind die Erfolge der bereits 2007 beschlossenen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung recht bescheiden. Die wenigsten Bundesländer haben bis jetzt auch nur eigene Pläne für die Umsetzung vorgelegt. Und in vielen Bundesländern gibt es massiven Widerstand gegen zwei Kernziele der Strategie: So sollen in Deutschland bis zum Jahr 2020 immerhin zwei Prozent der Landesfläche Wildnis werden und fünf Prozent der Wälder sollen in einen Zustand „natürlicher Dynamik“ versetzt werden. Vor Ort werden solche Ziele als Bedrohung für neue Straßen oder Industrieansiedlungen wahrgenommen. Die Konflikte um den Naturschutz sind in Deutschland fast überall heftig. Der Streit, ob der Schutz einer Leitart, die den Zustand eines ganzen Lebensraums anzeigen kann, wie beispielsweise bestimmter Fledermausarten die „wirtschaftliche Entwicklung“ aufhalten darf, wird immer wieder leidenschaftlich diskutiert – und oft abschlägig entschieden.

Genau in diesem konkreten Feld des Naturschutzes hat sich die Heinz Sielmann Stiftung gemeinsam mit weiteren Umweltverbänden wie etwa der Umweltstiftung WWF, dem Bund für Umwelt und Naturschutz oder dem Nabu Arbeitsfelder gesucht. Dabei geht es ganz konkret darum, wie beispielsweise degradierte Flächen, die im Kalten Krieg als Truppenübungsplätze genutzt wurden, oder die durch die Braunkohleförderung entstanden sind, wieder zu Gebieten werden können, in denen auch seltene Tier- und Pflanzenarten einen Überlebensraum finden können. Auf diesem Feld hat sich die Sielmann-Stiftung schon lange einen Namen gemacht. Bei anderen Projekten geht es darum, wertvolle Naturschutzflächen zu erhalten. Dabei haben sich der BUND oder der Nabu aber auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Länderstiftungen, die seit 2008 Flächen des Grünen Bandes übernommen haben, verdient gemacht. Das Grüne Band, das vermutlich wichtigste Projekt der Biotopvernetzung in Deutschland, gäbe es nicht, wenn nicht der BUND schon direkt nach der Wende angefangen hätte, für seinen Erhalt zu werben. Denn im Schatten der innerdeutschen Grenze haben sich durch die Zwangsberuhigung eine Vielzahl von Lebensräumen erhalten, die anderswo kaum noch zu finden sind. Wieder andere, wie beispielsweise der WWF, versuchen entlang der Elbe durch Deichrückverlegungen wieder neue Auenwälder entstehen zu lassen.

All diesen großen Naturschutzprojekten ist gemeinsam, dass sie nicht nur bei der direkten Umsetzung Kompromisse vor allem mit den Bauern aushandeln müssen, die in diesen Gebieten anders wirtschaften müssen als auf Agrarflächen. All diese Naturschutzprojekte sind auch Teil einer umfassenden Umweltbildungsarbeit. Denn nur, wenn die Menschen die Erfolge des Naturschutzes auch sehen können, und wenn sie mehr über seine Bedeutung erfahren, werden sie akzeptieren, dass es auch Gebiete geben muss, in denen Menschen gar nichts zu suchen haben. Die Sielmann-Stiftung hat sich in diesem Zusammenhang vor allem auf die Umweltbildung für Kinder und Jugendliche spezialisiert. Im Umweltbildungszentrum im Eichsfeld auf dem Gut Herbigshagen gibt es Naturschutz für Anfänger und viele Informationen über Tier- und Pflanzenarten, die in Deutschland vorkommen, die aber trotzdem kaum jemand kennt. Das Gut ist ein Kernstück der Stiftungsarbeit. Dort gibt es auch ein kleines Museum, das an die Arbeit des großen Naturfilmers Heinz Sielmann erinnert. Sielmann gründete die Stiftung gemeinsam mit seiner Frau Inge im Jahr 1994. Inge Sielmann führt die Stiftung bis heute.

Die großen Ziele beim Schutz der Biodiversität lassen sich nur erreichen, wenn auch im Kleinen die Natur geschützt werden kann. Darüber wird es auch in Zukunft große Konflikte geben. Doch auch auf internationaler Ebene wird es im Oktober nicht leicht sein, einen Erfolg zu erzielen. Umweltminister Röttgen sagte am Freitag aus Anlass einer Vorbereitungskonferenz für den Gipfel in Japan: „Wir brauchen politische Führung und Bereitschaft zum Handeln auf höchster politischer Ebene, um die notwendige Trendwende zur Bekämpfung des weltweiten Biodiversitätsverlustes zu schaffen.“

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