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Rechenaufgaben auf einer grünen Tafel.

© Julian Stratenschulte/dpa

Update

Ländervergleich der Grundschulen: Berlin bleibt unter den Schlusslichtern

Berlin landet beim Ländervergleich von Viertklässlern im Lesen und in Mathematik erneut in der Schlussgruppe. Führend sind Bayern und Sachsen.

Grundschüler in Deutschland können schlechter rechnen, schreiben und zuhören als noch vor fünf Jahren. Das ist das Ergebnis eines Ländervergleichstests in den Fächern Deutsch und Mathematik, für den mehr als 30 000 Viertklässlerinnen und Viertklässler getestet wurden. So erreichten im Fach Mathematik praktisch in allen Bundesländern weniger Schüler die Regelstandards als im Jahr 2011. In Orthografie schafft inzwischen nicht einmal mehr jeder Fünfte die Mindeststandards. „Das Ergebnis ist ernüchternd“, sagte Susanne Eisenmann (CDU), Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Kultusministerin in Baden-Württemberg.

Nur im Lesen konnten die Schüler demnach ihr Niveau halten. Zwischen den Bundesländern gibt es teilweise große Unterschiede. Gut schneiden insbesondere Bayern und Sachsen ab. Schlusslichter bleiben die Stadtstaaten Berlin und Bremen - wobei sich Berlin aber anders als viele Länder leicht verbessern oder zumindest das Niveau halten konnte. Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte, die Stadt müsse ihre Anstrengungen im Schulbereich weiter „intensivieren“. Der grüne Bildungsexperte Özcan Mutlu

sprach von einem "alarmierenden Befund". Die Schulen müssten finanziell besser ausgestattet werden: "Das bedeutet auch, dass das bestehende Kooperationsverbot in der Bildung "in Gänze abgeschafft" werden muss.

Auch Baden-Württemberg verschlechtert sich

Abgerutscht sind nun auch Länder, die bei der vorherigen Studie von 2012 weiter vorne standen - wie zum Beispiel Baden-Württemberg, das jetzt nur noch durchgehend im Mittelfeld zu finden ist. Im Lesen lautet die Rangfolge den letzten Plätzen jetzt: Nordrhein-Westfalen (Platz 14), Berlin (Platz 15) und Bremen (Platz 16). Vor fünf Jahren lag auch Hamburg noch in der Schlussgruppe, jetzt machte die Hansestadt im Lesen einen Sprung nach vorne - auf Platz 12. In Mathematik sind die Stadtstaaten am Tabellenende unter sich geblieben: Schlusslicht bleibt Bremen, Berlin steht auf Platz 15, Hamburg auf Platz 14. In beiden Bereichen führend sind Bayern und Sachsen.

Studienleiterin Petra Stanat vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen führte den Leistungsrückgang auf die wachsende Heterogenität der Schülerschaft zurück. So sei der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund seit 2011 um 8,9 Prozent gestiegen, der Anteil der Schüler, die inklusiv beschult werden, um 17,3 Prozent. „Es ist für Lehrkräfte viel anspruchsvoller geworden, einen Unterricht zu machen, der alle Schülerinnen und Schüler erreicht.“

Für den Ländervergleich wurden rund 30 000 Viertklässlerinnen und Viertklässler aus über 1500 Schulen getestet. Die Schulen wurden nach einem Zufallsprinzip ausgewählt, ebenso die Klassen der ausgewählten Schulen. Die Tests fanden zwischen Mai und Juli 2016 statt.

Werden Standards in Deutsch und Mathematik erreicht?

Untersucht wurde, ob die Schüler die bundesweiten Bildungsstandards in Deutsch und Mathematik erreichen. In Deutsch ging es ums Lesen, Zuhören und Rechtschreibung. Für das Fach Mathematik wurden die Kompetenzen in den Bereichen „Zahlen und Operationen“, „Raum und Form“, „Muster und Strukturen“, „Größen und Messen“ sowie „Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit“ abgeprüft.

Beim ersten Leistungsvergleich von Grundschulen, der im Jahr 2012 veröffentlicht wurde, standen durchgehend die Schülerinnen und Schüler aus Bayern an der Spitze. Es folgten Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

20 Prozent der Berliner verfehlen Regelstandards im Lesen

Insgesamt waren die Leistungen der Grundschüler nur im Lesen bundesweit gegenüber 2011 stabil. Etwa zwei Drittel erreichen mindestens die Regelstandards beim Lesen und Zuhören. Im Zuhören sank die Quote derer, die die Regelstandards erreichen, aber von 74 auf 68 Prozent, bei der Orthographie sogar von 65 auf 55 Prozent.

In der Mathematik konnte das Niveau über alle Länder hinweg nicht gehalten werden. Hier ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Regelstandards erfüllen, von 68 auf 62 Prozent gesunken. Zum Vergleich: In Sachsen sind es nur 7,2 Prozent, die im Lesen hinter den Regelstandards zurückbleiben, in Bayern sind es 7,9 Prozent, in Berlin sind es 20 Prozent und in Bremen 25,5 Prozent. Neben dem erhöhten Migrantenanteil nennen die Kultusminister die verstärkte Inklusion von Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf als Grund für das Absinken der Leistungen. Die Flüchtlinge aus dem Jahr 2015 sind dagegen noch gar nicht in der Studie berücksichtigt.

Alarmierte Reaktionen: Wie der PISA-Schock

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warf den Ländern vor, die Grundschulen „sträflich vernachlässigt“ zu haben. Es würden nicht genug Lehrkräfte ausgebildet, Schulleiterstellen teilweise jahrelang nicht besetzt – und Grundschullehrkräfte zu schlecht entlohnt. Kai Gehring, Bildungsexperte der grünen Bundestagsfraktion, fühlt sich an den PISA-Schock von 2001 erinnert. Der beste Umgang mit den Ergebnissen für die Grundschulen wäre es, "sie als heilsamen Schock zu betrachten und eine bundesweite Bildungsoffensive für mehr Investitionen für bessere Schulen zu vereinbaren", erklärte Gehring.

Die Ergebnisse für Berlin im Überblick

Und wie schneiden nun die Berliner Grundschülerinnen und Grundschüler im Einzelnen ab? Im Folgenden einige der wichtigsten Resultate aus Berliner Sicht im Überblick:

Deutsch

Ob Lesen, Zuhören oder Rechtschreibung: Berlin ist mit Bremen Schlusslicht. Der Lernabstand zum Spitzenreiter Bayern beträgt mehr als ein halbes Schuljahr. Zwanzig Prozent der Schüler erreichen in Berlin nicht die Mindeststandards im Lesen (Bundesschnitt: 12,5 Prozent). Diese Schüler werden es nur mit sehr intensiver Förderung in die Sekundarstufe I schaffen. Dramatisch sieht es in der Orthographie aus. In Berlin beherrscht jeder dritte Schüler nicht die Mindestanforderungen, bundesweit jeder fünfte.

Für IQB-Studienleiterin Petra Stanat zeigt sich in den Deutsch-Resultaten, dass die Schulen in der Leseförderung zwar gut aufgestellt sind. Das ist tatsächlich der einzige Bereich, in dem die Leistungen stabil blieben. Anders sehe es mit der Sprachförderung aus: „Wir haben alle unterschätzt, wie schwer das ist.“ Auch in der Rechtschreibung sei einiges zu tun. Es wäre aber „fatal, das isoliert zu drillen“. Vielmehr müsse die Orthografie insgesamt in die Schreibförderung eingegliedert sein.

Mathematik

Auch in diesem Bereich liegt nur Bremen hinter Berlin. Anders als die Hansestadt fällt die Hauptstadt aber nicht weiter zurück. Überhaupt lässt sich sagen, dass Berlin auf seinem niedrigen Niveau konstant bleibt, während sich Baden-Württemberg oder Niedersachsen massiv verschlechtern.

Schüler mit Migrationshintergrund

Immer mehr Grundschüler haben einen Zuwanderungshintergrund: Bundesweit stieg deren Anteil in den vergangenen fünf Jahren um 8,9 Prozentpunkte auf 33,6 Prozent. In Berlin liegt der Anteil bei 41,4 Prozent (plus 5,8 Prozent), am höchsten sind die Werte in Bremen (52,5 Prozent) und Hamburg (48,5 Prozent). Die wachsende Heterogenität im Klassenzimmer – gleichzeitig werden mehr Kinder inklusiv beschult – ist für die Bildungsforscher ein Grund für den Rückgang der Schülerleistungen. Auffällig ist, dass Schüler mit und ohne Zuwanderungshintergrund gleichmäßig schwächer werden, wobei Migrantenkinder immer noch geringere Kompetenzen erreichen. Schüler, deren Eltern aus der Türkei stammen, liegen im Lesen ein Jahr zurück; Russischstämmige landen dagegen über dem deutschen Mittelwert.

Ist es zwangsläufig, dass Länder mit einem hohem Migrantenanteil schwächer abschneiden? Stanat hält es zwar für illusorisch, dass Berlin oder Bremen kurzfristig zu Flächenstaaten wie Bayern aufschließen. Allerdings zeige das Beispiel Hamburgs, dass sich auch ein Stadtstaat verbessern könne. Stanat lobte in Hamburg eine „Kultur des Hinschauens“ in den Schulen. Hamburg hätte eine viel stärkere Qualitätskontrolle der Schulen, ebenso eine intensivere Leistungserfassung der Schüler als Berlin und andere Länder.

Wie Berlin besser werden will

Senatorin Scheeres (SPD) erklärte: "Die Ergebnisse zeigen, dass Berlin seine Anstrengungen weiterhin auf verschiedenen Ebenen intensivieren muss". Das betreffe die Unterrichtsqualität, das Lehramtsstudium sowie die Datentransparenz für Schulleitungen und Schulaufsicht. Gleichzeitig zeigten die Ergebnisse, "dass es ein richtiger Schritt war, im neuen Lehrkräftebildungsgesetz Mathematik und Deutsch verpflichtend für die Ausbildung der Grundschullehrkräfte festzuschreiben".

Die Qualität des Unterrichts will Scheeres mit einem neuen "Indikatorenmodell" verbessern. Es werde gerade den Schulleitungen vorgestellt. Jede Schule sehe damit auf einen Blick, wo sie steht - unter anderem bei den Abschlüssen der Schülerinnen und Schüler, bei den Leistungsdaten, beim Unterrichtsausfall und beim Krankheitsstand, teilte Scheeres mit.

Was mussten Grundschüler wissen? Beispielaufgaben des Ländervergleichs finden sich hier auf der Homepage des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen.

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