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Kryokonservierung: Auf Eis gelegt

Hilfe für Krebskranke und neue Therapien – warum das Einfrieren von Gewebe wichtig ist.

Anna M. war 25 Jahre alt als bei ihr ein bösartiger Tumor des Lymphsystems diagnostiziert wurde. Bevor sie eine Chemotherapie begann, wurden ihr aus dem linken Eierstock fünf Gewebeproben entnommen, die die Ärzte in 70 kleine Würfel von nur zwei Millimetern Kantenlänge schnitten und einfroren. Die Chemotherapie und eine folgende Strahlentherapie besiegten den Tumor, aber sie schädigten auch die Eierstöcke, deren Zellen sehr empfindlich sind. Anna M. war wieder gesund, konnte aber keine Kinder mehr bekommen. Vier Jahre nach der Krebsbehandlung tauten die Ärzte deswegen die tiefgefrorenen Gewebestücke wieder auf und implantierten sie der jungen Frau. 2004 brachte Anna M. ein gesundes Kind zur Welt. Es war ein seltener Erfolg der Kryotechnologie.

„Kryo“ ist das griechische Wort für kalt. Die Vorsilbe bezeichnet ein kleines Wunder: Dass man Zellen, die kleinsten Einheiten des Lebens, einfrieren und wieder auftauen kann – und sie danach immer noch leben. Die Technik wird immer wichtiger. So lassen viele Eltern heute bei der Geburt ihres Kindes Nabelschnurblut einfrieren. Ihre Hoffnung: Eines Tages könnten die darin enthaltenen Stammzellen Medizinern die Möglichkeit geben, eine Krankheit zu heilen, die ihr Kind vielleicht entwickelt. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Zellen 20, 30 oder auch 70 Jahre lang aufbewahrt werden können – und dann nach dem Auftauen noch leben. Auch die Forschung macht sich die Kryotechnologie zunutze. Pharmafirmen brauchen tiefgefrorene Tumorzellen, um neue Krebsmedikamente zu testen. Biologen wollen Zellproben von allen bekannten Lebewesen einlagern und eine Art eisige Arche schaffen.

Trotzdem hat die Technik in den vergangenen Jahrzehnten wenig Fortschritte gemacht. Gerade bei größeren Zellansammlungen stößt sie schnell an ihre Grenzen. Erfolge wie bei Anna M. seien immer noch die Ausnahme, sagt Friederike Ehrhart. Die Biologin forscht am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) im saarländischen St. Ingbert. „Da muss noch viel verbessert werden“, sagt sie.

Das Einfrieren von Zellen ist ein brutaler Vorgang. Den Zellen wird ein Frostschutzmittel beigegeben, meistens Dimethylsulfoxid (DMSO), dann werden sie auf bis zu minus 196 Grad Celsius heruntergekühlt. Man kann sich eine Zelle vereinfacht als einen Tropfen Wasser mit einer dünnen Fetthaut darum vorstellen. Innen finden die chemischen Prozesse statt, die das Leben ausmachen, die dünne Fettschicht grenzt sie nach außen von der Nährflüssigkeit ab, in der sie sich befindet. Beim Abkühlen gefriert zunächst das Wasser außerhalb der Zelle. Dann vereist die Flüssigkeit im Inneren, die darin enthaltenen Eiweiße stecken plötzlich in einem festen Block. Das Leben steht still. Im Idealfall können die Zellen dann jahrzehntelang bei bis zu minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff aufbewahrt werden.

Aber je größer die Zellhaufen sind, umso aufwendiger ist die Prozedur. Schon ab wenigen Zehntelmillimetern Durchmesser sei es schwierig, Gewebe einzufrieren, sagt Ehrhart. „Das Gefrierschutzmittel muss ja alle Zellen erreichen und das dauert.“ Weil DMSO aber giftig ist, sterben außen schon die ersten Zellen ab, wenn die Zellen im Inneren noch gar keinen Kontakt dazu hatten. Außerdem setze sich Gewebe immer aus unterschiedlichen Zellen zusammen. „Jede Zelle reagiert unterschiedlich auf das Einfrieren“, sagt die Forscherin. Ein vollständiges Organ, geschweige denn einen Mensch einzufrieren und dann lebend und gesund wieder aufzutauen, sei deshalb unmöglich.

Aber auch bei der Kältekonservierung einzelner Zellen gibt es noch genug Schwierigkeiten. Im Grunde werde noch genau so eingefroren, wie vor 50 Jahren, sagt Hagen von Briesen, der die Abteilung Zellbiologie und Angewandte Virologie am IBMT leitet. „Das ist steinzeitlich im Vergleich zu den anderen Techniken in modernen Labors.“ Das wollen die Forscher ändern. Um das Einfrieren bestimmter Zellen zu verbessern, probieren sie neue Methoden aus. Für Langerhans-Inseln zum Beispiel, kleine Zellhaufen in der Bauchspeicheldrüse, in denen unter anderem die Insulin produzierenden Zellen liegen. „Bisher haben nur 14 Prozent der Zellen das Auftauen überlebt“, sagt Ehrhart. „Mit unserer neuen Methode sind es 80 Prozent.“

Außerdem versuchen die Forscher, neue Frostschutzmittel zu finden, die die Zellen bei den dreistelligen Minusgraden schützen. „Die Temperatur muss so niedrig sein, weil erst bei minus 130 Grad die Wassermoleküle aufhören, sich zu bewegen und neue Eiskristalle zu bilden“, erklärt Ehrhart. Bewahre man Zellen bei minus 80 Grad auf, könnten die Kristalle langsam weiterwachsen und die Zelle schädigen. Deshalb werde auch DMSO zugegeben. Es hält die Eiskristalle klein und verhindert so, dass die Zelle von innen zerstört wird. Langfristig hoffen Forscher aber Alternativen zu finden. Dafür schauen sie sich auch in der Natur um.

Thomas Leya, der am IBMT-Standort in Potsdam-Golm arbeitet, untersucht deshalb Tiere und Pflanzen, die in extremer Kälte leben. Sein Spezialgebiet sind Schneealgen, einzellige Algen, die im Restwasser auf Schnee- und Gletscherfeldern leben und dort mit Temperaturen um den Gefrierpunkt konfrontiert sind. „Um nicht zu vereisen haben sie verschiedene Strategien entwickelt“, sagt Leya. Zum einen reicherten sie in der Zelle kleine Moleküle an wie zum Beispiel den Zucker Saccharose. „Das senkt den Gefrierpunkt und die Flüssigkeit friert erst bei niedrigen Minusgraden.“ Es ist derselbe Mechanismus, den der Mensch nutzt, wenn er im Winter Salz streut.

Aber auch nach außen schützt sich die Zelle. „Das ist wichtig, weil Eiskristalle, die sich in der Nähe bilden, die Membran durchstechen und so die Zelle töten könnten“, sagt der Biologe. Darum gäben manche Schneealgen Gefrierschutzproteine ab, die das Wachstum der Eiskristalle beeinflussen. „Dann werden die Eiskristalle nicht so groß und es entsteht ein feinkristallines Eis, eine Art ,Watteeis’“. Leya hofft, dass diese Eisschutzproteine auch im Labor zum Einsatz kommen. Dann könnten sie eines Tages auch menschliche Zellen vor der Kälte schützen.

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