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Krebsbehandlung: 160.000 Euro pro Lebensjahr

Krebsmedizin: Bei einigen Leiden stiegen die Kosten ums 100-Fache. Wie hoch darf der Preis des Fortschritts sein?

Krebs: Die Konfrontation mit dieser Diagnose ist meist erschütternd. Auch wenn sie heute keineswegs mehr selten ist. Denn Krebs wird inzwischen oft früher und sicherer erkannt, es erkranken mehr Menschen daran, weil Tumorleiden mit dem Alter zunehmen. Und es leben mehr Menschen unter uns, die Krebs hatten oder haben – weil Krebs heilbar ist oder zur chronischen Krankheit wird.

Trotzdem bleiben die sehr unterschiedlichen Erkrankungen, die unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst werden, eine Bedrohung für Leib und Leben. Werden sie, wegen der Kosten, die sie verursachen, auch zur Gefahr für unser Gesundheitswesen?

Zwar liegen Krebspatienten seit einiger Zeit im statistischen Durchschnitt seltener und kürzer im Krankenhaus, ihre Behandlung verschiebt sich deutlich in den ambulanten Bereich. Dafür steigen die Kosten für Krebsmittel rapide. Das liegt zum guten Teil an raffinierten Neuentwicklungen, mit denen Tumoren am Wachsen gehindert werden, indem man ihnen die Blutzufuhr abschneidet, Wachstumsfaktoren gezielt ausschaltet oder Andockstellen für Hormone blockiert, ohne die sie nicht wuchern können.

Auf der Kostenseite schlagen diese teuren Neuentwicklungen vor allem dann zu Buche, wenn sie gegen häufige Tumorerkrankungen verordnet werden. So ist das Brustkrebs-Medikament Herceptin (Wirkstoff: Trastuzumab) im Jahr 2006 doppelt so häufig verordnet worden wie im Jahr zuvor, nachdem eine Studie ergeben hatte, dass es allen Patientinnen nützt, deren Krebszellen an der Oberfläche das Eiweiß Her-2-neu tragen – nicht nur denjenigen, deren Tumor schon Tochtergeschwülste gebildet hat.

Bei einigen Erkrankungen haben sich die Behandlungskosten in den letzten Jahren verhundertfacht. Leider werden, wenn der Tumor schon Absiedlungen gebildet hat, oft allenfalls Monate hinzugewonnen. Bei Herceptin etwa vier bis acht Monate. Und man kann ganz schnöde Rechnungen aufmachen: Pro gewonnenem Lebensjahr entstehen hier Behandlungskosten von 60.000 bis 160.000 Euro.

Aber kann und darf man so rechnen? Das war eine der Fragen, die auf einem Symposium im Vivantes-Klinikum Neukölln gestellt wurden. Anlass war der Abschied des Onkologie-Chefarztes Anton C. Mayr, der im Lauf seiner langjährigen Tätigkeit den Einzug vieler ebenso hoffnungsvoller wie teurer neuer Medikamente in die Krebsmedizin erlebt hat. Als Arzt sehe er seine Rolle nicht darin, ausschließlich die ökonomische Problematik dieser Entwicklung zu sehen, sagte Mayr dem Tagesspiegel. „Doch wenn wir diese neuen Mittel nicht vernünftig und umsichtig einsetzen, wird das zur untragbaren Belastung für unser Gesundheitswesen werden.“

„Wer eine bösartige Erkrankung hat, richtet besondere Erwartungen an die Therapie: Nur das Neueste ist gut genug“, sagte Joachim Bovelet, Geschäftsführer des Klinikkonzerns Vivantes. Doch welche Fortschritte sind für die Patienten so spürbar, dass sie auf Kosten der Versichertengemeinschaft bezahlt werden müssen?

Krebsspezialist Andreas Grüneisen (Vivantes-Klinikum Neukölln) warnte die Ärzte davor, sich die Antworten von den Herstellerfirmen suggerieren zu lassen. „Neue Substanzen werden aggressiv vermarktet, noch bevor ihr Nutzen eindeutig bewiesen ist, in Hochglanzbroschüren werden vorläufige Verbesserungen als eindeutige medizinische Fortschritte dargestellt.“ Als problematisch sieht Grüneisen auch die Rolle der Selbsthilfegruppen an, die heute vielfach von den Firmen finanziell unterstützt werden. „Sie erhöhen den Druck auf uns erheblich.“ Andererseits stehen die Ärzte unter dem Zwang, Kosten zu sparen. „Wir müssen heute zermürbende Verhandlungen wegen noch nicht zugelassener Behandlungen führen, die dem einzelnen Patienten aber helfen könnten.“

Über die Sorgen der Firmen berichtete der Mediziner Torsten Strohmeyer, Leiter Forschung und Medizin bei der Pharmafirma GSK. „Von 5000 bis 10.000 Substanzen, die wir testen, bekommt heute eine die Zulassung.“

Die Preisspirale wird sich weiterdrehen. Demnächst kommt ein Präparat mit dem Wirkstoff Lapatinib auf den Markt. Ein Molekül, das bei Brustkrebs ähnlich wirkt wie Herceptin, aber als Tablette eingenommen werden kann. Eine neue Herausforderung für die Krebsmedizin.

Adelheid Müller-Lissner

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