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Eine antiisraelische Demonstration in Berlin.

© dpa/preview production

Judenhass: Woher der muslimische Antisemitismus kommt

Die verbreitete Judenfeindschaft wurzelt historisch in Europa und im arabischen Nationalismus - nicht aber im Islam selbst. Ein Gastbeitrag.

Jedem Taxifahrer in Kairo seien die „Protokolle der Weisen von Zion“ geläufig und sie unterhielten sich, von deren Wahrheitsgehalt überzeugt, gerne darüber mit westlichen Fahrgästen. Gerne ist auch die Rede davon, dass arabische und iranische Sender im psychologischen Krieg gegen den Feindstaat Israel besonders im Ramadan gerne Hasspredigten und TV-Serien wie „Al Shatat“ und „Reiter ohne Pferd“ ausstrahlen. Dabei handelt es sich um Horrorszenarien, die antisemitische Topoi wie die Legenden vom Brunnenvergiften oder vom Ritualmord illustrieren, oder die Mär vom jüdischen Streben nach Weltherrschaft gegen Israel instrumentalisieren.

Dies sind nur zwei weithin geläufige Erzählungen über „den“ muslimischen Antisemitismus. Doch was beweisen diese Beobachtungen? Sie sind ebenso wahr und verdammenswert wie Berichte über Berliner Schüler mit arabischen Wurzeln, die einen jüdische Mitschüler umringen, um ihm zu sagen: „Wallah, Hitler war ein guter Mann, denn er hat die Juden getötet“. Das gilt auch für pro-palästinensische Demonstranten, die am Brandenburger Tor israelische Fahnen verbrennen.

All dies zeugt von einem unter Muslimen verbreiteten Antisemitismus. Doch so verwerflich solche Ausfälle sind: Es ist historisch falsch, daraus einen generellen Antisemitismus der Muslime abzuleiten. Wer sich ein wahres Bild vom muslimischen Antisemitismus machen will, muss dessen historische Hintergründe kennen.

Schon die viel zitierten „Protokolle der Weisen von Zion“, die Judenhasser in der Existenz des Staates Israel realisiert sehen wollen, sind fünfzig Jahre älter als der Nahostkonflikt. Sie wurden in Europa Ende des 19. Jahrhunderts unter raffinierter Verwendung uralter Ressentiments kompiliert und vom zaristischen Russland aus in alle Welt verbreitet. Hitler war von dem Pamphlet, das gerichtsnotorisch als Fälschung und durch seinen Inhalt als paranoider Unsinn entlarvt war, begeistert, ebenso Henry Ford, der es in den 1920er Jahren in den USA populär machte.

Ein Prophet des aktuellen Judenhasses war der angesehene Geistliche und Gelehrte Mohamed Sayyid Tantawi (1928– 2010), Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo und als höchste Autorität des sunnitischen Islam weit über Ägypten hinaus einflussreich. Sein Buch „Das Volk Israels im Koran und in der Sunna“ ist weit verbreitet. Es geht auf seine Dissertation im Jahr 1966 zurück und beschäftigt sich mit dem Palästinakonflikt aus religiöser Perspektive.

Zum allergrößten Teil ein Import aus dem Westen

Die Argumentation ist weithin rassistisch, wenn Tantawi von den unveränderbaren Eigenschaften der Juden, etwa ihrer „Gier nach Leben und dem Diesseits“ und ihrem „übermäßigen Egoismus“ spricht und die Juden als Ursache der Zerstörung von Moral, Religion und geistigen Werten charakterisiert. Der Geistliche Tantawi wurde mit seinem Bestseller einer der Wegbereiter des islamistischen Terrorismus, dem es längst nicht nur um Palästina geht, der vielmehr traditionellen Antisemitismus europäischer Provenienz in den Dienst eines fundamentalistischen Hasses gegen die Juden stellt.

Der muslimische Würdenträger Tantawi, der in religiösen Dingen eher als liberal galt, berief sich bei seinen antisemitischen Tiraden auf Hitlers „Mein Kampf“ und er hantierte mit den uralten Versatzstücken, die Judenfeinden im christlichen Europa seit Jahrhunderten als Argumente dienen. Schon bei Tantawi zeigt sich also ein Grundmuster: Der muslimische Antisemitismus ist zum allergrößten Teil ein historischer Import aus dem Westen.

Das trifft auch auf den Gründer der palästinensischen Nationalbewegung zu, den einstigen Mufti von Jerusalem Amin al Husaini, der die politische Einheit der Araber gegen Großbritannien propagierte. Er biederte sich den Nationalsozialisten an und begründete arabischen Nationalismus mit rassistischen Phrasen gegen die Juden.

In der Religion begründete Judenfeindschaft charakterisiert das Christentum

Der auch in der arabischen Welt umstrittene Mufti wird stets als Kronzeuge angeführt, wenn die Muslime in toto als NS-affin und von Grund auf antisemitisch denunziert werden. Amin al Husaini war allerdings ein Sektierer, der sich ideologisches Rüstzeug – Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus – im Westen aneignen musste, weil es dem Islam eben nicht wesensimmanent ist. In der Religion begründete Judenfeindschaft charakterisiert zweitausend Jahre Christentum, nicht aber den Islam.

Das neuerdings so gern beschworene „christlich-jüdische Abendland“ entbehrt jeder historischen Realität und taugt nur als politischer Kampfbegriff, mit dem „Islamkritiker“ das Menetekel einer Invasion gefährlicher Muslime beschwören. Muslimischer Antisemitismus ist nicht genuin, sondern politisch, er wurzelt im jungen arabischen Nationalismus. Auch dieser ist ein Import aus dem Westen.

Das Konstrukt einer dem Islam wesenseigenen Judenfeindschaft entstammt dem Bedürfnis, auf ein politisches Ressentiment mit gleichen Mitteln zu reagieren. Der gebotenen Verurteilung von Beleidigung, Hass und Mord oder sonstigen Manifestationen der Judenfeindschaft steht die notwendige Differenzierung nicht im Wege. Wenn junge Muslime auf den Straßen deutscher Großstädte antijüdische Parolen grölen, wenn Hassprediger gegen die Existenz Israels wüten, wenn Schüler „Jude“ als Schimpfwort gebrauchen: Gegenüber Antisemitismus, in welcher Form er sich auch äußert, kann es in einem Land keine Toleranz geben, dessen Gesellschaft Lehren aus der Geschichte des Holocaust zu ziehen versucht und die Erinnerung an den Judenmord als Element seiner politischen Kultur versteht.

Übergriffe ahnden, vorbeugen - und aufklären

Der Rechtsstaat hat Möglichkeiten, Übergriffe zu verhindern und zu ahnden. Noch wichtiger ist Prävention durch Bildung und Aufklärung. Dazu gehört auch der rationale Umgang mit dem Antisemitismus von Muslimen. Selbstgerechtigkeit, die in Flüchtlingen nur Sendboten eines islamischen Ansturms auf Europa sieht, wie die Populisten der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die damit den Zulauf Geängstigter bewirken, löst kein Problem, lenkt allenfalls vom Rassismus und der Judenfeindschaft in den eigenen Reihen ab.

Pauschale Ressentiments gegen alle Angehörigen einer Religionsgemeinschaft, die mit einer abscheulichen, aber insgesamt winzigen Minderheit von militanten Fanatikern und Terroristen gleichgesetzt werden, erklären das Problem nicht. Sie vergrößern es vielmehr, weil sie darauf zielen, die Mehrheit der Muslime – die sich energisch von Islamisten und Dschihadisten distanziert – in die Solidarität mit den Fanatikern zu drängen. Dann hätte die Denunziation ihr Ziel erreicht.

Fanatiker und Fundamentalisten aller religiösen, politischen oder kulturellen Couleur sind gefährlich, weil sie für rationale Argumente und differenzierte Weltsicht unerreichbar und damit für vernünftige Konfliktlösungen unzugänglich bleiben. Das gilt nicht nur für Muslime, die Religion zur Rechtfertigung von Gewalt missbrauchen, sondern auch für Aktivisten, die sich mit der Denunziation durch Feindbilder begnügen, die mit dem Konstrukt eines genuin muslimischen Antisemitismus, das heißt einer aus dem Islam theologisch abgeleiteten Judenfeindschaft, Stimmung machen.

Tatsächlich ist aber der christliche Antijudaismus das Vorbild für muslimischen Antisemitismus. Kirchenväter in der Spätantike erfanden ihn, um den Missionsauftrag des Christentums zu rechtfertigen. Abt Hieronymus von Bethlehem nannte im 4. Jahrhundert die Juden Gottesmörder und setzte damit ein stereotypes Ressentiment in Kraft, das die katholischen Kreuzzüge und die evangelische Wut Martin Luthers überdauerte und in der Volksfrömmigkeit nicht nur der orthodoxen Kirche vital ist.

Der Antisemitismus von Muslimen richtet sich gegen Israel

Die Feindschaft von Muslimen gegen Juden ist nicht im Koran begründet wie der Antijudaismus der Christen im Neuen Testament. Der Antisemitismus von Muslimen generiert sich aus politischer Solidarität, richtet sich gegen Israel und äußert sich mit den stereotypen Argumenten und Klischees eines Rassismus, der im 19. Jahrhundert den Antisemitismus hervorbrachte. Dessen Wurzeln findet man in Europa, in Deutschland, Österreich-Ungarn, in Frankreich und Russland.

Religiöse Vorbehalte, fixiert in Legenden, Verschwörungsfantasien und Phobien gegenüber dem vermeintlichen Streben der Juden nach Weltherrschaft sowie Neid gegen deren ebenso vermeintlichen Reichtum und Einfluss, waren der Nährboden für die Ideologie des pseudowissenschaftlich aufgemachten „modernen Antisemitismus“, die in der Katastrophe des Judenmords kulminierte.

Der aktuelle Antisemitismus von Muslimen beruht auf der Revitalisierung solchen Rassenwahns aus politischem Grund. Die Überzeugungen und die benutzten Argumente, wie die „Protokolle der Weisen von Zion“, kommen aus den Arsenalen der europäischen Judenfeindschaft. Das zu wissen ist die unerlässliche Voraussetzung, muslimischem Judenhass entgegenzutreten. Eine politische Lösung des Nahostkonflikts ist die andere ebenso unerlässliche Prämisse.

Die jahrhundertelange Ausgrenzung der Juden durch die christliche Mehrheit des Abendlandes war ausdrücklich mit deren Religion begründet und eifernde Prediger erklärten, dass der Talmud die Juden zu bösem Tun und zum Schaden der Mehrheit verpflichte. Neue, nicht weniger ahnungslose und zielstrebige Koranexegeten behaupten nun, die Religion gebiete den Muslimen Schandtaten gegen Ungläubige, wie auch den Hass gegen Juden. Das glauben viele – nicht nur ratlose AfD-Wähler – gern, weil es entlastet, Schuldige definiert und die eigenen Ressentiments vergessen lässt.

Der Autor ist Historiker und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.

Wie Migranten das Holocaust-Gedenken verändern, erklärt Tagesspiegel-Autor Malte Lehming hier.

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