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Studierende sitzen in einem Hörssal, zu sehen sind überwiegend junge Frauen, die Kopftuch tragen.

© Mike Wolff

Islam in Deutschland: Berliner Bachelor in schiitischer Theologie gestartet

Eine iranische Religions-Uni hat ein Institut in Berlin eröffnet. Erklärtes Ziel ist es, den schiitischen Islam in Deutschland zu stärken.

Islamische Theologie als reguläres Studienfach, ein Bachelor, der auf eine Tätigkeit als Religionslehrerin oder als theologisch kompetentem Sozialarbeiter vorbereitet: Diese Wege soll der an der Berliner Humboldt-Universität geplante Studiengang für Islamische Theologie muslimischen Studierenden eröffnen.

Der Start ist für den Herbst 2018 geplant. Doch während die Gründer noch mit allerlei Problemen ringen, hat in Berlin eine ganz ähnliche Einrichtung ihren Studienbetrieb aufgenommen – ein schiitisch-iranisches Universitäts-Institut mit Sitz in Charlottenburg.

Die Mutter-Universität bildet Geistliche für das Ausland aus

Am „Al-Mustafa Institut für Kultur- und Humanwissenschaften und islamische Studien“ wird seit dem Beginn des Sommersemesters ein Bachelor in Islamischer Theologie angeboten. 27 Studierende lernen dort Arabisch, werden von neun Lehrenden in Koranexegese, Islamischer Theologie, Geschichte, Jurisprudenz und Erkenntnislehre unterwiesen. Unter den Lehrbeauftragten sind auch ein Katholik und eine Professorin von der Evangelischen Hochschule Berlin.

Das Berliner Institut ist eine Filiale der in Qom im Iran beheimateten Al-Mustafa-Universität. Sie bildet seit 1979 in Präsenz- und Fernkursen Religionslehrer und Geistliche für das Ausland aus. Mittlerweile hat die Universität weltweit Zweigstellen; die Berliner Filiale ist nach der Islamic Academy in London die zweite in Europa – und die erste Ausbildungsstätte für muslimische Geistliche mit universitärem Anspruch in Deutschland.

"Hegemoniales Modell, um schiitische Theologie iranischer Prägung zu exportieren"

Der schiitisch-iranische Hintergrund des Instituts lässt aufhorchen. Ist hier womöglich ein deutscher Vorposten des politischen Islam entstanden? Auf der Homepage einer US-amerikanischen Vereinigung von Exiliranern jedenfalls wird minutiös dargestellt, wie die wachsende Schar der Al-Mustafa-Absolventen „die Ideologie des iranischen Regimes“ verbreite. Auch aus Kreisen der seit 2011 mit staatlicher Förderung an deutschen Unis gegründeten Islam-Zentren wird gewarnt. Bei den weltweiten Ausgründungen der Al-Mustafa Universität handle es sich um „ein hegemoniales Modell, über das schiitische Theologie iranischer Prägung exportiert wird“.

Ein Mann sitzt an einem Laptop am Schreibtisch und blickt in die Kamera.
Mahdi Esfahani leitet das Berliner Al-Mustafa Institut, er hat im Iran und in Deutschland Philosophie studiert, wurde in beiden Ländern promoviert und im Herbst 2016 zum Assistenzprofessor berufen.

© Mike Wolff

Das Berliner Institut hat sich – gemeinsam mit einer „Stiftung für islamische Studien“ – in einem gepflegten Geschäftshaus gegenüber dem Campus der Technischen Universität in der Hardenbergstraße angesiedelt. Seminarräume und Büros sind über den Räumen eines Unternehmens für Goldhandel gelegen, zu den Nachbarn zählen eine Investmentberatung und ein Urologe. Die Eingangstür mit dem Al-Mustafa-Logo steht weit offen, Institutsleiter Mahdi Esfahani begrüßt mit Handschlag, bietet Plätze auf einer Couchgarnitur an. Wasser, Saft? Trotz des Ramadans sollen die Gäste nicht darben.

Priorität hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Glauben, sagt der Leiter

Esfahani hat an der Universität Freiburg und an der Freien Universität Berlin zu ethisch-philosophischen Fragen geforscht, schrieb hier seine zweite, deutsche Dissertation. Zuvor wurde er im Iran in westlicher Philosophie promoviert, nachdem er dort bereits ein Ingenieurstudium absolviert hatte. Im Oktober 2016 berief ihn die Al-Mustafa-Universität als Assistenzprofessor an das von ihm vor einem Jahr mitbegründete Institut.

Befürchtungen, über das Al-Mustafa-Institut solle der politische Islam iranisch-schiitischer Prägung nach Berlin und Deutschland exportiert werden, widerspricht Esfahani. In einigen anderen Ländern hätten sich Vertreter der Al-Mustafa-Universität „in der Vergangenheit gegenüber der iranischen Politik verantwortlich gefühlt“. Doch am Berliner Institut habe „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem schiitischen Glauben höchste Priorität“. Und da gebe es noch großen Nachholbedarf in Deutschland, sagt Esfahani. Das „traditionell rationale Verständnis des schiitischen Islam“ werde hierzulande nicht gewürdigt, obwohl es „in vielen Fällen, in denen der Islam missverstanden oder missbraucht wird, als deradikalisierendes Korrektiv wirken könnte“.

Keine Geschlechtertrennung in der Berliner Filiale

Ob er eher fundamentalistischen Glaubensvorschriften wie unter Präsident Ahmadinedschad zuneigt oder der teilweisen Lockerung unter seinem Nachfolger, dem gerade wiedergewählten Präsidenten Rohani? Da will sich Esfahani nicht festlegen. „Die Lockerung hat stattgefunden und es wird sich weiterentwickeln.“

Im Übrigen sei man sich am Al-Mustafa-Institut „bewusst, dass wir in Deutschland arbeiten, auf dem Boden der deutschen Verfassung“. So herrschen in den Seminarräumen des Instituts – anders als an der Mutter-Universität in Qom – keine Geschlechtertrennung und auch keine Kleidervorschriften. Die anwesenden muslimischen Studentinnen tragen zwar Kopftuch, Nicht-Musliminnen sitzen aber unverhüllt im Seminarraum.

Was wird aus der Beteiligung am Islam-Institut der Humboldt-Universität?

An der Humboldt-Universität wurde die Eröffnung des Al-Mustafa-Studiengangs für Islamische Theologie „überrascht“ aufgenommen, wie der Historiker Michael Borgolte, Gründungsbeauftragter des HU-Instituts, auf Anfrage sagt. Er erkennt einen möglichen „Interessenkonflikt“ für die Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland, die als einer von fünf Islam-Verbänden an der Planung des HU-Instituts beteiligt ist. „Natürlich ist der Verband der Schiiten frei, ein theologisches Institut mit der Hilfe von wem auch immer zu betreiben, aber ob er dann noch für das geplante Institut an der HU hinreichendes Engagement aufbringt, muss sich noch zeigen“, sagt Borgolte.

Haben sich die Berliner Schiiten etwa von den HU-Plänen verabschiedet? Mahdi Esfahani verneint. „Wir sehen unser Institut nicht als Konkurrenz zur Humboldt-Universität, sondern als Ergänzungsangebot.“ Als Vertreter der schiitischen Gemeinschaft werde er weiter an der HU mitwirken. Er sei aber in der Minderheit und sehe „kaum eine Chance, dass wir in Berlin einen Lehrstuhl für schiitische Theologie bekommen“, ebenso wenig wie an den bestehenden fünf Islam-Zentren. Wenn das HU-Institut wie geplant eröffnet, werde die schiitische Gemeinschaft „ihre Jugendlichen dort hinschicken“, sagt Esfahani. „Aber sie könnten parallel auch bei uns studieren, um den Mangel schiitischer Lehre an der Universität auszugleichen.“

Schiitischer Studiengang "kein Anlass zur Panik"

Nun soll die Begründung einer islamischen Theologie an staatlichen Universitäten ja dazu beitragen, den Islam in Deutschland zu modernisieren: An die Stelle „importierter“ oder hierzulande privat geschulter Prediger sollen solche treten, die im Dialog mit anderen Religionen und Fachgebieten wissenschaftlich fundiert ausgebildet wurden. Wie auch für die seit Langem universitär etablierten christlichen Religionen ist das Ziel, „Tendenzen zur Vereinseitigung und Fundamentalisierung von religiösen Standpunkten“ entgegenzuwirken, schrieb der Wissenschaftsrat 2010 in seinen Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Theologien. Die Berliner Neugründung konterkariert dies.

Der schiitische Studiengang sollte für Berlin aber „kein Anlass zur Panik sein“, sagt Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, die sich an der HU einen Namen als Expertin für die Berliner Moscheen- Szene gemacht hat. „Konkurrenz belebt die theologische Debatte“, meint Spielhaus, die heute Abteilungsleiterin am Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung und Professorin an der Uni Göttingen ist. Eine theologische Lehre auch außerhalb der staatlichen Universitäten sei „in anderen Religionen der Normalfall“. Verständlich sei auch die Forderung Esfahanis nach mehr schiitischer Präsenz in der islamischen Theologie in Deutschland.

Der Senat hat offiziell kein Problem mit der Neugründung

Doch darf eine iranische Universität einfach eine Filiale in Berlin eröffnen und eigene Theologen ausbilden? Die Berliner Wissenschaftsverwaltung hat offiziell kein Problem mit der Institutsgründung. Die Leitung des Al-Mustafa-Instituts habe den Studienbetrieb ordnungsgemäß angezeigt, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Eine Akkreditierung sei nicht nötig, weil es sich nicht um eine eigenständige Hochschule, sondern um die Zweigstelle einer anerkannten ausländischen Universität handelt. Die Pläne für das Islam-Institut an der Humboldt-Uni blieben von der Gründung „unberührt“.

Studierende wollen ihre Religion nach außen "richtig darstellen" können

Nach außen tritt das Al-Mustafa-Institut nicht als iranische Einrichtung auf. Es werde von den Studierenden - weit überwiegend junge Frauen - auch nicht so wahrgenommen, heißt es in der Hardenbergstraße. Die Gruppe, die sich nach ihrem Arabischkurs für ein Gespräch bereitfindet, hat jedenfalls verschiedenste Hintergründe. Özgür Sözeri (32) ist technischer Zeichner und studiert neben dem Beruf. Er sei türkisch-alevitischer Herkunft und wolle in erster Linie seinen religiösen Horizont erweitern, sagt Sözeri.

Auch Sami Atris, der kurz vor seinem Abschluss in Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität steht, studiert in Teilzeit am Theologie-Institut. Er sitzt im Vorstand einer schiitischen Moschee und ist im Dachverband engagiert. „Die meisten Verbandsvertreter sind theologisch nicht bewandert“, sagt der 28-Jährige. „Uns fehlte bisher der Hintergrund, den Verband auch politisch zu vertreten.“ Die 19-jährige Zahraa Ghazi sieht ihr Vollzeitstudium als Selbstfindungs- und Orientierungsphase nach dem Abitur. Und die gleichaltrige Seinab Dabbous will vor allem ihre „in den Medien oft verfälschte Religion“ gegenüber der deutschen Gesellschaft „richtig darstellen“. Dazu seien die bisher hier lebenden Geistlichen aufgrund fehlender Sprachkenntnisse häufig nicht in der Lage. „Jetzt muss die Jugend diesen Platz einnehmen“, sagt Dabbous.

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