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Wer zahlt, schafft an. Großkonzerne pumpen große Summen nicht selbstlos in die Forschung, sondern weil sie in ihrem Interesse forschen lassen. Die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Wissenschaft wird zunehmend unterlaufen.

© Daniel Mock - Fotolia

Industriegelder für Hochschulen: Forschen wie es der Wirtschaft gefällt

Der Strom von Industriegeldern für Hochschulen schwillt an. Das hat Folgen: Unliebsame Ergebnisse werden unterdrückt.

Ein „Hörsaal Aldi Süd“, ein von Veolia bezahlter Professor für Wasserwirtschaft an der TU Berlin, ein Geheimvertrag zwischen der Universität Köln und Bayer, schokoladenfreundliche wissenschaftliche Untersuchungen durch einen Mars-Professor für Ernährung: Die Liste von Beispielen, wie Konzerne Einfluss auf Hochschulen und Wissenschaft nehmen, wird fast täglich länger. Die Drittmittelfinanzierung deutscher Hochschulen hat sich allein in den zehn Jahren von 2000 bis 2010 mehr als verdoppelt, der Anteil der Drittmittelfinanzierung stieg im selben Zeitraum von 14,9 auf 22,3 Prozent.

Der Strom von privaten Geldern in die Wissenschaft ist in den letzten Jahrzehnten dramatisch angeschwollen. Großkonzerne sind jedoch keine Wohltätigkeitsvereine. Sie verfolgen mit dem Einsatz von Kapital gezielte Interessen. Nicht der Nutzen der Allgemeinheit, der breiten Bevölkerung soll dadurch erhöht werden, sondern der Nutzen der Konzerneigentümer, die Gewinne.

Und so stellt sich die Frage: Wie steht es mit der Freiheit von Wissenschaft und Forschung, wie sie im Grundgesetz verankert ist? Dient unsere Forschung an den öffentlichen Hochschulen dem Allgemeininteresse, also möglichst allen Menschen oder dient sie zunehmend Partikularinteressen, einseitigen Gewinninteressen Weniger? Anders ausgedrückt: In welchem Umfang ist unsere Wissenschaft an Hochschulen gekauft?

Top secret: Forschen für Philip Morris

Zunächst können wir uns an ein paar besonders auffallenden wirtschaftshistorischen Beispielen klar machen, dass gekaufte Forschung häufig die Allgemeinheit schädigt. So bezahlte die Tabakindustrie jahrzehntelang renommierte Forscher dafür, dass sie wahrheitswidrig behaupteten, Rauchen bzw. Passivrauchen sei nicht schädlich. Ein Beispiel: Der schwedische Arzt Ragnar Rylander wurde jahrzehntelang über verdeckte Kanäle von Philip Morris bezahlt und veröffentlichte als Professor der Universität Genf in dieser Zeit wissenschaftliche Studienergebnisse, die angeblich zeigten, dass Passivrauchen nicht schädlich sei, obwohl er selbst wusste, dass das nicht stimmt – wie interne Unterlagen und persönliche Stellungnahmen zeigen. Die Finanzierung des Wissenschaftlers war dabei für Philip Morris „top secret“, um den Anschein der Unabhängigkeit zu wahren und damit die Glaubwürdigkeit des gekauften Wissenschaftlers so hoch wie möglich erscheinen zu lassen. Diese Strategie führte dazu, dass raucherfeindliche Gesetze jahrzehntelang verzögert wurden. Das erhöhte die Gewinne der Tabakkonzerne – laut Schätzung der US-Regierung von 1954 bis 2006 um über 700 Milliarden Dollar - und kostete zahllosen Menschen, beispielsweise Passivrauchern, das Leben.

Ähnlich verfährt die Chemieindustrie

Ähnlich verfuhr die Chemieindustrie in mehreren Fällen. Durch gekaufte Forscher wurden Studienergebnisse zu gesundheitsschädigenden Chemikalien gefälscht, so dass diese jahrzehntelang weiterproduziert werden konnten. Die angesehene naturwissenschaftliche Fachzeitzeitschrift „Nature“ wies 1985 in dem Artikel „Assessing the risk of dioxin exposure“ auf explizite Fehlaussagen in Studien zu Gesundheitsrisiken durch die Monsanto-Angestellte Judith Zack und den Medizinprofessor Dr. R.Suskind, Universität Cincinnati, hin. Diese Fehlaussagen sah „Nature“ als so gravierend an, dass alle vorliegenden Daten nachgeprüft und neu bewertet werden müssten. „Nature“ löste dadurch die Offenlegung eines Fälschungsskandals aus. Die französische Journalistin und Filmemacherin Robin schrieb in ihrem Buch 2008: „In einem [… deutschen] Werk hatte sich 1953 ein ähnlicher Unfall wie im November 1953 in Nitro [Produktionsstandort eines US-Werks von Monsanto] zugetragen. 1982 veröffentlichten von dem deutschen Konzern bezahlte Wissenschaftler […] einen Aufsatz, der behauptet, dass die von dem Unfall betroffenen Arbeiter nicht an besonderen Krankheiten litten. Sieben Jahre später enthüllte ein Artikel im New Scientist, dass die Studie mit denselben groben Tricks verfälscht worden war wie die von Monsanto: Zwanzig Angestellte, die nicht mit 2,4,5-T kontaminiert waren, wurden der kontaminierten Gruppe zugerechnet, womit man deren erhöhten Lungen- Luftröhren- und Magen-Darm-Krebsrate kaschiert hat.“ Das erhöhte die Gewinne der Unternehmen und schädigte die Gesundheit zahlloser Menschen.

Medikamente: 90 Prozent der Studien werden von der Pharmaindustrie finanziert

In der Medikamentenforschung werden heute etwa 90 Prozent aller veröffentlichten Studien durch die Pharmaindustrie finanziert. Es ist derzeit gängige Praxis, dass negative Studienergebnisse nicht veröffentlicht werden, so dass die Belege, auf denen unsere Entscheidungen in der Medizin basieren laut Aussagen unabhängiger Fachleute systematisch verfälscht werden, um den Nutzen der verwendeten Medikamente aufzubauschen und die Schäden zu verharmlosen. Ein Beispiel für diese fragwürdige Vorgehensweise: Im Dezember 2014 wurden in Deutschland 80 Medikamente aus dem Verkehr gezogen, denn es hatte sich herausgestellt, dass die Studien, die westliche Pharmaunternehmen bei dem indischen Forschungsinstitut GVK Biosciences in Auftrag gegeben hatten, wissenschaftlich nicht haltbare Ergebnisse zu Gunsten der bezahlenden Auftraggeber geliefert hatten. Eine Fülle von detailliert recherchierten Einzelbeispielen, die bis in die Gegenwart reichen zeigt der renommierte unabhängige Arzt und Wissenschaftler Peter Gotzsche in seinem 2015 auf Deutsch erschienenen Buch „Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität – Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert“ auf. Hier liegt wissenschaftliches Fehlverhalten in großem Stil, auf internationaler Ebene vor. Das erhöht die Gewinne der Pharmakonzerne und geht zu Lasten der Gesundheit von uns allen. Nach Schätzungen von Peter Gotzsche ist die Einnahme von Medikamenten in den USA und Europa die dritthäufigste Todesursache, dadurch sterben derzeit in den USA und Europa jeweils etwa 200.000 Menschen jährlich.

Lügen lohnte

Die Strafen in Gerichtsprozessen gegen Tabak-, Chemie- und Pharmakonzerne waren in fast allen verfolgten Fällen, gemessen an den durch die Lügen erreichten Umsatz- und Gewinnzuwächsen, sehr gering. Aus Konzernsicht war bislang die Strategie gekaufter und gefälschter Forschung sehr lukrativ. Lügen lohnte.

Hat man sich das Grundprinzip gekaufter Forschung an Hand solch skrupelloser Fälle klar gemacht, kann man diese Erkenntnisse auf die zahllosen, sehr viel subtileren Fälle von Einflussnahme durch Industriegelder auf scheinbar unabhängige Forschungsergebnisse anwenden, die im tagtäglichen wissenschaftlichen Leben an öffentlichen Hochschulen stattfinden.

Die Uni Köln lässt ein Institut durch Energiekonzerne finanzieren

Ein paar Beispiele: An der Universität zu Köln gibt es das Energiewirtschaftliche Institut (EWI), das stark durch Energiekonzerne finanziert wird. Obwohl das Institut seine Unabhängigkeit betont, sind die zentralen Aussagen der wissenschaftlichen Leiter dieses Instituts nur allzu häufig im Sinne ihrer Geldgeber. Insbesondere zeichnet sich das EWI durch seine stark atomenergiefreundlichen Aussagen aus. Kritiker sprechen von einem „getarnten Subunternehmen von EON und RWE“, seinen Hauptgeldgebern, statt von einem objektiver Wahrheitsfindung verpflichteten wissenschaftlichen Institut.

An der Ludwig-Maximilians-Universität München besteht das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht, das von mehreren Arbeitgeberverbänden aus Stiftungskapital von insgesamt 55 Millionen Euro finanziert wird. Obwohl das Institut vielfach seine Unabhängigkeit beteuert und von sich selbst sagt, es verfolge ausschließlich gemeinnützige Zwecke und sei selbstlos tätig, sind die Aussagen der Institutsleiter alles andere als ausgewogen. Praktisch alle Verlautbarungen sind sehr einseitig arbeitgeberfreundlich. Der DGB wirft dem Institut beispielsweise vor, dass es „in Sachen Lohndumping schult und zum Streikbrechereinsatz durch Leiharbeitnehmer ermuntert“.

Warum kooperiert Google mit der Humboldt-Universität?

Seit 2011 gibt es eine Kooperation zwischen Google und dem Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Anfangs war Google der einzige Finanzier mit etwa 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Kritische Studien zum Thema Internet oder den Interessen von Google entgegenlaufende Untersuchungen sind unter den Institutsveröffentlichungen nicht oder kaum zu finden. Die Frankfurter Allgemeine kommentierte das Institut 2013: „Jeder weiß, dass es bei der Gründung des der HU angegliederten Google-Instituts primär um Lobbyarbeit von Google im Umkreis des Berliner Parlaments ging und nicht um ein Carepaket der Onkels von der Westküste für die notleidende Studentenschaft.“

Eine große Zahl unabhängiger Studien kommt zu dem Ergebnis, dass industrienahe Forschung einseitig verzerrt ist zugunsten der Geldgeber, dass häufig keine ergebnisoffene Forschung stattfindet, sondern solche, die von den Geldgebern erwünscht ist. Studien mit unerwünschten Ergebnissen für den Finanzier werden im Normalfall nicht veröffentlicht oder abgebrochen.

Eine sehr große Rolle spielen in der deutschen Forschungslandschaft staatliche Drittmittel aus Bundes- oder EU-Haushalten. Diese Forschungsgelder sind in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Bei der Vergabe dieser Mittel zeigt sich massiver Industrieeinfluss über die Besetzung der Entscheidungsgremien, in denen Industrievertreter stark dominieren, während zivilgesellschaftliche Vertreter hier fast gänzlich fehlen. Dadurch fließen jährlich von der Allgemeinheit finanzierte Milliardenbeträge in Forschungsprojekte, die unmittelbar oder mittelbar der Industrie zu Gute kommen statt dem Allgemeinwohl. So fließen Jahr für Jahr verdeckte Subventionen in Milliardenhöhe an Großunternehmen.

Wer einen dicken Geldbeutel hat, setzt sich durch

Das Kernproblem gelenkter Forschung ist in den meisten Fällen nicht, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse gekaufter Forschung falsch sind, sondern dass Teilwahrheiten zur einzigen oder Gesamtwahrheit erklärt werden und mit großer Kapitalkraft in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. So setzen sich in den Medien und der Politik nicht die besseren Argumente durch, sondern diejenigen mit dem dickeren Geldbeutel.

Durch den zunehmenden Einfluss von Großkonzernen auf unsere öffentliche Forschung, sei es über direkte Zahlungen an Hochschulen, sei es über einseitig industriefreundliche  Gremienbesetzungen, wird unsere Forschung immer einseitiger und immer stärker interessengeleitet. Dadurch verliert die Wissenschaft in der Bevölkerung immer stärker an Glaubwürdigkeit. Kein Wunder. Zu viele Skandale und subtile, auf Halb- oder Viertelwahrheiten beruhende so genannte wissenschaftliche Empfehlungen, die in Wahrheit verdeckte Werbebotschaften sind, lassen viele Menschen immer mehr am Ruf der Wissenschaft zweifeln. Wollen wir das wirklich?

Die Lösung: Mehr Geld für die Hochschulen - ohne Umweg über die Wirtschaft

Die Lösung dieser Missstände wäre ebenso einfach wie unkompliziert: 1.Direkte Zahlungen von Wirtschaftsunternehmen an öffentliche Hochschulen sollten abgeschafft werden. Der Ausfall dieser Gelder wäre problemlos zu kompensieren, indem ein nur sehr kleiner Teil der milliardenschweren öffentlichen Forschungsgelder direkt den Hochschulen zur Verfügung gestellt wird, statt, wie heute üblich, über häufig industriedominierte Entscheidungsgremien indirekt in die Forschung zu fließen. 2. Die Gremien, die über die Verwendung öffentlicher Mittel entscheiden, sollten nicht länger gänzlich einseitig industriedominiert sein, sondern andere zivilgesellschaftliche Repräsentanten sollten mindestens paritätisch mitberücksichtigt werden.

Der Artikel fasst zentrale Thesen aus dem Buch „Gekaufte Forschung. Wissenschaft im Dienst der Industrie – Irrweg Drittmittelforschung“ von Christian Kreiß zusammen, das soeben im Europa-Verlag erschienen ist (245 Seiten, 19,60 Euro). Kreiß unterrichtet seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. Vorher hat er jahrelang als Banker gearbeitet. Dieser Text ist die um Beispiele erweiterte Version der zunächst erschienenen Fassung.

Christian Kreiß

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