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Im Babylabor. An der Universität Tübingen wurde anhand der Hirnströme gemessen, wie Kleinkinder auf Sprache reagieren.

© Universität Tübingen/Heinz Heiss

Hirnforschung: Zuhören ist Gold

Kinder lernen Sprache schon lange, bevor sie „Mama“ und „Papa“ sagen können. Das beginnt bereits im Mutterleib.

Babys geben den Menschen in ihrer Umgebung Rätsel auf. Sicher, sie können schreien, lallen, lächeln. Doch was sie erleben, was sie sich wünschen, was ihnen fehlt, all das können sie noch nicht in Sprache fassen. Dass ein Säugling als Erzähler in einem Spielfilm agiert, wie das Ende der 80er Jahre in „Kuck mal, wer da spricht“ zu erleben war, dass ein Ungeborenes über das Leben außerhalb der Gebärmutter gar in schönstem Oxford-Englisch nachdenkt, wie in Ian Mc Evans zuletzt veröffentlichtem Roman „Nussschale“: Das gehört ins Reich der Fiktion.

Was nicht heißt, dass die Säuglinge nicht zuhören würden, wenn andere sprechen. Und das sogar peinlich genau. Schon mit drei Monaten achten sie auf die Silben in den Wörtern ihrer Muttersprache, und darauf, welche von ihnen betont werden. Mit einem halben Jahr richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die einzelnen Sprachlaute. Das haben Forscherinnen um die Entwicklungspsychologin Claudia Friedrich von der Universität Tübingen jetzt anhand der Hirnaktivitäten der Kleinen herausgefunden.

Für die Studie, deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Developmental Science“ erschienen sind, setzten die Forscherinnen Babys von deutschsprachigen Eltern bademützenartige EEG-Kappen auf, mit denen sie ihre Hirnströme messen konnten. Anschließend spielten sie den drei, sechs und neun Monate alten Säuglingen, die dabei gemütlich auf dem Schoß ihrer Mütter saßen, Silben und Wörter vor, die sie auch außerhalb des Labors schon häufig gehört hatten. Zu den 32 verwendeten Wörtern gehörten natürlich „Mama“, „Papa“, „Baby“, „Schnuller“. Zunächst bekamen die jungen Versuchsteilnehmer nur eine Silbe vorgespielt, später Wörter mit zwei gleichen oder zwei unterschiedlichen Silben, und das in unterschiedlicher Betonung.

Bereits mit drei Monaten werden Lautfolgen zerlegt

Um sie bei Laune zu halten, bekamen die jungen Probanden während der Untersuchung auf dem Monitor einen kleinen (Stumm-)Film vorgespielt. Trotzdem war, wie immer in der Forschung mit dieser Altersgruppe, die Gefahr groß, dass die Babys während der Untersuchung zu unruhig wurden oder dass sie schlicht einschliefen, so dass pro Altersgruppe nur Daten von 30 der mehr als 50 Teilnehmer ausgewertet werden konnten.

Das Ergebnis, das sich anhand der Hirnstromkurve erkennen lässt: Bereits mit drei Monaten zerlegen die Sprach-Neulinge die gehörten Lautfolgen. Dabei fasziniert sie offensichtlich zunächst die Erkenntnis, dass Wörter mehrere Silben haben, die unterschiedlich betont werden. „So finden sie heraus, dass in vielen deutschen Wörtern eine betonte Silbe einer unbetonten Silbe vorausgeht“, erklärt Claudia Friedrich.

Wenn sie das wissen und schon ein halbes Jahr lang Gelegenheit hatten, die Menschen in ihrer Umgebung sprechen zu hören, stoßen die Kinder auf ein neues linguistisches Gebiet vor. Nun achten sie auf die einzelnen bedeutungstragenden Laute der Sprache. Die Silbenbetonung interessiert sie in dieser Phase – so lässt sich aus dem EEG schließen – nicht mehr besonders. Zumindest vorerst, denn später ändert sich das wieder.

Ein Wörterbuch der Muttersprache wird angelegt

Möglicherweise ziehen die Sprach-Neulinge ihre Aufmerksamkeit einfach zeitweise von der Betonung ab, um sich umso konzentrierter den Phonem-Folgen widmen zu können. „Dadurch erkennen sie, wie sich die Wörter im Detail unterscheiden, sie beginnen, ein Wörterbuch der Muttersprache anzulegen“, kommentiert die Entwicklungspsychologin. Erst als ihre Probanden schon viele Wörter vom Hören kannten, nämlich mit ungefähr neun Monaten, begannen sie, beide Ebenen, die Betonungen und die Sprachlaute, zu verbinden.

Tatsächlich beginnen Menschen mit dem aufmerksamen Zuhören schon vor der Geburt. Was von der Außenwelt zu dem Ungeborenen in den Uterus gelangt, sind allerdings weniger die Lautfolgen als die Betonungen. Wie Forscherinnen um Angela Friederici vom Max Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zusammen mit Kollegen aus Frankreich 2009 in der Zeitschrift „Current Biology“ berichten konnten, wenden die Säuglinge ihr Grundwissen schon gleich nach der Geburt beim ersten Schreien an. Die kleinen Franzosen krähen dabei, wie akribische Messungen zeigten, eine „Melodie“ mit ansteigender Tonhöhe, deutsche Babys senken zum Ende den Ton ab.

Wie die Studie aus Tübingen nun zeigt, machen die Säuglinge sich nach dem ersten Schrei sofort weiter an die Arbeit, und das Schritt für Schritt. Sie verfeinern methodisch ihre Kenntnisse zu den charakteristischen Betonungen ihrer Muttersprache, um sich danach den Wortbedeutungen anzunähern.

Inzwischen interessieren sich Forscher auch vermehrt dafür, wie sich das Aufwachsen in zwei Sprachen auf diese Entwicklung auswirkt. Durchaus positiv, meinen Entwicklungspsychologen von der Pariser Sorbonne. Sie haben dabei vor allem kleine Franzosen im Blick, in deren Sprache Wörter regelhaft mit einer betonten Silbe enden. Im „Journal of Experimental Child Psychology“ berichteten sie vor zwei Jahren, dass Kinder, die neben französisch noch eine weitere Sprache lernen, in der unterschiedliche Betonungen bedeutsam sind, schon mit zehn Monaten mehr auf diesen worteigenen Rhythmus achten. Das könnte ihnen später, beim Erlernen weiterer Sprachen, zugutekommen.

Doch in welcher Sprache auch immer: Wenig später beglücken die Kinder ihre Eltern meist schon mit ihrem ersten Wort, oft mit einem ganz verständlichen „Mama“ oder „Papa“. Dass sie erst einmal so lange zugehört haben, zahlt sich nun auch für ihre Umgebung aus.

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