zum Hauptinhalt
Der künstliche Tastsinn, den Gordon Cheng, der heute auf dem Hauptstadtkongress für Medizin und Gesundheit in Berlin über kognitive Systeme spricht, für Roboter entwickelt hat, soll die Interaktion von Mensch und Maschine verbessern.

© Astrid Eckert / TU München

Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit: Mehr Gefühl für Roboter

Maschinen brauchen mehr Sinne, um dem Menschen ähnlicher zu werden, sagt Forscher Gordon Cheng.

Herr Professor Cheng, auf dem morgen beginnenden Berliner Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit stellen Sie Robotersysteme vor, die künftig Querschnittsgelähmten das Laufen ermöglichen sollen. Was ist nötig, damit ein solches „Exoskelett“ in zehn Jahren auch Kassenpatienten hilft?

In den nächsten zehn Jahren wollen wir die Exoskelette sehr viel bezahlbarer, leichter und praktischer in der Anwendung machen. Dann sollten wir in der Lage sein, am Rückgrat verletzte Menschen beim Laufen zu unterstützen - was eine sehr schwierige Aufgabe ist. Aber wenn ich mit den Betroffenen rede, dann hört man sehr oft, dass schon einfachere, auf den Oberkörper beschränkte Bewegungen, wie das Greifen nach einer Tasse Kaffee, für die Patienten eine sehr große Bedeutung haben, um wieder am Leben teilzunehmen. So etwas zu entwickeln, daran bin ich zurzeit sehr interessiert.

Wie wird so ein Exoskelett aussehen? Wird es viele Maschinen für verschiedene Aufgaben geben oder eine, die alles kann?

Wir werden uns zunächst auf modulare Systeme konzentrieren. Wer Hilfe für den Unterkörper braucht, bekommt einen Roboter, der darauf spezialisiert ist. Wenn nur der Arm oder die Hand unterstützt werden muss, wird es Systeme dafür geben. Aber wenn man all diese Module erst hat, dann kann man sie auch zusammenführen und den ganzen Körper unterstützen. Die Technologien, die derzeit entwickelt werden, sind erstaunlich. Es zeichnet sich ab, dass die Exoskelette künftig nicht mehr aus einem Haufen Metall bestehen werden, sondern aus neuen, aktiv beweglichen Materialien. Man kann sich das vorstellen wie ein T-Shirt, das als Exoskelett dient. Das wird nicht in zehn Jahren möglich sein, aber das sollte die Richtung sein, in die sich die Forschung bewegen wird.

Der Kern der Exoskelette ist die Schnittstelle zwischen dem Nervensystem des Patienten und dem Roboter. Wie gut ist diese Interaktion verstanden und kontrollierbar?

Das ist immer noch eine sehr komplexe Angelegenheit, weil wir das Gehirn noch nicht ausreichend verstehen und alle Signale interpretieren können. Der Patient lernt zwar, mit dem Roboter zu kommunizieren und ihn so zu steuern, aber die Signale sind of mit Impulsen von Emotionen und anderen Ablenkungen vermischt. Daher benutzen wir in der Programmierung der Roboter ein bestimmtes Paradigma: Wenn der Computer des Roboters verständliche Nervenimpulse vom Gehirn bekommt, dann nutzen wir diese Signale, um den Roboter zu steuern. Ist das nicht der Fall, dann übernimmt der Roboter und führt die Aufgabe aus. Das dürfte der Weg in die Zukunft sein.

Der Roboter stellt sich dabei immer auf einen bestimmten Patienten ein, was wochen- oder monatelanges Training erfordert. Lässt sich das beschleunigen?

Mit der Zeit wird das sicher schneller ablaufen. Viele Kollegen entwickeln Technologien, um diesen Lernvorgang, die Anpassung des Roboters an den Menschen und das Training des Patienten auf den Roboter, zu beschleunigen. Es ist ein wechselseitiger Anpassungprozess, beide müssen lernen zu koexistieren. Und das geht sehr viel schneller, als ich gedacht hätte. Anfangs hatten wir dafür viel mehr Zeit eingeplant.

So einfach wie beim Aufsetzen einer Brille wird es mit einem Exoskelett aber nie sein?

Auch die Bedienung eines Rollstuhls muss man erst lernen. Und wenn man sich eine Brille aufsetzt, stellt sich das Gehirn im Laufe von Tagen und Wochen auf die neue Sehhilfe ein, bis sie ein Teil des Körpers wird. Im Grunde passiert hier nicht viel mehr als das, wir benutzen den gleichen Anpassungsprozess. Aber natürlich verstehen wir diese Vorgänge noch nicht gut genug, das gebe ich gern zu. Da muss noch viel geforscht werde.

Lernen Sie beim Entwickeln und Optimieren der Roboter mehr über die Maschinen oder mehr über das Gehirn?

Wir lernen sowohl, wie wir bessere Roboter bauen können, als auch wie anpassungsfähig das Gehirn ist. Indem wir die beiden Systeme koexistieren lassen, lernen wir, wie das Gehirn die Adaption zustande bringt und warum es bestimmte Signale des Roboters zurückweist. Und das können wir wiederum nutzen, um die Roboter besser anzupassen.

Entwickeln Sie daher auch besonders sensible Roboter, die beispielsweise Berührungen wahrnehmen können?

Eine der Schlüsseltechnologien für die Robotertechnik, die lange Zeit gefehlt hat, ist der Berührungssinn. Als ich nach München kam, war das das erste, was ich entwickeln wollte: Eine Roboterhaut. Inzwischen können wir sie nutzen, um Roboter zu optimieren und Patienten besser zu helfen.

Ein Beispiel?

Viele gelähmte Patienten können es nicht mehr fühlen, wann ihr Fuß den Boden berührt. So etwas wie einen Berühungssinn in den Fuß eines Roboters einzubauen, der in dem Moment ein Signal an den Patienten weiterleitet, wenn der Boden berührt wird, das erzeugt eine viel realistischere Vorstellung vom Laufen und ein großes Sicherheitsgefühl. Das haben mir viele Patienten bestätigt, nicht nur querschnittsgelähmte. Viele versuchen, das fehlende Gefühl mit den Augen zu ersetzen, indem sie hinsehen, wann der Fuß den Boden berührt. Aber das ist überhaupt nicht vergleichbar mit dem Spüren einer Berührung.

In die Kontrolle der Bewegung gehen unzählige solcher Sinneswahrnehmungen ein. Wird der Roboter sie überhaupt je alle nachahmen können?

Wir können schon recht viel. Aber wir müssen noch vieles von dem, was wir nachbauen können, verifizieren. Den Roboter zu bauen, ist relativ einfach. Schwieriger ist es zu verstehen, wie der Körper des Menschen auf den Roboter reagiert und wie er sich anpasst.

In welchen anderen Bereiche in der Medizin können Roboter nützlich sein?

Ich möchte Menschen mit Robotern direkt helfen, das ist der Fokus meiner Arbeit. Aber es gibt viele weitere Bereiche, in denen Roboter auch indirekt hilfreich sein können. Beispielsweise, indem sie in Labors chemische Tests beschleunigen, die für die Suche nach neuen Medikamenten nötig sind. Ein anderes, sehr interessantes Feld ist das Überwachen, das Monitoring von Patienten. Auf vielen Stationen müssen ein oder zwei Krankenpfleger viele Patienten betreuen, mit Robotertechnologien könnten die medizinischen Parameter der Patienten detaillierter aufgezeichnet werden und so den Pflegern und Ärzten helfen.

Wie ist es mit roboterassistierter Chirurgie? Einige Krankenhäuser nutzen solche Systeme, andere halten davon nichts, weil die Vorteile für die Patienten für die Geräte nicht hinreichend belegt sind.

Wir sind in einer Übergangsphase. Die Akzeptanz dieser Technologie ist Sache der Ärzte, der Chirurgen, zu prüfen und zu entscheiden, ob diese Technik nützlich für sie ist oder nicht. Das ist wie bei jeder anderen Technologie. Was die Studienlage betrifft: Das ist eine wichtige Frage, aber ich bin nicht der Richtige, um sie zu beantworten. Ich verstehe mich auf Roboter und die Technologie dahinter.

Der Titel Ihres Vortrags auf dem Berliner Hauptstadtkongress erwähnt die Ängste, die mit der Robotertechnologie einhergehen – Angst vor Fremdbestimmung, vor Arbeitsplatzverlust, vor Unbeherrschbarkeit...

Der Titel stammte nicht von mir, aber diese Ängste werden immer wieder geäußert. Was ich aus der Industrie zu hören bekomme, ist allerdings das Gegenteil. Ich werde nach Robotern gefragt, weil Arbeitskräfte fehlen. Im Baugewebe beispielsweise. Sogar in China sei es schwierig, qualifizierte Arbeiter zu finden. Die Ängste hat es auch gegeben, als die ersten Autos fuhren. Heute will jeder eins. Das gleiche passierte mit dem Telefon, trotzdem hat heute jeder ein Smartphone. Es ist ein sozialer Effekt und wir müssen aufklären – sowohl über die positiven als auch die negativen Seiten dieser Technik.

Sie waren schon in Japan ein erfolgreicher Forscher. Was gefällt ihnen am deutschen Forschungssystem?

Ich bin gern in Europa und Deutschland. Der entscheidende Punkt ist, dass ich hier nicht gezwungen bin, militärisch motiviert zu forschen. In den USA kommt ein Großteil der Forschungsgelder vom Militär. Und ich möchte keine militärische Forschung machen. Außerdem ist das deutsche Ausbildungssystem wundervoll, eines der besten der Welt. Schon bevor ich nach Deutschland gekommen bin, kamen die besten Studenten in meinem Labor in Japan aus Deutschland. Was in Deutschland fehlte, war ein Studiengang und Forschungsprogramm zum Thema „Neuroengineering“, das es jetzt in München gibt. Sowohl der Fachbereich Medizin als auch die Neuro- und Ingenieurswissenschaften tragen dazu bei.

Könnte Berlin Ihre nächste Station sein?

Ich mag Berlin, den Mix der Kulturen, der sehr wichtig ist, denn nur so lernt man, wie Menschen denken und wie sie sich anpassen. Aber bislang hat man mir noch keine Gelegenheit gegeben, über Berlin nachzudenken.

Zur Startseite