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Wissen: Graue Gefahr für die roten Eichhörnchen

Eingeschleppte Grauhörnchen haben in Großbritannien bereits die Herrschaft übernommen. Nun ist das Festland bedroht.

Die Konkurrenz schläft nicht, jedenfalls nicht tagelang, auch nicht in der kalten Jahreszeit. Anders als das fuchsrote Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) hält das Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) keine Winterruhe und sucht auch dann nach Knospen und Samen, am liebsten solchen von Buchen, Lärchen, Fichten und Birken. Der Fleiß lohnt sich. In Großbritannien hat das Grauhörnchen seinen nur etwa halb so schweren Cousin weitgehend verdrängt. Der aus Nordamerika eingeschleppte Nager wird dort abschätzig Baumratte genannt und gilt seit 1981 offiziell als Schädling. Für getötete Grauhörnchen bekommen Landeigner mancherorts Prämien.

Schätzungen zufolge soll es in England, Wales und Nordirland bereits 2,5 Millionen Exemplare geben, aber nur noch rund 140 000 Eichhörnchen. Auf dessen Kosten vermehrt sich das Grauhörnchen derart gut, dass die Internationale Naturschutzunion (IUCN) es inzwischen auf der Liste der 100 weltweit schädlichsten unter den eingeschleppten oder eingewanderten Tierarten führt. „Sie verdrängen das Eichhörnchen in allen eroberten Gebieten“, sagt der Biologe Piero Genovesi, Vorsitzender der IUCN-Expertengruppe für Invasive Tierarten.

Der graue Cousin macht dem Eichhörnchen die Nahrung streitig, ist dabei weniger wählerisch und findet im Winter geschickter eigene oder von Eichhörnchen versteckte Nüsse und Samen. Obendrein pflanzt das Grauhörnchen sich erfolgreicher fort und übersteht harsche Winter wegen seines größeren Fettvorrats besser. Schlimmer noch: Es überträgt den für seinen rötlichen Verwandten tödlichen Erreger der sogenannten Eichhörnchen-Pocken, ist aber selber gegen den Parapox-Virus immun. Damit infizierte Eichhörnchen bekommen Hautblutungen und nehmen schnell ab. Nach spätestens zwei Wochen ist ihr Immunsystem so geschwächt, dass sie verenden.

Zwar ist das Grauhörnchen in Mittel- und Nordeuropa bisher nicht in freier Wildbahn gesichtet worden. Doch in Norditalien hat es sich festgesetzt, nachdem ein italienischer Diplomat 1948 zwei aus den USA eingeführte Paare im Park seiner Villa nahe Turin aussetzte. Inzwischen sind viele Vorkommen etabliert, so etwa im Piemont und am Tessin-Fluss bei Mailand. „Es breitet sich derzeit in der Lombardei aus, hat die Schweiz aber noch nicht erreicht“, sagt Sandro Bertolino von der Universität Turin. Bis zum Grenzübertritt wird es vermutlich nicht mehr lange dauern, denn unter günstigen Bedingungen erweitern die Tiere ihren Lebensraum jährlich um bis zu 250 Quadratkilometer.

Für das Eichhörnchen würde der weitere Vorstoß des ökologisch begünstigten Wettbewerbers schlimmstenfalls das Ende bedeuten – zumindest ein stets gefährdetes Nischendasein. Ein neues Projekt der Europäischen Union namens EC-SQUARE zur Bekämpfung des Grauhörnchens soll die Gefahr wenigstens eindämmen. Dazu werden in Fallen gefangene Tiere vor Ort mit Kohlendioxid-Gas möglichst stressfrei eingeschläfert.

Sandro Bertolino weiß nur zu gut, wie umstritten solche Maßnahmen sind. „Wir handeln, indem wir aus der Wildbahn entfernte Tiere töten, weil es zu viele sind, um sie in Gefangenschaft zu halten“, sagt der Zoologe. „Doch wenn wir nichts unternehmen, werden wir dabei zusehen müssen, wie unser Eichhörnchen verschwindet“ – und das wahrscheinlich in ganz Eurasien, wenn die Alpen erst einmal überquert sind.Walter Schmidt

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