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Staatsbesuch. Im Mai 1965 besucht die Queen Berlin. Vor dem Rathaus Schöneberg trägt sie sich – im Beisein des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt – ins Goldene Buch der Stadt ein.

© dpa

Geschichte der Queen's Lecture: 1968 wurde die Veranstaltung von Studenten verhindert

Die Queen’s Lecture ist aus dem akademischen Kalender Berlins nicht mehr wegzudenken – ein Rückblick.

Gerade sechs Stunden lang dauerte der Besuch von Königin Elizabeth II. in Berlin im Mai 1965. Bei dieser kurzen Visite hinterließ sie nicht nur Spuren in den Herzen der Menschen, sondern auch in der Wissenschaftsszene Berlins. An der Seite Willy Brandts, damals Regierender Bürgermeister, und Prinz Philips fuhr Königin Elizabeth II. im offenen Wagen durch Berlin, nahm auf dem Maifeld eine Ehrenparade ab, winkte vom Balkon des Schöneberger Rathauses den aufgeregten Bürgern zu – und machte ihnen zum Abschied ein außerordentliches Geschenk: Fortan sollte jährlich ein renommierter Wissenschaftler aus Großbritannien die Bande der Wissenschaft zwischen beiden Ländern fester knüpfen und eine öffentliche Vorlesung halten. Es war die Geburtsstunde der „Queen’s Lecture“.

Studenten verhindern die Lecture

Bereits ein Jahr später reiste der Physiker Dennys Wilkinson aus Oxford an, um am 26. Mai 1966 als erster „Lecturer“ in der West-Berliner Kongresshalle über „Europäische Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet“ zu sprechen. In den folgenden zehn Jahren war die Kongresshalle, neben der Freien Universität, der Technischen Universität sowie der Akademie der Künste immer wieder Ort des Geschehens.

Für einen Skandal sorgten 1968 die TU-Studenten. Es war das Jahr, in dem die studentischen Unruhen ihren Höhepunkt erreichten. Für Ende Mai war Mortimer Wheeler, Geschäftsführer der Britischen Akademie und Ordentliches Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts, eingeladen, den Festvortrag „Die Zukunft der Vergangenheit. Ein Archäologe blickt vorwärts“ im Audimax der TU Berlin zu halten. Der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz hatte dazu die Spitzen der Berliner Gesellschaft aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft eingeladen. Anwesend war auch der damalige Britische Botschafter Roger Jackling. Doch es kam anders.

Der TU-Rektor tritt zurück

Die Studierenden stürmten das Audimax. Sie wollten eine Diskussion über Notstandsgesetze durchsetzen und verhinderten so die Lecture. Peinlich berührt übernahmen der damalige TU-Rektor Kurt Weichselberger und der Prorektor Friedrich-Wilhelm Gundlach die Verantwortung und traten zurück. Im Jahr darauf hielt Kenneth Clark, Kunsthistoriker und Direktor der National Gallery in London, seinen Vortrag „Zeichen – Symbol – symbolisches Bild“ in der Berliner Akademie der Künste wieder ungestört.

Bis 1975 wurde noch über „Die Zukunft der Universitätsidee in Großbritannien und Deutschland“ gesprochen, über Wirtschaftsfragen der Entwicklungsländer, über das Verständnis des Menschen vom Universum, über die königlichen Gemäldesammler Europas, über Wissenschaft und Europa, über den Sinn des Theaters sowie über Freiheit und Grenzen des Rundfunkwesens. Dann brachen die Vorträge vorübergehend ab.

Seit 1997 findet die Veranstaltung regelmäßig an der TU Berlin statt

Dass die Queen’s Lectures schließlich endgültig an die TU Berlin verlegt wurden, wo sie seit 1997 regelmäßig stattfinden, ist auch ihrer „britischen“ Vergangenheit zu verdanken. In der Zeit nationalsozialistischen Terrors hatte sich die TH Berlin als Motor der Kriegsmaschinerie missbrauchen lassen. Die Briten legten den Grundstein dafür, dass die TU Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg den stark beschädigten Ruf ihrer Vorgängereinrichtung abwerfen und sich zu einem bedeutenden Standbein der demokratischen Gesellschaft entwickeln konnte. 1945/46 weigerten sich die Sowjets, die Humboldt-Universität unter interalliierte Aufsicht zu stellen. Sie hatten sich daran gemacht, die Universität zu einer Hochburg kommunistischer Prägung umzubauen. Um ihren bildungspolitischen Einfluss nicht zu verlieren, wandten die Briten nun ihr Augenmerk den von enormen Kriegsschäden gezeichneten TH-Gebäuden zu, die im britischen Militärsektor lagen.

Der unrühmlichen Rolle der TH im Nationalsozialismus eingedenk, kam eine Wiedereröffnung aber nicht infrage. So wurde die Technische Hochschule am 9. April 1946 vom britischen Stadtkommandanten Generalmajor Eric Nares als „Technische Universität Berlin“ offiziell neu gegründet. „Die alte Technische Hochschule ist tot, und an ihrer Stelle entsteht eine neue Institution mit neuen Zielen“, verkündete er in seiner Eröffnungsansprache. Um zukünftigem militärischem Missbrauch vorzubeugen, sollten geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Fächer den Kanon der technischen Fächer ergänzen. Hier sollten technisch und naturwissenschaftlich orientierte Spezialisten mit Verantwortung für die Entwicklung einer humanistischen und demokratischen Gesellschaft heranbildet werden.

Jährlich bis zu 2000 Gäste

Die Vielfältigkeit der jährlichen Queen’s Lectures ist heute ein Spiegel dieses Anspruchs. Britische Chemiker, Biologen und Mediziner, Informatiker, Wirtschaftsfachleute und Kunsthistoriker, Astronomen, Theaterwissenschaftler, Klimaforscher und Luftfahrtexperten waren seitdem Gäste an der TU Berlin und haben jährlich bis zu 2000 interessierte Bürgerinnen und Bürger angezogen.

Dieser Text ist einer Beilage der TU Berlin entnommen, die in Kooperation mit dem Tagesspiegel entstand.

Patricia Pätzold

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