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Apokalyptisch. Die Totengräber kamen kaum nach, die Opfer zu bestatten. Gleichzeitig waren sie besonders gefährdet, sich mit der Beulenpest anzustecken. Josse Lieferinxe malte im 15. Jahrhundert eine der wenigen exakten Darstellungen.

© The Walters Art Museum

Geschichte der Pest: Der Schwarze Tod kam früher

Neue Funde in altem Erbgut beweisen: Die Pest begleitet die Menschheit schon seit mindestens 5800 Jahren.

Sie wussten nicht, was über sie hereingebrochen war. Noch nie habe es ein solches Sterben gegeben, notieren die Ärzte. Während die Leichen eilig in Massengräbern verscharrt werden, glauben die Menschen, das Ende der Welt sei nahe. Die einen ziehen sich selbst kasteiend durch die Lande. Die anderen leben, als gäbe es kein Morgen. Die Ordnung, wie sie zuvor galt, bricht auseinander. Das Jahr 1347 steht fortan vor allem für eines: Die Pest, der Schwarze Tod kommt über die Mittelmeerhäfen nach Europa und entfaltet dort eine ungeheure Wucht. Am Ende ist in manchen Gegenden jeder Zweite oder Dritte tot.

Die Pest-Pandemie gilt als eine der größten Katastrophen. Aber sie ist weder die erste noch die letzte, die durch ein winziges Bakterium namens Yersinia pestis verursacht wurde. Zwei weitere Seuchenzüge sind sicher: die Justitianische Pest, die in den Jahren 541 bis 544 Konstantinopel in Angst und Schrecken versetzte und das Byzantinische Reich schwächte. Und die Epidemie, die um 1850 China heimsuchte. Schiffe brachten mit dem Erreger infizierte Nagetiere damals unter anderem nach Amerika. Bis heute stecken sich im Westen der USA Menschen an. 15 waren es allein in diesem Jahr.

Bereits in der Bronzezeit war die Pest verbreitet

Die Begegnungen von Yersinia pestis und Mensch reichen nicht nur bis in die Gegenwart. Sie haben eine mindestens 5800-jährige Geschichte. Das schreiben Forscher um Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen im Fachblatt „Cell“. Bereits in der Bronzezeit sei die Seuche in Eurasien weit verbreitet gewesen – vom heutigen Polen bis weit nach Sibirien. Möglicherweise habe sie damals eine große Migration ausgelöst.

Willerslev ist Paläogenetiker, uralte Zähne sind für ihn Zeitkapseln. Unter dem Schutz des harten Zahnschmelzes bleiben über Jahrtausende in der Pulpa Erbgutfragmente erhalten, die er entschlüsseln und zusammensetzen kann. Sein Team bohrte die Zähne von 101 Menschen an, die vor 2800 bis 5000 Jahren lebten. 90 Prozent der Erbinformation DNS, die sie dort fanden, war für sie zunächst „Müll“. Erbgut irgendwelcher Bakterien, die vermutlich nach dem Tod die Knochen zersetzten.

Die menschliche DNS jedoch offenbarte etwas Ungewöhnliches. Vor 4500 Jahren ähnelte das Erbgut der Europäer plötzlich dem der Jamnaja, Nomaden aus Westrussland. Das berichteten sie im Juni im Fachblatt „Nature“. Technologien und kulturelle Traditionen, von Waffen bis zu Bestattungsritualen, wurden in der Bronzezeit offenbar nicht einfach als Idee weitergegeben. Es gab große Wanderungen, die in der Steppe zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer begannen.

Vielleicht steckt hinter mancher Völkerwanderung die Pest

Doch was trieb die Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen? Vielleicht liegt die Antwort irgendwo im vermeintlichen Erbgut-Müll, vermuteten die Forscher. Eine Seuche wie die Pest könnte zu solchen Verwerfungen führen, das hatte die Geschichte gezeigt. Allerdings gab es bisher keinen direkten Nachweis dafür, dass die Pest vor dem Übergang von der Antike zum Mittelalter Epidemien verursacht hatte. Der Vergleich historischer und moderner Pesterreger hatte lediglich den Schluss zugelassen, dass sich Yersinia pestis irgendwann vor 2600 bis 28 000 Jahren von dem harmloseren Bakterium Yersinia pseudotuberculosis abgespalten hatte. Ein riesiger Zeitraum.

Willerslev und seine Kollegen wurden dennoch fündig. Das Erbgut von Yersinia pestis war in den Zähnen von sieben der 101 Skelette enthalten. Gleichzeitig konnte das Team die Evolution des Bakteriums genauer nachzeichnen. Irgendwann vor 5800 Jahren ist es entstanden und hat bald den Menschen infiziert, schreiben sie im Fachblatt „Cell“. Die frühen Formen waren allerdings noch nicht über den Floh übertragbar. Erst seit etwa 1000 vor Christus gibt es im Pesterbgut ein Gen namens „ymt“. Das zeigte der Zahn eines Armeniers aus der Eisenzeit. Das Gen schützt das Bakterium im Magen-Darm-Trakt des Flohs, sodass es sich dort massenhaft vermehren kann. Die Keime machen die Verdauung unmöglich. Der hungrige Floh beißt alles, was er finden kann, ob Nagetier oder Mensch. Über den Biss gelangt die Pest ins Lymphsystem des Opfers. Die Lymphknoten schwellen zu riesigen Beulen an (bubos) und die Keime bahnen sich ihren Weg durch den Körper. Blutgefäße verstopfen, Finger und Zehen werden schwarz. Der nächste Floh beißt zu und der Kreislauf der Beulenpest beginnt erneut.

In der späten Jungsteinzeit und in der Bronzezeit jedoch kann es nur die Lungenpest und die Blutvergiftung durch die Pest gegeben haben. Tödliche Formen, für die Veränderungen im Gen „pla“ sprechen. Es ermöglicht Yersinia pestis, aus der Lunge heraus ins Blut und in weitere Gewebe vorzudringen. Diese Pestformen werden durch Husten übertragen.

Vielleicht verbreiteten Tiere die Seuche, nicht Menschen

Die Medizinistorikerin Monica Green von der Universität von Arizona, die an der American Academy in Berlin ein Buch über Seuchen verfasst, macht dieses Detail skeptisch. „Wir haben Pest-Pandemien bisher für ein Phänomen gehalten, das an Städte geknüpft ist“, sagt sie. Hier waren die Gegebenheiten für die Beulenpest lange Zeit ideal. Mensch, Nagetier und Floh kamen ständig miteinander in Kontakt. Doch in der Bronzezeit gab es keine Städte. Und die Lungenpest sei so schnell so tödlich, dass man sich zwar vorstellen könne, wie sie ein Dorf auslöscht. Damit wäre der Ausbruch aber erledigt. Die geschwächten Menschen könnten keine langen Strecken zurücklegen. „Vielleicht sind eher infizierte Tiere gewandert und haben Ausbrüche verursacht“, vermutet Green.

Für Green bietet Paläogenetik ein Fenster in Zeiten und Regionen der Welt, die nichts Schriftliches hinterließen. Und sie macht vorhandene Quellen besser interpretierbar. „Wir wissen heute, dass der Schwarze Tod tatsächlich die Pest war“, sagt sie. „Das komplette Genom wurde aus den Zähnen von Pestopfern isoliert, die 1348 auf dem Londoner Friedhof East Smithfield in einem Massengrab bestattet wurden.“ Wer das ernst nehme, könne einen langen Streit unter Historikern ad acta legen.

Doch viele ihrer Kollegen zögern. Man dürfe sich nicht anmaßen, unsere Vorstellung von der Welt den Menschen im Mittelalter aufzuzwingen. „Das ist völlig richtig“, sagt Green. „Aber wir können die Fakten, die die Paläogenetik und die moderne Medizin uns liefern, trotzdem nutzen und daraus Fragen ableiten, auf die wir nie gekommen wären.“ Sie möchte besser verstehen, warum der Schwarze Tod derart tödlich war, wie er sich verbreitete und wie die Menschen auf das reagierten, was mit ihnen geschah – Fragen, die bis heute von Bedeutung sind. „Was die großen Seuchen angeht, gibt es keinen Schleier, der uns von der Geschichte trennt“, sagt sie.

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