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Abwägung. Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Doch dürfen sie seine Gesundheit schützen, indem Gene geändert werden?

© IMAGO

Genchirurgie beim Menschen: Der Crispr-Geist

Schwere Erbleiden verhindern, Schutz vor HIV: Der Ethikrat beriet erstmals, ob und wann das Erbgut von Embryonen verändert werden darf.

Das Wort von der Menschenzüchtung habe in Deutschland schon mehrfach „gestunken“, so eröffnete der Ethikratsvorsitzende Peter Dabrock die Jahrestagung des Gremiums. Nun rücke ein genchirurgisches Werkzeug namens Crispr den bisher abstrakt diskutierten Eingriff ins menschliche Erbgut in die Nähe des Machbaren. Es werde die Welt prägen. Würde ein sehr früher Embryo so behandelt, wären die Änderungen in seinen Keimzellen – und damit für alle Generationen danach – festgeschrieben. „Ein Gespenst geht um“, sagte Dabrock.

Wer nach dieser Einführung erwartete, dass die Referenten die Keimbahntherapie für Deutschland kategorisch ablehnen würden, wurde überrascht. Zwar sei die Methode längst nicht präzise genug, ein Eingriff in die Keimbahn damit derzeit unverantwortlich. Das hätten die umstrittenen Versuche in China gezeigt. Aber was ist, wenn sie in Zukunft als „hinreichend sicher“ gilt? Dann sei sie ethisch geboten, meinte der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel von der Universität Hamburg. „Hände weg von der Keimbahn!“ fand selbst der evangelische Bischof Martin Hein zu apodiktisch. Schwere Krankheiten auszuschließen, sei nicht per se abzulehnen. Allerdings sei der Schritt „ein Menschheitsprojekt“, der zuvor nötige Diskurs müsse alle einbeziehen.

Medizintouristen bleiben straffrei

Die Verfassung gebe keine klare Lösung vor, sagte Jochen Taupitz, Experte für Medizinrecht an der Universität Mannheim. Es liege in der Verantwortung des Parlaments, dort beschriebene Prinzipien abzuwägen und in Beziehung zu setzen: etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Gebot, dass der Staat keine Therapie verbieten sollte, die Individuen ein Leben ohne schwere Krankheit ermöglichen; die Menschenwürde.

Das deutsche Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 verbiete zwar den Eingriff in die Keimbahn. Doch der veraltete Text habe Lücken. „Es ist ein Strafgesetz“, sagte Taupitz. „Es darf nicht über seinen Wortlaut hinaus ausgelegt werden.“ So ist es inzwischen möglich, Hautzellen zu Stammzellen (iPS-Zellen) umzuprogrammieren. Sie erfasst das Gesetz nicht. In Zukunft könnte man theoretisch deren Erbgut mit Crispr verändern, sie dann in Ei- und Samenzelle verwandeln und damit ein Baby zeugen. Ist die Veränderung der Keimbahn eine unerwünschte Nebenwirkung, ist sie ohnehin erlaubt – egal ob es nun um die Gentherapie eines Erwachsenen, eine Chemo oder nur ums Röntgen geht. Medizintouristen, die Kliniken im Ausland aufsuchen, bleiben ebenfalls straffrei.

"Alle Heilung ist künstlich"

Zudem stufe das Embryonenschutzgesetz den Eingriff in die Keimbahn nur wegen der Gefahren als „unverantwortbare Menschenversuche“ ein. Ist eine Methode jedoch hinreichend sicher, fällt die Begründung weg. „Die Frage ist dann: Welches Risiko ist tolerierbar?“, sagte Taupitz. „Was ist zum Beispiel mit Schäden, die sich Generationen später zeigen?“

Während sich die Forschung in atemberaubendem Tempo bewege, oszilliere die Bewertung zwischen euphorischen Heilsversprechen und einer apokalyptischen Sicht auf unabwendbares Unheil, sagte Wolfgang Huber, ehemals Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche und nun Professor an der Stellenbosch-Universität in Südafrika. „Dieses Ganz-oder-gar-nicht behindert die kritische Beurteilung. Von Menschen erdachte Innovationen sind ein Feld verantwortlicher Gestaltung.“ Das schließe ein, Möglichkeiten auf Zeit oder auf Dauer nicht zu nutzen. Das Fürsorgeprinzip der Medizinethik gebiete Empathie mit den Leidenden. Das Prinzip der Schadensvermeidung dagegen sei komplizierter, wenn die Effekte alle Nachkommen beträfen. Je undurchsichtiger die Folgen seien, desto eher sei Vorsicht angebracht, nach den Worten von Hans Jonas: „Handle so, dass die Folgen Deines Handelns vereinbar sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Er halte daher ein internationales Verbot – ähnlich dem Klonieren des Menschen – für moralisch plausibel. Der Vorwurf, die Keimbahntherapie sei ein künstlicher Eingriff, werde dagegen zu Recht zurückgewiesen: „Alle Heilung ist künstlich.“

Die Grenze zwischen Therapie und Verbesserung verschwimmt

Zu der Sicht des Menschen als Person gehöre das Postulat der Autonomie. Der Mensch sollte sich nicht von Werkzeugen beherrschen lassen. „Wir befinden uns in der paradoxen Situation, dass wir die Grenzen zwischen Therapie und Verbesserung gerade dann exakt ziehen müssen, wenn sie verschwimmen.“ Schon die Versuche in China zeigten das, sagte die Politikwissenschaftlerin Ingrid Schneider von der Universität Hamburg. „Wenn man das Erbgut von Embryonen so verändert, dass sie sich später nicht mit HIV anstecken können – ist das Heilung, Vorbeugung oder Verbesserung?“

Technische Entwicklung sei nie unaufhaltsam. Zwar beschleunige sich im Moment der Prozess durch Machbarkeit, Wettbewerb, Patentstreitigkeiten und mangelnde professionelle Selbstbeschränkung. Aber er werde auch durch nicht abschätzbare Risiken und die geringe Effektivität gehemmt. Zudem fehle die Indikation. Nach der Therapie müsse man immer noch mit Präimplantationsdiagnostik (PID) schauen, ob es funktioniert habe. Dann könne man auch gleich per PID einen gesunden Embryo auswählen.

Präimplantationsdiagnostik oder Keimbahntherapie?

Ob nun PID oder Keimbahntherapie ethisch akzeptabler sei, war unter den Referenten umstritten. So argumentierte der Philosoph Dieter Birnbacher von der Universität Düsseldorf, PID betreffe nur eine Generation und sei deshalb vorzuziehen. „So weit geht das Recht der Embryonen auf Erhaltung nicht.“ Der katholische Moraltheoretiker Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg dagegen entgegnete, dass bei der Keimbahntherapie das Individuum bleibt und nicht aussortiert wird. Daher sei sie ethisch weniger problematisch. Er war mit dieser Ansicht nicht allein. So sagte auch der Jurist Merkel, es sei „normativ schwer zu sehen, warum die Selektion und Verwerfung vorhandener Embryonen moralisch weniger bedenklich sein sollte als deren genetische Reparatur“. Im Übrigen gebe es Fälle, wo gar kein Embryo gesund sei.

Dass zwei Elternteile an der gleichen Stelle im Genom eine dominant vererbte Mutation haben, sei aber ausgesprochen selten, sagte Wolfram Henn, Humangenetiker an der Universität des Saarlandes. In seiner Karriere sei das nur ein einziges Mal vorgekommen – bei einem gehörlosen Paar. „Als ich ihnen verkündete, dass ihr Kind auf jeden Fall gehörlos sein wird, schrieben sie erleichtert auf einen Zettel: Dann ist ja gut.“

Die Tagung ist auf den Seiten des Ethikrats dokumentiert: http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/zugriff-auf-das-menschliche-erbgut

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