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Bei der Weiterbildung tut Berlin sich schwer.

© Martin Schutt/dpa

Gastbeitrag: Bei der Weiterbildung tut Berlin sich schwer

Der Berliner Senat will bei der Weiterbildung Bestehendes sichern und „Innovatives“ fördern. Das ist zu wenig, meint unser Gastautor.

Dass lebenslanges Lernen wichtig ist, wird parteiübergreifend in keiner Sonntagsrede bestritten. Wenn es um praktische und politische Konsequenzen geht, sieht das jedoch oft ganz anders aus. Auch herrscht zuweilen eine Ideologie, die Weiterbildung sollte allein über den Markt geregelt werden. Über das genaue Ausmaß an Marktversagen in der Weiterbildung lässt sich indes vortrefflich streiten.

Aktuell bewegt sich aber viel. In der Schweiz etwa ist zum 1. Januar 2017 ein Bundesgesetz für Weiterbildung in Kraft getreten. In der deutschen Politik wird der Vorschlag des Sozialwissenschaftlers Günther Schmid vom WZB für eine Arbeitsversicherung mit individuellem Anspruch auf Freistellungen für Weiterbildung diskutiert. Schon heute haben nahezu alle Bundesländer ein Gesetz zu Erwachsenen-/Weiterbildung.

Nur Berlin hat dem Trend lange Widerstand geleistet. Doch im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung ist die Rede davon, ein Berliner Weiterbildungsgesetz zu erlassen. Es soll den Bestand der staatlichen Einrichtungen in der außerschulischen Bildungsarbeit sowie der allgemeinen Weiterbildung und Erwachsenenbildung sichern – und außerdem innovative Projekte und Programme freier und staatlicher Träger fördern, heißt es. Die Volkshochschulen sollen durch ein gemeinsames Servicezentrum gestärkt werden, um unter anderem die Sprachintegration für Geflüchtete zu stemmen.

Diskutiert wird bei der Weiterbildung nur in kleinen Zirkeln

Ein überfälliger Impuls ist also gesetzt. Aber folgen den Verlautbarungen wirklich Taten? Die Stadtgesellschaft oder die Expertise von drei großen Hochschulen mit ihren in Deutschland führenden Weiterbildungsforschenden werden jedenfalls bislang nicht von der Landespolitik eingebunden. Diskutiert wird nur in kleinen Zirkeln. Die Angst, etwas zu verlieren, scheint größer als der Mut, etwas Neues zu gestalten.

Der Autor: Bernd Käpplinger, Professor für Weiterbildung.
Der Autor: Bernd Käpplinger, Professor für Weiterbildung.

© Anja Schaal/Promo

Der im Koalitionsvertrag formulierte Anspruch, bestehende Strukturen zu sichern und ein neues Servicezentrum zu schaffen, ist nicht ausreichend ambitioniert für eine Metropole wie Berlin. Dabei stehen in der Weiterbildung wichtige Fragen und Themen auf der Agenda – und Berlin hätte jetzt die Chance, sie entschlossen anzugehen.

Wie kann die Beschäftigungssituation vieler Lehrkräfte verbessert werden? Der Nationale Bildungsbericht 2016 weist 700 000 Beschäftigte im Weiterbildungssektor aus, was ihn zu einem der größten Bildungsbereiche macht. 71 Prozent der Beschäftigten verdienen jedoch deutlich weniger als 2750 Euro brutto, während der Durchschnittsverdienst in der Bevölkerung bei 3527 Euro liegt. Lehrende unterrichten nicht nur das Prekariat, sondern zählen oft selbst dazu. Weiterbildung gehörte zu den Branchen, wo das Mindestlohngesetz besonders relevant ist. Durch die Presse ging in den letzten Monaten die brisante Situation an den Goethe-Instituten, wo eine Prüfung der Rentenversicherung sich aktuell mit nicht gezahlten Sozialversicherungsabgaben für die vielen nur befristet beschäftigten Dozenten befasst.

Wichtig: Erwachsenenbildung für Flüchtlinge

Im Koalitionsvertrag werden Sprachintegrationsmaßnahmen für Geflüchtete genannt. Aber in den nächsten Jahren werden die Integration in den Arbeitsmarkt sowie in die Stadtgesellschaft viel wichtiger sein. Notwendig sind auch eine berufliche Qualifizierung passend zum Berliner Arbeitsmarkt und interkulturelle Bildungs- und Begegnungsangebote. Was kann Erwachsenenbildung dazu beitragen, dass die geflüchteten Eltern von schulpflichtigen Kindern unser Bildungssystem und die Bedeutung elterlicher Unterstützung verstehen?

Die allgemeinbildenden Schulen können diese Elternarbeit nicht allein leisten. Es braucht begleitend außerschulische Bildungsmaßnahmen. Ökonomische Langzeitanalysen belegen, dass Frühförderung nur wirkungsvoll ist, wenn sie durch Elternarbeit begleitet wird. Hier gibt es schon gute Angebote an Volkshochschulen wie der in Berlin- Mitte, aber gesetzliche Grundlagen sollten dies berlinweit unterstützen.

Eine Renaissance der politischen Bildung ist überfällig

Gleichzeitig sollte Berlin den Teilen der Bevölkerung Bildungsangebote machen, die sich mit der Zuwanderung schwertun und sich nur über Internetforen oder Populisten artikulieren. Angesichts von Trump und Co. erscheint eine Renaissance der zusammengestrichenen politischen Bildung mehr als überfällig. Schließlich stehen wir vor einem tiefgreifenden digitalen Wandel. Wie kann die Weiterbildung neu aufgestellt werden, um mehr Formate vorzuhalten, die dem gewandelten Lernverhalten Jüngerer gerecht wird? Oder sollen die Volkshochschulen mit ihren aktuell Teilnehmenden vergreisen? Neben dem Einsatz von neuen Medien ist der digitale Wandel aber selbst ein Bildungsthema. Wie gehen wir mit den Vor- und Nachteilen der neuen Medien um? Wo braucht es eine intelligente Selbstbeschränkung bei der Mediennutzung? Und wie können Beschäftigte aus der Old Economy in die New Economy wechseln?

Ein Gesetz kann keine Antwort auf diese Fragen geben. Es kann und sollte aber den Rahmen definieren. Dies nur mit „innovativen Projekten und Programmen“ zu thematisieren, ist deutlich zu wenig. Vor allem aber sollte in einer vibrierenden und lebendigen Stadt wie Berlin das vielfältige Wissen frühzeitig konsultiert werden, statt in den Hinterzimmern der Verwaltung ein Gesetz abzufassen, das nur den Status quo absichert. Der Berliner Anspruch muss höher sein – dann auch eingelöst werden.

Der Autor ist seit 2015 Professor für Weiterbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen, zuvor war er Juniorprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Bernd Käpplinger

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