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Transfusion. Die T-Zellen aus dem Blut des Patienten werden ihm verändert zurückgegeben, damit sie den Krebs angreifen.

© imago/Eibner

Fortschritt in der Tumortherapie: Mit frisierten Immunzellen gegen Krebs

Eigentlich kann die Körperabwehr Tumore gut bekämpfen. Doch manchmal vergisst sie es und braucht Impulse. Darauf setzen neue Krebsimmuntherapien.

Sie sind teuer, sie sind aufwändig, sie sind aggressiv. Und doch leiten neue Krebsimmuntherapien derzeit einen Paradigmenwechsel in der Krebsmedizin ein, sagt Christoph Huber – nicht ohne Genugtuung. Der Forscher ist einer der Pioniere der Immuntherapie, jener Forschungsrichtung, die Tumorerkrankungen dadurch in den Griff bekommen will, indem sie das Immunsystem der Patienten gegen die Wucherungen mobilisiert.

Die Bremsen des Immunsystems lösen

Was vor Jahrzehnten nur im Kopf des gebürtigen Österreichers und inzwischen emeritierten Leiters der Onkologie der Uniklinik Mainz existierte, ist nun klinische Realität. Neue Wirkstoffe können Immunzellen so stimulieren, dass sie gegen Tumorzellen vorzugehen.

Ein Ansatz ist, die natürlichen Bremsvorrichtungen, genannt Checkpoints, zu lösen, die Immunzellen bislang daran hindern, gegen Krebs vorzugehen. „Indem wir die Hemmung der Checkpoints aufheben, erreichen wir bei vielen Patienten eine Abstoßung des Tumors“, sagt Huber. „Damit können wir bis zu ein Drittel der Patienten mit Lungenkrebs, der häufigsten Krebsart überhaupt, helfen – sogar noch im fortgeschrittenen Stadium.“

Doch nicht nur mit diesem Ansatz werde man vielen Patienten helfen können, ist Huber, Präsident der Gesellschaft für Krebsimmuntherapie (Cimt), überzeugt. Forscher setzen auch auf veränderte, gewissermaßen „frisierte“ Immunzellen. Dazu statten sie die wichtigsten Abwehrzellen des Körpers, die T-Zellen, mit einer Art Suchfunktion aus, mit der die T-Zellen die entarteten Körperzellen des Patienten wieder erkennen und vernichten können. „Um die T-Zellen des Patienten wieder in die Lage zu versetzen, Krebszellen zu erkennen, verpassen wir ihnen mittels Gentransfer ein ganz spezielles Molekül, einen Rezeptor“, sagt Hinrich Abken, Leiter des Labors für Tumorgenetik und Immunologie am Zentrum für molekulare Medizin in Köln.

Immunzellen mit Spürsinn für Krebs

Dazu entnehmen die Ärzte dem Patienten zunächst Blut und isolieren daraus T-Zellen, die dann im Labor mit einem „chimären Antigenrezeptor“ (CAR) auf der Zelloberfläche ausbilden. Dieser Rezeptor passt zu Molekülen, die besonders häufig (im besten Fall ausschließlich) auf der Zellmembran von Krebszellen vorkommen. Die damit ausgerüsteten T-Zellen werden in Zellkulturen millionenfach vermehrt und dem Patienten schließlich zurückgegeben. Alles in allem dauert diese aufwändige Prozedur fast drei Wochen. Nur wenige Kliniken verfügen über die erforderliche Ausstattung und das notwendige Knowhow. In Deutschland sind es gerade einmal eine Handvoll.

„Wenn der Antigenrezeptor an die Tumorzelle bindet, aktiviert das die T-Zelle“, sagt Abken. „Und dann tut sie wieder, was sie normalerweise tun sollte: Sie tötet die Tumorzelle.“ Da die Zellen aus dem Patienten selbst stammen, können sie durch alle Gewebestrukturen dringen und selbst kleine Tumorreste aufspüren. Mehr noch: Als „lebendes Arzneimittel“ vermehren sich die CAR-T-Zellen sogar, sobald sie ihre Zielstruktur im Patientenkörper erkennen.

Der (zu) kleine Unterschied zwischen normaler und entarteter Zelle

Doch hier, in der Zielstruktur, liegen auch die Probleme der CAR-T-Methode, sagt Abken. Denn CAR-T-Zellen erkennen nur ihre Zielstruktur und töten jede Zelle, die sie trägt – unabhängig davon, ob es sich dabei um eine gesunde Körperzelle oder eine Tumorzelle handelt. „Und diese Zielstruktur, meist das Molekül CD19, findet sich leider nicht nur auf den entarteten Lymphomzellen, sondern auch auf gesunden Zellen, etwa den B-Zellen.“ Die braucht der Patient aber, um sich gegen Krankheitserreger zu wehren. „Die CAR-T-Zelle tötet alles, was CD19 hat. Nicht nur die Krebszelle, sondern auch die normalen B-Zellen.“ Das gehe so lange, bis alle B-Zellen beseitigt sind. Klinisch könne man damit aber umgehen, sagt Abken. Als B-Zellersatz bekomme der Patient regelmäßig Immunglobuline.

Schwerer wiege hingegen der sogenannte Zytokinsturm, der bei CAR-T-Behandlungen häufig auftritt. „Die Aktivierung der T-Zellen setzt enorm viele Botenstoffe im Körper frei, die so genannten Zytokine – sehr wirksame Stoffe, die das Immunsystem in kürzester Zeit alarmieren.“ Für den Körper ist das aufgrund der Schnelligkeit der Reaktion oft zuviel des Guten: Blutdruckabfall, Gehirnschwellung, hohes Fieber bis hin zum Schock und Herzstillstand können die Folgen sein. Bei einem Großteil der Patienten muss diese extreme Entzündungsreaktion behandelt werden, häufig auf der Intensivstation. Im Rahmen der Studien ist es infolge dieser Komplikation auch zu Todesfällen gekommen. Kliniken, die die Therapie einsetzen wollen, müssen daher zertifiziert sein und die Erlaubnis der Gesundheitsbehörden einholen.

Ist das Immunsystem zu schwach, um stimuliert werden zu können?

Unklar ist auch noch, warum einige der todkranken Patienten auf die Behandlung überhaupt nicht reagieren. Womöglich, weil das Immunsystem schon zu schwach ist, als dass es noch stimuliert werden könnte? Momentan wird die CAR-T-Strategie vor allem bei Blutkrebs-Patienten, wie der Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL) und gegen Lymphdrüsenkrebs (Non-Hodgkin-Lymphom, NHL) eingesetzt. Allerdings erst, wenn der Patient auf andere Therapien nicht mehr anspricht. Bei diesen Schwerstkranken zeigt die neue Methode verblüffende Resultate: Rund zwei Drittel der ALL-Patienten und die Hälfte der Non-Hodgkin- Lymphom-Patienten überwinden die Krankheit nach der Therapie. Bei diesen Krebsarten funktioniert die Methode deshalb so gut, weil hier die Tumorzellen in Blut und Lymphflüssigkeit zirkulieren und damit für die CAR-T-Zellen gut erreichbar sind.

Offiziell zugelassen hat die Arzneimittelbehörde allerdings erst zwei CAR-T-Therapien – bislang nur für den US-amerikanischen Markt: Das Blutkrebspräparat Kymriah von Novartis und das Arzneimittel Yescarta von Kite Pharma bei Lymphdrüsenkrebs. Etliche weitere CAR-T-Zell-Therapien sind in weit fortgeschrittenen Prüfphasen, könnten also bald ebenfalls für die Versorgung zur Verfügung stehen. Sicher ist, dass der Preis hoch sein wird. In den USA zahlen Patienten für die ersten CAR-T-Therapien mehrere hunderttausend US-Dollar.

Nach Blut- auch bald Brust-, Darm- und Prostatakrebs im Visier

Künftig wollen die Forscher die Zielgenauigkeit der CAR-T-Zellen genauer fassen, so dass in Zukunft ausschließlich Tumorzellen angegriffen werden. Diese „zweite Generation“ der Designerzellen sollen dann auch „solide“ Tumore, also Brust-, Darm- oder Prostatakrebs, attackieren können. „Es ist wahrscheinlich, dass auch hier ein Durchbruch gelingen wird“, meint Immuntherapie-Pionier Huber. Den Zytokinsturm wollen die Forscher mit einem molekularen Schalter stoppen, mit dem sich die CAR-T-Zellen notfalls lahm legen lassen. Und um nicht mehr mühsam Zellen des Patienten bearbeiten zu müssen, experimentieren Forscher mit T-Zellen von gesunden Spendern oder mit Laborzelllinien. Das könnte die Kosten senken.

Obwohl auch französische und deutsche Firmen CAR-T-Therapien entwickeln, laufen die meisten klinischen Studien – einige hundert – in den USA. In Europa sind nur vier CAR-T-Zellprodukte von drei pharmazeutischen Firmen in der klinischen Prüfung. „Das ist nicht verwunderlich“, sagt Martina Schüssler-Lenz vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen bei Frankfurt am Main, das für die Prüfung und Zulassung von CAR-T-Therapien zuständig ist. „Schließlich wurden die entscheidenden Entwicklungen in den großen Krebszentren der USA durchgeführt.“ Deutschland hinke beim Überführen von Grundlagenforschung in die Anwendung deutlich hinterher. Doch das ändere sich gerade, sagt Schüssler-Lenz: „2015 und 2016 wurden sieben klinische Studien zum Thema beantragt, für das laufende Jahr 2017 ebenfalls sieben.“

Dass CAR-T-Therapien oder Checkpoint-Inhibitoren die „traditionelle“ Krebstherapie mit Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie ersetzen werden, halten Onkologen aber für unwahrscheinlich. Krebsmediziner wie Christoph Huber sind aber davon überzeugt, dass auch die CAR-T-Zell-Therapie zunehmend Teil der medizinischen Routinebehandlung werden wird.

Tobias Stolzenberg

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