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Heterogene Szene. Linksradikalismus hat viele Strömungen. Die Studie des SED-Forschungsverbundes differenziert aber kaum. Und schon wer gegen die Ausbeutung der Dritten Welt ist, hat demnach ein in Teilen linksextremes Weltbild. Das Foto zeigt einen Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain im Jahr 2013.

© imago/ Christian Mang

Forscher der FU Berlin: Studie schürt Angst vor Gefahr von links

Eine neue Studie des SED-Forschungsverbundes der Freien Universität ist gefährlich unpräzise. Das Ergebnis ist eine einseitige Analyse der linken Szene in Deutschland.

Brennende Flüchtlingsheime, pogrombereite Massen – keine Frage, der Rechtsterrorismus ist in Deutschland so aktiv wie lange nicht. Auch wenn die Schlachten der Rigaer-Straße zwischen Linksradikalen und Berliner Polizei vermehrt auf Dritten Seiten von Zeitungen diskutiert worden sind, dominiert die Gefahr von rechts – zu Recht – die Extremismus-Debatte.

Dass „linksextreme Einstellungen“ in Deutschland weitgehend unterschätzt werden, ist die feste Überzeugung des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Die Autoren Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder haben nun ein Buch vorgelegt, mit dem ihre viel diskutierte Studie zu „demokratiegefährdenden Potentialen des Linksextremismus“ von 2015 ergänzt werden soll. Über „die vertiefte Analyse der repräsentativen Befragung zu linksextremen Einstellungsdimensionen und die Ergebnisse der Befragung von Linksradikalen und Linksextremisten“ möchte das Forscherpaar der antidemokratischen Gefahr auf den Zahn fühlen.

Die Autoren unterscheiden "linksextrem" von "linksradikal"

Zu diesem Zweck haben die Autoren eine sogenannte „Linksextremismusskala“ konzipiert. Diese besteht aus mehreren Teilbereichen, die über gesonderte Subskalen mit jeweils eigenen Items verfügen. Die Dimension „Anti-Kapitalismus“ zum Beispiel enthält unter dem Aspekt „Globalisierung“ die Aussage „Der Kapitalismus führt zwangsläufig zu Armut und Hunger“. Das Kapitel Antirassismus – um ein weiteres Beispiel zu geben – nennt unter anderem die Aspekte „Politische Ebene“ und „Flüchtlingsproblematik“ und gibt Items an wie: „Die deutsche Ausländerpolitik ist rassistisch“ oder „Deutschland sollte prinzipiell alle Personen aufnehmen, die ins Land kommen wollen“.

Je nachdem, wie intensiv die Zustimmungswerte der Befragten ausfallen, werden sie als mehr oder weniger „linksextrem“ bewertet. Die Autoren versuchen dabei, eine begriffliche Unterscheidung zwischen „Radikalen“ und „Extremen“ zu etablieren, die sich aber, wie sie selber einräumen, nicht konsequent durchhalten lässt.

„Linksextreme“ würden einen definitiven Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Ordnung behaupten und beides dauerhaft überwinden wollen. Radikale sind in dieser Lesart Linksextreme light, die zwar die kapitalistische Wirtschaftsordnung ablehnen, die parlamentarische Demokratie aber – nach umfangreichen Reformen – beibehalten möchten.

Auf der Basis ihrer Skala erklären Schroeder und Deutz-Schroeder vier Prozent der Befragten zu „Linksextremen“, mit einem nahezu geschlossenen Weltbild, und weitere dreizehn Prozent zu „Linksradikalen“, deren Welt- und Menschenbild nicht ganz so hermetisch sei wie das ihrer extremistischen Genossen. „Linksextreme/linksradikale Einstellungen“ fänden sich somit bei siebzehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung. Bemerkenswert finden die Autoren die weite Verbreitung von „Versatzstücken eines linksextremen Denkens in Teilen der Mehrheitsbevölkerung“.

Wer gegen die "Ausplünderung der Dritten Welt" ist, hegt ein extremistisches Weltbild

Dabei ist das Ergebnis einer Streuung sogenannter „linksextremer Einstellungsdimensionen“ kaum verwunderlich. Allein die Zustimmung zu mehreren Items der Sorte: „Die Ausplünderung der dritten Welt durch die kapitalistischen Industriestaaten muss beendet werden“ oder „Ein tief verwurzelter Rassismus lässt sich überall im Alltag beobachten“, gilt den Forschern als Ausweis eines wenigstens in Teilen extremistischen Weltbildes.

Auch die Wochenzeitung „Freitag“ gilt in dieser Lesart als linksradikales Blatt, eine Zuschreibung, die man durchaus übertrieben finden mag.

Zudem sind Zweifel geboten, ob die vom Forschungsverbund präsentierte Skala überhaupt „Linksextremismus“ messen kann. So ist der Extremismus-Begriff in der Forschung umstritten; nicht zuletzt weil seine Verwendung zuweilen die Unterschiede zwischen linken und rechten Radikalen nivelliert und einer gefährlichen und falschen Vereinheitlichung den Weg ebnet.

Zumal die linksradikale Szene selbst äußerst heterogen und in ihren Anliegen mitunter tief gespalten ist. Mit der einheitlichen Etikettierung als „extrem“ bekommt man etwa die programmatischen Unterschiede zwischen Antideutschen und Antiimperialisten nicht in den Blick.

Der 68er Revolte können die Autoren nichts Gutes abgewinnen

„Extremismus“ ist eine relationale Kategorie, die eine Abweichung vom normativen Zentrum bezeichnet. Die Autoren der Studie, die sich in diesem Zentrum verorten, beschreiben jede Stellungnahme gegen die wirtschaftliche und politische Ordnung als antidemokratischen Akt.

So meinen sie zum Beispiel, es sei nach wie vor „die Frage offen, warum gerade zu dem Zeitpunkt, als sich in der Bundesrepublik eine Demokratie auf Basis von Freiheit, Wohlstand und Sozialstaat nachhaltig verfestigte, eine linke Jugendrevolte ausbrach“. Dass diese linke Revolte, die gemeinhin unter der Chiffre „68“ firmiert, nicht zuletzt gegen die von alten Nazis durchseuchten Institutionen der frühen Bundesrepublik opponierte, erwähnen die Autoren mit keiner Silbe.

Auch dass der außerparlamentarische Widerstand – von den Gewaltexzessen der RAF einmal abgesehen – dieses Land eventuell freiheitlicher und lebenswerter gemacht haben könnte, bleibt unerwähnt.

Der Wohlstand ist sehr ungleichmäßig verteilt - aber das ist nicht von Belang

Nicht, dass es in einer solchen Studie nötig wäre, darauf hinzuweisen. Die Autoren beschwören allerdings unentwegt einseitig eine linke Gefahr, anstatt sich auf die Auswertung ihrer empirischen Ergebnisse zu konzentrieren. Wiederholt wird auf die Diskrepanz zwischen freiheitsversprechender Bewegungsphase und diktatorischer Regimephase in der kommunistischen Vergangenheit verwiesen.

Bei so viel geschichtlicher Erklärung wäre es zwecks Ausgewogenheit angebracht gewesen, auch auf linke Errungenschaften zu verweisen. Für die Autoren des Forschungsverbundes SED-Staat scheint es solche indes nicht zu geben. Damals wie heute sei die Linke blindlings gegen jenes System angelaufen, das „den Wohlstand“ gebracht habe.

Dass dieser Wohlstand nach wie vor sehr ungleichmäßig verteilt ist, ist wiederum nicht von Belang. Jedes Aufbegehren gegen bestehende Verhältnisse, jedes Abweichen vom normativen Zentrum gilt als radikal oder extrem, unabhängig von den jeweiligen Motiven der Revolte.

Anstatt die Differenzen zwischen links und rechts zu profilieren, werden immer wieder demokratiepädagogische Gemeinplätze bemüht. Da heißt es zum Beispiel: „Solange eine Partei/Gruppe nicht verboten ist und auf einer Demonstration keine strafrechtlich relevanten Parolen fallen, müssen selbstverständlich Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit gewahrt bleiben.“ An welchen Leser richtet sich eine solche verfassungstheoretische Nachhilfe?

Auf sprachlicher Ebene gefährlich unpräzise

Eine nüchterne Auswertung der repräsentativen Befragung hätte der Studie gutgetan. Zumal die Autoren leider auch auf sprachlicher Ebene mitunter gefährlich unpräzise werden. So heißt es zum Beispiel, gegenüber Juden „äußern viele links Eingestellte ebenso Kritik wie die Rechtsaußen“. Der Begriff „Kritik“ impliziert eine ausgewogene Prüfung des kritisierten Gegenstands und kann sich nur auf etwas beziehen, das auch in der Realität gegeben ist. Die antisemitischen Wahnvorstellungen von Allmacht und Hochfinanz, denen sowohl links als auch rechts eingestellte Personen zugestimmt haben, bedienen tradierte Stereotype und haben mit „Kritik“ nun wirklich gar nichts zu tun.

Die Ergebnisse zu einer weiten Verbreitung antisemitischer Stereotype in Teilen der Linken (und der Rechten natürlich) sind erschreckend. Sicher gibt es auf den äußersten Rändern des Spektrums gewisse Schnittmengen in Sachen verkürzter Kapitalismus-Kritik und starrem Freund-Feind-Schema. Darauf hinzuweisen ist wichtig. Die Darlegung der eklatanten Unterschiede tut aber genauso not.

„Die Charakterisierung von Personen als linksextrem oder linksradikal ist nicht deckungsgleich mit den politischen Selbsteinstufungen“, erklären die Autoren. Auch auf der rechten Seite der Selbsteinstufung falle eine nennenswerte Minderheit unter die Bezeichnung „linksextrem“. Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder erklären diesen Umstand mit den genannten Überschneidungen im links- und rechtsextremen Denken.

Das mag teilweise der Fall sein – man könnte aus dem Missverhältnis zwischen Selbst- und Fremdbezeichnung aber auch schlussfolgern, dass sich die Skala des sogenannten „Linksextremismus“ nicht wirklich dazu eignet, einen solchen zu messen.

Monika Deutz-Schroeder/Klaus Schroeder: Linksextreme Einstellungen und Feindbilder. Befragungen, Statistiken und Analysen; Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main, 2016; 411 Seiten, 59,90 Euro.

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